Retailer holen ihre Margen aus der Dienstleistung
Quelle: Digitec

Retailer holen ihre Margen aus der Dienstleistung

Von Volker Richert

Mit Hard- und Software ist kaum mehr Geld zu verdienen. Die Margen sind im Keller. Nur wer starke Services anbieten kann, arbeitet langfristig profitabel. Für den klassischen Retailer im Channel ist diese Entwicklung nicht neu.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2013/12

     

Die Diskussion zum Wandel im Handel wird von zahlreichen Auguren mit immer neuen Argumenten angeheizt. So vermeldete erst kürzlich die Studie «Der vernetzte Laden», die der Softwarehersteller BSI mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) erstellt hat, dass inzwischen auch im Detailhandel die Vorteile einer integrierten Multichannel-Strategie angekommen seien. Moderne Kunden holen ihre Informationen im Web, fragen Empfehlungen in den sozialen Medien ab, probieren im Laden das Gewünschte aus und lassen sich dann die Ware nach Hause schicken. Gefragt seien dafür Tools, die die Kunden bei diesem Channel-Hopping begleiten. Denn laut Studie «erzieht Online die Kunden zu neuem Verhalten».
Händler, die ihre Ware in der Vergangenheit über nur einen oder ein paar wenige Kanäle angeboten haben, stehen heute Kunden gegenüber, die eine Vielzahl an Kontaktpunkten nutzen können. Am gerade zu Ende gegangenen Handelskongress Neocom in Deutschland hat eine Umfrage festgestellt, dass das E-Mail inzwischen wichtiger ist als das Telefon. Webformulare und Social-Media-Kanäle sind demnach klar auf dem Vormarsch. Gleichwohl bleiben daneben aber nach wie vor auch die schriftliche Korrespondenz, der Aussendienst, Apps und der Laden vor Ort Verkaufskanäle, die je nach Anliegen gern genutzt werden.

Bei der ZHAW will man zudem herausgefunden haben, dass die Kunden die verschiedenen Transaktionsphasen eines Kaufs nahtlos auf beliebigen Kanälen durchführen wollen. Gerade Retailer, so das Fazit, müssten sich vom Multichannel-Unternehmen mit mehreren parallelen Kanälen hin zum Cross-Channel-Unternehmen mit vollständiger Integration in eine einheitliche Datenbasis wandeln. Und die Voraussetzungen dafür seien geschaffen, weil Multichannel für die Handelsunternehmen in der Schweiz bereits Standard sei. Nun gehe es darum in Echtzeit eine umfassende und korrekte Sicht des Kunden aufzugleisen, um ihm auf dieser Grundlage die richtigen beziehungsweise relevanten Angebote machen zu können.

E-Commerce ist fast schon Alltag

Neue Techniken, die immer schneller beim Endkunden ankommen, so die These, ziehen einen gesellschaftlichen und kulturellen Umbruch nach sich, der wichtige Parameter des bisherigen Konsumverhaltens verändert. In den Unternehmen sind mit Cloud Computing neue Bezugsmodelle für Hard- und Software entstanden. Und auch der End­anwender nutzt immer mehr E-Commerce-Angebote, die inzwischen selbst im Fachhandel weit verbreitet sind. Zudem steht inzwischen eine breite Palette von Social-Media-Kanälen inklusive Blogs zur Verfügung, über die gezielt Produkte, Firmen und Marken besprochen, bewertet und kritisiert werden. Hinzu kommt, dass alle diese Novitäten auch via App mobil für den Einkauf genutzt werden.
Jedenfalls bestreitet inzwischen niemand mehr, dass sich in den letzten Jahren die Formen des Konsumierens drastisch verändert haben und entsprechende Konsequenzen im Handel nach sich ziehen. Konkret, so etwa eine Studie der Universität St. Gallen, belief sich im letzten Jahr allein der E-Commerce-Umsatz in der Schweiz auf rund 10 Milliarden Franken. Das seien bereits über elf Prozent des gesamten hiesigen Detailhandelsumsatzes. Und die Studie sieht hier einen Trend, der sich verstärkt, zumal schon von 2010 bis 2012 ein Wachstum von rund 17 Prozent registriert worden ist. Und folgerichtig, so fordern es die Marktanalysten, müsse sich auch der Handel den neuen Verhaltensmustern der Kunden anpassen. Kein Wunder also, wenn auch vom ICT-Handel gefordert wird, derartige gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen wahrzunehmen und daraus neue Chancen und Möglichkeiten abzuleiten. Beinahe unisono werden die dazu nötigen Anpassungen unter dem Stichwort «mehr Services» auf einen kurzen Nenner gebracht.

Der Fachhandel verliert nicht an Bedeutung

Bei Digitec weiss man, dass Services und Dienstleistung von sehr grosser Bedeutung sind. «Früher waren sie den stationären Retailern vorbehalten. Heute ist dies nicht mehr so», erklärt Stefanie Hynek, PR Managerin von Digitec. Deshalb müsste sich der stationäre Retailer immer mehr über seine Dienstleistungen «identifizieren» und so herausstechen, um seine Preise noch rechtfertigen zu können. Denn der Preiskampf unter den verschiedenen Vertriebskanälen habe sich verschärft. «Neu müssen sich stationäre Retailer auch mit den Online-Retailern messen, das gab es früher nicht», so Hynek.
Digitec gehe aber davon aus, dass der Gesamtmarkt von diesem Umbruch nicht betroffen ist und gleich gross bleibt. Dass sich auch Digitec längst alle möglichen Kanäle der Kundenadressierung erschlossen hat, verwundert also wenig: «Bei uns gibt es 13x10 Bestellarten – von der Bestellung über die Bezahlung bis zur Abholmöglichkeit – und wir betreuen und beraten unsere Kunden auf Wunsch vor, während und nach dem Kauf». Solche Services und Dienstleistungen, so Hynek, sind heute einfach nicht mehr wegzudenken.

Dennoch warnt der Retailer davor, die tatsächlich stattfindende Verlagerung vom stationären zum Online-Handel zu überschätzen. Aus dieser Tatsache könne nicht einfach der Schluss gezogen werden, in der Schweiz würde das Geschäft vor Ort verschwinden. Zwar habe der klassische Retailer gegenüber früher etwas an Bedeutung verloren und müsse sich neu auch gegenüber den Online-Retailern beweisen. Doch «die Schweizer Kundschaft braucht beides, stationäre Ladenlokale, in welche man eintreten und sich umschauen kann, sowie die Möglichkeit, seine Einkäufe bequem und unabhängig online zu tätigen», wie Hynek ausführt. Ein klassischer Retailer, betont sie noch einmal, sollte sich auf seine Stärken und Kompetenzen fokussieren und diese immer weiter ausbauen. Er müsse dazu aber nicht unbedingt in den Online-Markt eindringen. «Daran könnte er scheitern», warnt man bei Digitec.
Viel radikaler schätzt Anton Kiwic, Geschäftsführer der in Baar ansässigen Europavertretung des Netzwerkspezialisten Maipu, die Konsequenzen des Umbruchs ein. Mit Blick auf die Unternehmens-IT meint er, «der Retailer wird bei den Massenprodukten durch den Webshop und den Logistiker ersetzt und der Bezug von IT-Ressourcen über die traditionellen Integratoren macht in Zukunft nur noch bei hoch spezialisierten Infrastrukturen Sinn». Kiwic begründet seine Einschätzungen damit, dass bereits 80 Prozent der ICT-Ressourcen, die heute in Unternehmen verwendet werden, keine unternehmerischen Vorteile gegenüber der Konkurrenz mehr darstellen. Sie könnten also problemlos aus der Cloud bezogen werden. Somit hätten künftig die Hersteller mehr Verantwortung zu übernehmen. Mit ihren Services müssten sie in vielen Bereichen näher an die Kunden heranrücken. Andere Teile des traditionellen Channels würden zudem von Service-Providern übernommen, die längst Desktop, Bildschirm und Tastatur auf dem Schreibtisch genauso als Service anbieten wie Software oder Speicher. Bekannt ist, dass zahlreiche Aufgaben des klassischen Retailers heute bereits von solchen Service-Lieferanten übernommen werden, die nicht selten schon mit eigenem Personal in den Unternehmen vor Ort sind. Blosse Wiederverkäufer würden auf der Strecke bleiben, meint Kiwic, Distributoren würden vermehrt Logistik-Services übernehmen und daneben werde der Fachhandel noch ein Nischendasein fristen.

Die Realität bremst den Wandel

Kiwic befindet sich mit seinen Einschätzungen allerdings in der Position eines Pioniers. Zwar haben gerade grosse Unternehmen erkannt, welche Potentiale sich in der neuen Service-Welt auftun, doch im KMU-Umfeld herrscht bisher jedenfalls noch grosse Skepsis. Denn die Realität scheint für einen derartigen Wandel noch kaum reif. So wird beispielsweise die Geschäftssoftware Crésus für KMU noch von rund 95 Prozent aller etwa 25’000 Anwender auf den unternehmenseigenen Servern betrieben, wie Olivier Leuenberger von der Westschweizer Software-Schmiede Epsitec erklärt. Und auch Peter Herger, Chef der Software-Schmiede Proffix im Sarganserland, berichtet, dass noch die grosse Mehrheit der Unternehmen ihre Software auf eigenen Rechnern vor Ort betreibt. «Solange es keine fehlerfreien Systeme gibt, braucht es den lokalen Partner vor Ort», hält er denn auch unmissverständlich fest. Was in 20 Jahren sein wird, wisse man zwar nicht, führt er aus, doch «für den Moment kauft das typische Schweizer KMU noch lieber, als das es sich auf eine Abhängigkeit einlässt», wie sie etwa ein Cloud-Angebot mit sich bringt. Herger sieht die Probleme des Wandels an ganz anderer Stelle und illustriert das am Beispiel eines Druckers, der trotz der aktuellsten Treiber nicht funktioniert. Hier sei der Anwender überfordert, aber weder ein Distributor noch der Hersteller seien in der Lage, dem lokalen Anwender den passenden Support zu liefern. Denn die Frage sei doch einfach, wer die Arbeit bezahlt. Hier liege zurzeit das grösste Problem, da niemand die notwendigen Aufwendungen bezahlen wolle. Denn auch der Fachhändler könne sie nicht mehr über Margen kompensieren, ist aber gezwungen, sie dem Endkunden zu verrechnen.
Kaum anders schätzt auch Daniel Jäggli, Präsident des Verwaltungsrates bei Leuchter IT Solutions, die Situation ein: «Nach wie vor glauben wir, dass der lokale Anbieter, eben der Trusted Provider und Arbeitsplatzbetreuer, einen ganz wichtigen Anteil hat». Daher sei er überzeugt, dass der Channel auch in Zukunft ähnlich wie heute aufgestellt sein wird. Der eine oder andere Player werde zwar verschwinden, einige neue dazu kommen, aber eine fundamentale Veränderung sei nicht zu sehen.

Retailer-Alltag funktioniert ganz traditionell

Selbst eine dramatische Veränderung zu Gunsten des Online-Handels bestreitet Jäggli: «Es gibt immer Kunden die über diesen Kanal einkaufen und Kunden, die damit nichts zu tun haben wollen». Diese würden sich deshalb lieber ihrem lokalen Fachhändler anvertrauen, ist er überzeugt.
Und genau diese Erfahrung bestätigt Andreas Dombrowsky, Gründer und Chef des Computerladen PC-Andy im Zürcher Oberland. Als klassischer Retailer verkörpert er den Trusted Advisor und betrachtet die Diskussion um neue, Service-orientierte Strategien für das Alltags-Business als einigermassen abgehoben. Für ihn sind Dienstlei­stungen längst das A und O des Geschäfts. Mit dem Verkauf von Produkten habe er noch nie den grösseren Teil seines Jahresumsatzes von derzeit über 800’000 Franken generieren können. Zwar betreibt auch er einen Webshop, aber Geld verdiene er über diesen Kanal nicht. Er betont vielmehr (siehe Interview auf Seite 28) die Bedeutung eines modern eingerichteten, sauberen Ladengeschäftes an möglichst attraktiver Lage, insbesondere aber freundliche und kompetente Bedienung. «Gute Preise werden bei uns gleichsam vorausgesetzt», schiebt er nach.
Allerdings könne er hier natürlich nicht mit den grossen Retailern konkurrieren und läge immer leicht über deren Preisen. Umso wichtiger sei ihm deshalb die Kundenorientierung. Denn hauptsächlich wegen guter Services sei er zum wichtigen Ansprechpartner vor Ort geworden, so Dombrowsky. In seinem Einzugsgebiet müsse er sich zudem mit zwei Konkurrenten in unmittelbarer Nähe vergleichen lassen. Und nur wenn er konstant gute Arbeit liefere, dürfe er sicher sein, dass die Kunden wiederkommen, seine Services zu schätzen wissen und dafür auch gern bezahlen.
Dombrowsky kritisiert allerdings eine gewisse Trägheit in den Prozessen der Hersteller und Service-Lieferanten, die er sich mit seiner Nähe zum Kunden nicht erlauben könnte. Sich verzögernde Lieferungen, schwach besetzter Support und nicht schnell genug beantwortete Online-Anfragen, machten es nicht selten mühsam, Aufträge fristgerecht abzuwickeln. Unter Umständen könne ein Endanwender etwas länger warten als ein Unternehmen, dessen Mitarbeiter lahmgelegt sind. Doch der Ärger sei auf beiden Seiten gross. Als Service-Partner, der schnell und kompetent zu reagieren habe, schaffe er sich nur dann zufriedene Kunden, wenn er sich auch auf die ihm nachgelagerten Prozesse verlassen könne, unterstreicht er.



Volker Richert ist freier Journalist.


Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Wie hiess im Märchen die Schwester von Hänsel?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER