Lernout & Hauspie: Business As Usual trotz Chapter 11

Der Hersteller von Software für Spracherkennung Lernout & Hauspie steht vor einer ungewissen Zukunft. Die Führung ist nach massiven Vorwürfen zurückgetreten und die Firma musste sich unter Gläubigerschutz stellen.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2000/22

     

Lernout & Hauspie, der belgisch-amerikanische Hersteller von Spracherkennungs- und Übersetzungssoftware, hat in den USA um Schutz vor seinen Gläubigern unter dem «Chapter 11» Status ersucht. Der entsprechende Status wird auch in Belgien angestrebt.
Unmittelbarer Auslöser war die Entdeckung, dass 100 Mio. Dollar in Cash, die sich eigentlich in den Kassen der Südkoreanischen Niederlassung befinden sollten, fehlten.
Noch ist unklar, ob sie veruntreut wurden oder gar nie vorhanden waren.
Das Geld wäre dringend gebraucht worden, um fällige Schuldenzinsen an einige Gläubigerbanken zu bezahlen. Sprecher von L&H erklärten, man wolle unter dem Schutz des Chapter 11-Status eine freiwillige Reorganisation beginnen, um die Kundenbasis und die technologischen Errungenschaften des Unternehmens zusammenzuhalten. Man will verhindern, dass Gläubigerbanken Hand auf die Vermögenswerte legen oder das Unternehmen zwingen könnten, Unternehmensteile einzeln zu verkaufen.

«Vorläufig ändert sich nichts.»

Für Schweizer Reseller und Kunden ändert sich vorerst jedenfalls nichts, wie Dominik Zingg, der Geschäftsleiter von Sotec, dem hiesigen Distributor von L&H, IT Reseller mitteilte. Vertreter von L&H haben ihm in ein im Gespräch zugesichert, das die Lieferungen trotz allem ganz normal weitergehen würden.
Auch der Direktsupport könne weitergeführt werden, es gebe weder Entlassungen noch Personalabwanderungen bei Lernout & Hauspie. «Business as usual» also. Auch für den Erfolg der Reorganisation ist Zingg zuversichtlich.
Die Kundenbasis (70% Marktanteil bei Spracherkennungssoftware) ist so breit, dass sie sich nicht einfach in Luft auflöst. Die Technologie sei so gut, dass sie auf jeden Fall weitergeführt werde unabhängig davon, ob die Firma jetzt aufgekauft wird, oder als eigenständiges Unternehmen weitermachen kann.

Die Vorgeschichte

Das bei Lernout & Hauspie nicht alles mit rechten Dingen zuging, kristallisierte sich im Lauf der letzten sechs Monate langsam heraus. Ende Juni gibt L&H bekannt, dass beinahe die ganze Umsatzsteigerung der letzten Quartale in Südkorea und Singapur erzielt wurde. Kurz darauf berichtet «Wall Street Journal», dass einige der dortigen angeblichen Kunden Abschlüsse mit L&H verneinen. L&H streitet dies zuerst ab.
Im August tritt CEO Gaston Bastiaens zurück. Im September beginnen sowohl die US-Börsenaufsicht SEC wie die Easdaq formelle Untersuchungen über L&Hs Buchhaltung. Ende Monat muss L&H eine Profitwarnung für das dritte Quartal herausgeben. Anfang November kündigt L&H an, man wolle die Bilanzen von 1998, 1999 und 2000 revidieren, um «Irrtümer» zu beseitigen. Jo Lernout und Pol Hauspie treten von ihren Exekutivposten zurück.
Mitte November wiederrufen die Buchprüfer von KPMG ihre Bestätigungen der 98er und 99er Resultate. Joo Chul Seo, CEO von L&H Korea wird seines Postens enthoben. Und jetzt also Chapter 11.
Hoffen wir dass für Lernout & Hauspie noch weitere, bessere Kapitel folgen. (hjm)


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