Für Händler noch Zukunftsmusik

Unified Communication ist überall, nur nicht in Unternehmen. Das Technologiekonzept, das vor allem von Herstellerseite her stark propagiert wird, ist sowohl beim Handel als auch bei Endkunden oft erst in der Konzeptionsphase angelangt. Das könnte sich in den nächsten, zwei bis drei Jahren aber ändern.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2008/19

     

Kaum ein Tag vergeht, an dem unsere Redaktionsmailbox nicht mit Meldungen zum Thema Unified Communication (UC) gefüttert wird. In der Branche beschäftigen sich zwar sowohl Endkunden als auch Händler und Carrier mit dem Begriff Unified Communication, doch die Erwartungen sind tendenziell noch kleiner, als die PR-Meldungen uns weismachen möchten. Eine zentrale Rolle im Thema nehmen Carrier und ehemalige Telefongesellschaften ein, weshalb in diesem Fokusartikel drei grosse Player zu Wort kommen.


Analysten prophezeien dem UC-Markt eine goldene Zukunft. So auch MSM Research aus Schaffhausen. MSM unterteilt den UC-Markt in die Bereiche Services, Kollaboration, Computer Telephony Integration (CTI) und UC-Software. Das Wachstum soll bis Ende 2009 primär im UC-Software-Bereich stattfinden. Philipp Ziegler, Geschäftsführer von MSM Research, sagt denn auch: «Unified Communication ist keine Frage der Technologie, sondern eine Kultur- und Verhaltensfrage.» Dies hat auch die Frage nach der Akzeptanz einer UC-Lösung innerhalb Zieglers Forschung ergeben. Drei Viertel aller befragten Unternehmen sehen mit der Einführung einer solchen Lösung den erwähnten Kulturwandel und somit einen längeren Zeitrahmen für die Implementation auf sie zukommen. Schulung und Training der Arbeiter ist für viele zentral, etwas mehr als ein Drittel wünscht sich von ihrem Anbieter speziell begleitende UC-Fördermassnahmen. Die Umfragen zeigen zudem auf, dass eine Anbindung an bestehende Office-Umgebungen, an mobile Geräte und an klassische Geschäftsapplika­tionen wie ERP oder CRM ganz weit oben auf der Wunschliste stehen.
Studien des Berner Beratungsunternehmens Sieber & Partners zeigen bei UC-Nutzern wahrgenommene Verbesserungen vor allem im reduzierten Zeitverlust durch unnötige Kontaktversuche. Die Unterbrechung der Arbeit hat bei den bisher umgesetzten Projekten eher zugenommen. In der Tendenz beurteilen die befragten Personen den Nutzen aber positiv: Für die Hälfte haben sich die UC-Investi­tionen sowohl in finanzieller als auch in nicht finanzieller Hinsicht gelohnt. Ebenfalls positiv beeinflusst wurde die Teamarbeit. Die Studie zeigt aber vor allem eines: dass es mehr braucht als die blosse Einführung von Technik. Zentral ist die Einbindung aller Mitarbeitenden und die möglichst vollständige Integration aller Kommunikationsmittel. Heisst, das Händlergeschäft liegt offenbar vor allem bei Schulungen und konzeptioneller Beratung. Dazu später mehr.

Die konkreten Umsätze fehlen noch

Als erstes hat IT Reseller bei drei Carriern angeklopft, die über das verfügen, was UC erst möglich macht: Ein leistungsfähiges, IP-fähiges Netzwerk. Cablecom Business weist erstmal auf den erzielten ersten Platz im Bilanz-Telekom-Rating in der Sparte Corporate Networks hin. Das erstaunt nicht, hat die Privatkundensparte von Cablecom doch nach wie vor mit dem Ruf der schlechten Kundenbetreuung zu kämpfen. Walter Bichsel, Head Business Development, und Sascha Jooss, Product Manager, legen Wert darauf, dass Cablecom Business diesbezüglich eigenständig und personell besser besetzt sei. Denn Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit, also Quality of Service, sind bei Geschäftskunden, insbesondere im UC-Umfeld, zentral. Bichsel und Jooss beobachten die UC-Nachfrage mit Interesse, dennoch wolle man sich vorerst noch auf die Kernkompetenzen beschränken, nämlich auf den Transport von Datenpaketen. Bichsel dazu: «Momentan reden alle von UC, aber die konkreten Umsätze fehlen. Der Begriff wird vor allem von Herstellerseite her gepusht, die meis­ten Studien sind auch von ihnen finanziert. Ob sich UC im Endeffekt für uns Carrier zu einem rentablen Geschäft entwickelt ist, hingegen fraglich. Aber wir müssen darauf vorbereitet sein, deshalb investieren wir primär in die Erneuerung unserer Netze.» Bichsel sieht UC als Überbegriff für eine Vielzahl von Anwendungen, die im weitesten Sinne mit Effizienzsteigerungen in der Bürokommunikation zu tun haben. Voice over IP (Voip) sei dabei oft der erste Schritt.


Deshalb bietet Cablecom Business offiziell seit erstem November Hosted- und Managed-PBX-Lösungen an. Erste Erfahrungen mit Grosskunden habe man schon gesammelt, nun gehe es darum, in der Partner-Struktur und beim Presales gewisse organisatorische Korrekturen vorzunehmen. Denn UC als Gesamtpaket lasse sich auf lange Sicht nur über ein breites Partner-Netzwerk verkaufen. Die Nachfrage für das kommende Jahr sei indessen fraglich, es bestehe immer noch eine grosse Schnittstellenproblematik, die Preise für Hard- und Software seien hoch und der Nutzen für den Endanwender zu wenig klar. Dies könnte sich in den nächsten zwei bis drei Jahren aber durchaus ändern, meint Bichsel. Auf Herstellerseite hätten sich primär Microsoft mit dem Office Communication Server (OCS) und Siemens mit ihren Endgeräten in der Diskussion fest verankert. «Doch Anfragen für eine Zusammenarbeit kriegen wir auch von anderen Herstellern mittlerweile fast schon wöchentlich», so Bichsel. Jooss stellt fest, dass sich die Endgeräte von Siemens mit ihrer Bedienung per Drehrad primär an die iPod-Generation richten: «Nur schon daran lässt sich ablesen, dass die Hersteller auf die Nutzer der nächsten Generation abzielen.»

Eigene UC ist für KMU zu teuer

Der klassische Telefonieanbieter Swiss­com beobachtet UC seit drei Jahren. Willi Andrist, Senior Programm Manager bei Swisscom KMU, sagt dazu: «Damals war UC vor allem eine Lieferantengeschichte, die von Cisco und Microsoft vorangetrieben wurde. Heute spüren wir selbst eine Nachfrage danach. Auslöser ist meistens die fällige Telefonanlage.» Swisscom betreut Grosskunden mit eigener Beratung und einem auf das Unternehmen angepassten Angebot, wobei je nach vorhandener Infrastruktur Produkte des jeweils passenden Anbieters eingesetzt werden. Kleine und mittelgrosse Firmen will Swisscom hingegen mit einem standardisierten, reinen Hosted-Angebot abholen. Dieses umfasst im Moment den Internetanschluss, Online-Backup, Voip, Hosted Exchange Pro, Live Communication Pro sowie mobile Dienste für Datenübertragung, Organisation und Sprachkommunikation.


Der Grund für die reine Hosted-Strategie: «UC zu installieren und zu betreiben ist für die meisten KMU gar nicht erschwinglich», so Andrist, «deshalb wollen wir die Kunden dazu bringen, zu abonnieren, statt zu investieren. Da ist dann auch wirklich alles aufeinander abgestimmt.» Für KMU setzt Swisscom primär Microsoft- und Siemens-Produkte ein. «Doch gerade bei Live Communication gibt es valable Alternativen, die wir intern schon im Einsatz haben und nun auch für unsere Kunden testen», sagt Andrist, der sein Telefongespräch per Netviewer-Session mit Video und Präsentationen unterstützt. Wichtig sei auch bei Swiss­com das Partnernetz, das UC beim Endkunden verkaufen soll. Aus historischen Gründen kommen viele der insgesamt 5000 Partner aus dem Telefoniebereich. Andrist dazu: «Unsere Telefoniepartner bilden sich fleissig in Richtung IT weiter, denn sie müssen neue Geschäftsfelder erschliessen. Es melden sich aber auch viele klassische IT-Integratoren bei uns, die einen Lead übernehmen wollen. Langfristig verschmelzen diese beiden Partnerlandschaften.» Im Gegensatz zu Cablecom will Swisscom das Thema UC seit diesem Herbst stark thematisieren.

Treiber sind die Arbeitszeitmodelle

Luzius von Salis, Director Marketing and Business Services bei Colt Telecom, zweifelt daran, dass ein reines Hosted-Angebot im Bereich UC das richtige ist: «Wir haben die Erfahrung gemacht, dass eine derart hohe Abhängigkeit von einem einzigen grossen Provider bei geschäftskritischen Anwendungen von den Unternehmen nicht geschätzt wird.» Colt verkauft deshalb UC-Lösungen primär als Module unter dem Schlagwort «Business Efficiency and Flexibility». Von Salis dazu: «UC ist ein zu technischer Begriff, das interessiert den Endkunden überhaupt nicht. Es geht um Konvergenz, um das Verschmelzungspoten­zial von Kommunikationsmitteln.»


Als Treiber identifiziert er nicht primär abgelöste Telefonanlagen, sondern vielmehr die neuen Arbeitsmodelle: «Tendenziell arbeiten die Leute heutzutage wieder mehr, zum Beispiel von Zuhause aus, auch in den Ferien. Klar, dass die Arbeitgeber diese Entwicklung mit der entsprechenden Infrastruktur noch mehr fördern wollen.» Colt verkauft seine Lösungen bei Unternehmen mit bis zu 50 Mitarbeitern mehrheitlich über den indirekten Kanal, da habe man auch ein komplettes Paket im Angebot. Grössere Kunden betreut man meistens direkt. Mobile Lösungen werden in Zusammenarbeit mit Orange realisiert.

Der Handel springt zögerlich auf

Bei Systemintegratoren ist das Thema UC oft noch nicht über die Konzep­tionsphase hinaus. Viele wollen die Marktentwicklungen abwarten, arbeiten vorsichtig an ersten Konzepten. So zumindest der Eindruck, den die IT- Reseller-Redaktion von der Integratorenseite kriegt. Auch ein grosser Integrator wie MTF erarbeitet erst für nächstes Jahr ein Strategiepapier, das UC als Konzept explizit im Portfolio verankert. Doch einige Händler und Installateure beackern den Markt schon fleissig. So zum Beispiel das Luzerner Unternehmen One Source, das ursprünglich aus dem Telefoniebereich kommt. CEO René Küchler: «Seitens der Kunden herrscht bezüglich UC immer noch grosse Zurückhaltung, weil viele von den Strukturen her noch gar nicht so weit sind. Tendenziell sind mittlere Unternehmen eher bereit, in neue Technologien zu investieren, jedoch spielt die Grösse des Unternehmens weniger eine Rolle als die vergleichbaren Problemstellungen.» Dass Endkunden wegen UC ihre Carrier wechseln, ist laut Küchler hingegen eher ungewöhnlich: «Wir pflegen lose Partnerschaften zu ISP und Carrier. In der Regel arbeitet der Kunde bereits mit einem Partner zusammen und meist sehen wir keine Veranlassung, diesen abzulösen.» Elementar sei vielmehr, dass die Mitarbeiter von Anfang an integriert seien und dass entsprechenden Schulungen genügend Gewicht beigemessen wird. Der Händler wird so zum konzeptionellen Berater und Optimierer. (Claudio De Boni)


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