«Voip-Plattformen sind chancenlos»

Der Schweizer Erich Gebhardt ist seit dem Verkauf seiner Firma an Microsoft vor drei Jahren beim Redmonder Software-Konzern für die Entwicklung des Telefonie-Teils innerhalb der Microsoft-Plattform zuständig. Herstellern separater Voip-Plattformen sagt er eine düstere Zukunft voraus.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2008/16

     

Erich Gebhardt schreibt bei Microsoft die Geschichte unserer Kommunika­tion mit. Der Schweizer hatte vor drei Jahren seine zusammen mit 14 Kollegen im Jahr 2000 gegründete Firma Media-Streams.com, die eine «Telefonzentrale zum Herunterladen» herstellte, an Microsoft verkauft. Heute leitet er bei Microsoft eines der vier Entwicklungszentren der Unified Communications Group (UCG). Das Zürcher Team ist selbstredend für den Voice-Teil des Office Communication Servers zuständig.


Herr Gebhardt, wie kam es damals zum Kontakt mit der Microsoft Corporation, als Sie Ihre Firma verkauft haben?
Zunächst kam ich mit dem Chef der UCG, Gurdeep Singh Pall, an der Cebit 2005 in Kontakt. Er interessierte sich für unser Produkt, und ich habe ihn mit der Software von Media-Streams.com vom Laptop aus auf sein Handy angerufen. Das scheint ihn beeindruckt zu haben.

Und dann kam irgendwann der Anruf aus Redmond?

Genau so war es. Gurdeep rief mich an, um einen Termin zu vereinbaren. Microsoft hatte nämlich im Sommer 2005 eine Strategieänderung vorgenommen. Voice-over-IP sollte in Zukunft Teil der Produkte innerhalb der Unified Communication and Collaboration sein.

Drei Jahre nach dem Verkauf steht am Hauseingang immer noch der alte Firmenname. Was hat sich verändert?
Media-Streams hatte zuletzt ca. 700 Kunden, vor allem in Deutschland, weil wir eine grosse Ausschreibung der Deutschen Telekom gewonnen hatten. Diese Kunden brauchen zum Teil noch Betreuung, den grössten Teil des Geschäfts haben wir aber an Webcall übergeben, eine Firma, die seit kurzem Swisscom gehört. Das alte Produkt wird natürlich nicht mehr weiterentwickelt. 21 der damals 23 Mitarbeitenden sind noch bei uns. 6 der 8 mitarbeitenden Gründungsmitglieder sind ebenfalls noch an Bord.


Das Zürcher Team ist jetzt Teil der Entwicklungsabteilung der Microsoft Unified Communications Group. Wie muss man sich das vorstellen?
Zürich ist ja eins von vier Entwicklungszentren der UCG. Eins ist in Redmond, eins in Peking, eins in Hyderabad und eins eben in Zürich. Jedes kümmert sich um andere Aspekte von Unified Communication. Wir sind spezialisiert auf Voip. Wir sind derzeit ca. 30 Entwickler und wollen bis in zwei Jahren das Team auf mindestens 100 ausbauen. Wir gehören organisatorisch nicht zu Microsoft Schweiz, sondern sind direkt Redmond unterstellt.

Weshalb braucht Microsoft in der Schweiz einen Entwicklungsstandort analog zu Google?
Unser CEO Steve Ballmer persönlich hat entschieden, dass unser Team zu einem Entwicklungsstandort mit Fokus Voip ausgebaut werden soll. Der Grund ist, dass Microsoft auch an anderen Stellen auf der Welt als in den USA Software entwickeln muss, weil man schlicht nicht genügend Entwickler in den USA verfügbar hat.

Wie arbeiten Sie genau in der Produktentwicklung?

Wir arbeiten in virtuellen Teams. In der Planungsphase reist man viel umher, in der Codierungsphase weniger. Am Schluss folgt die Integrationsphase. Ein Programm Manager, das ist ein Software-Architekt, definiert das Produkt gemäss den Vorgaben und spezifiziert die Leistungsmerkmale. Die Entwickler schreiben die Software. Die Dritten im Bunde sind die Tester. Sie schreiben Test-Programme, die das Produkt automatisch testen, bevor es in den Markt geht.

Das Produkt oder ein Teil des früheren Produkts von Media-Streams ist heute in den Kommunikations-­Server von Microsoft integriert. Was ist in nächster Zeit zu erwarten?
Richtig. E-phone wurde in den Office Communications Server 2007 eingebaut und ist jetzt client-seitig im ganzen Office integriert, nicht mehr wie früher nur in Outlook. Der nächste Release wird im Dezember mit neuen Features aufwarten. Dafür sind derzeit bei ausgewählten Kunden Beta-Tests in vollem Gange.


Weshalb machen Sie nur eine und nicht mehrere Beta-Versionen eines neuen Releases?
Bei Anwendungen wie der unseren genügt eine Beta, bei einem neuen Betriebssystem wäre das kaum zu machen. Die Entwicklungszyklen sind bei uns zuerst sehr lang, irgendwann geht aber alles sehr schnell. Wenn am Stichtag das Produkt den Ready-To-Manufacture-Status erreicht, wie dies bei unserem im Dezember der Fall sein wird, geht es schnell in die Breite. So ein Produkt läuft schnell auf Millionen von Computern auf der ganzen Welt.

Wie sehen Sie die Zukunft der Telefonie?

Die Mobilität wird in grosses Thema im Unified-Communications-Bereich werden, weil jeder einen Laptop und ein Handy hat. Mit einem W-Lan-Anschluss wird man mit Sip-Geräten, die sich direkt anmelden, über Voip telefonieren. Deshalb ermöglicht Microsoft auch in vielen Bereichen, dass sich Software-Partner zertifizieren können. Es ist für uns und die unabhängigen Software-Entwickler sehr wichtig, dass deren Produkte auf einer Sip-Plattform laufen.


Wie sehen Sie die Konkurrenz im Voip-Bereich von Firmen wie Cisco, Nortel und Co.?
Die sind für uns keine Konkurrenz, denn es gibt keinen Platz mehr für eine separate Voip-Plattform, wenn die Telefonie als Applikation bereits vorhanden ist. Grossfirmen kosten neue Telefonzentralen heute zwischen 500 und 1000 Franken pro Anwender. Mit dem Microsoft Enterprise Agreement macht der Aufwand für Telefonie nur noch einen winzigen Bruchteil aus. Die Anwendung wird ja ohnehin im OCS mittgeliefert. In 3 bis 5 Jahren wird es Standard sein, über Voip-Applikationen zu telefonieren, einen Telefonapparat braucht es nicht mehr. Man stellt ja auch nicht noch eine Schreibmaschine neben einen PC auf den Arbeitsplatz. Die Menschen werden sich schnell daran gewöhnen. Ich behaupte, dass es bereits in 5 Jahren keine Voip-Ausschreibungen mehr geben wird. (Interview Markus Häfliger)


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