Mobilität und Spiele als Rettungsanker

Über Jahre ist der Markt für Unterhaltungselektronik wacker gewachsen. Das könnte sich aber bald ändern: Die Aussichten für dieses Jahr sind zwar noch gut, doch die Wachstumsrate für nächstes Jahr hat als Vorzeichen ein Minus. Eine Ursache dafür ist die wachsende Multifunktionalität bei neuen Geräten.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2008/14

     

Trends sollte man mit Vorsicht geniessen. Das zeigt ein Blick zurück auf die jüngsten Entwicklungen im Schweizer CE-Markt. Gerade mal ein Jahr ist es her, dass der Schweizerische Wirtschaftsverband der Informations-, Kommunikations- und Organisationstechnik (Swico) eine frohe Botschaft für alle Verkäufer von Konsumenten-elektronik verkündete: Die im März dieses Jahres veröffentlichten Umsatzzahlen für das Jahr 2007 stimmten optimistisch, wiesen sie doch wie schon im Vorjahr ein Wachstum von zehn Prozent aus und der Umsatz stieg erstmals auf zwei Milliarden Franken. Der Markt erhielt seinen Schub im letzten Quartal einerseits dank der Signalumstellung von analog auf digital. Aus der Verbreitung von «High Definition»-Formaten erhoffte man sich andererseits den Trend zu grossflächigen Geräten mit besserer Ausstattung: Schon 2007 wurden mehr als 550’000 LCD- und Plasma-Flachbildschirme verkauft und damit mehr als die Hälfte des Umsatzes erzielt. Schliesslich sorgte für gute Laune, dass nach Schätzungen des Branchenverbandes in den Schweizer Haushalten immer noch mehrheitlich TV-Geräte mit alter Röhrentechnologie herumstanden. Und das vor Fernseh-Grossanlässen wie Fussball-Europameisterschaft und Olympiade!

Der Handel ist wenig euphorisch

Noch drei Tage vor EM-Beginn sagte Luca Giuriato vom Marktforscher IHA-GfK: «Gewinner des boomenden TV-Marktes ist ganz klar der traditionelle Fachhandel.» Zudem würden die grössten Geschäfte erst während des Turniers abgewickelt. Kurz: Die Stimmung war bei Branchenverband und Marktforschern euphorisch, die Erwartungshaltungen gross. Skepsis hörte man nur ganz leise zwischen den Zeilen und von den Händlern: Wie eine Umfrage von IT Reseller im Juni ergab, machten sich diese keine allzu grossen Hoffnungen, wegen den anstehenden Sportgrossveranstaltungen wie der EM viel mehr Umsatz generieren zu können. Zu Recht: Beim Grossteil der Befragten lief das Geschäft während des Turniers eher schleppend. Die Vorhersage von Branchenverband und Marktforschern hat sich immerhin bedingt erfüllt: Grundsätzlich hat die Europameisterschaft einen Boom hervorgerufen. Flachbildschirme und auch Beamer wurden verkauft, wie noch nie zuvor. Die Hälfte der Befragten konnte zudem mehr Umsatz als üblich mit Dienstleistungen wie Montage-Arbeiten und Service-Verträgen generieren. Doch hält dieser Trend weiter an?


Luca Giuriato ist dieses Mal vorsichtiger. Er überarbeitet während der Anfrage gerade die aktuellsten Zahlen, will sie im Detail aber noch nicht bekanntgeben. Anfangs Jahr hat IHA-GfK ein Wachstum des Gesamtmarktes um zwei Prozent auf 2,137 Milliarden Franken hervorgesagt. Es gäbe einige Änderungen in den Prognosen: «Wir haben vor allem festgestellt, dass die Nachfrage nach MP3-Abspielgeräten stärker sinkt, als noch anfangs Jahr angenommen.» Trotzdem wird er die Wachstumsprognose für den Gesamtmarkt 2008 leicht erhöhen: «Vor allem die Verkäufe von Settop-Boxen und Flachbildschirmen wachsen weiterhin stark. Deshalb erhöhen wir unsere Wachstumsvorhersage für den Gesamtmarkt von zwei auf drei Prozent.» Doch die Schönwetterprognose gilt nicht für lange. Schon 2009 soll die Nachfrage nachlassen: «Ende Jahr ist der Markt mit Flachbildschirmen und Geräten mit HD-Fähigkeit schon stark gesättigt. Wir erwarten für 2009 einen gesamten Wachstumsrückgang um drei Prozent.»

Fast alles befindet sich im Sinkflug

Konkret sinken die Umsatzprognosen für Speichermedien aller Art, Geräte zur digitalen Bildverarbeitung (Video und Foto), tragbare Audiogeräte, Heimmusikanlagen, Game-Hardware, sämtliche Videogeräte sowie für den Bildschirmmarkt. Obwohl die Prognosen für verkaufte Stückzahlen in vielen Bereichen positiv sind, drücken die weiterhin sinkenden Preise auf den Umsatz. Nach oben zeigt die Wachstumskurve einzig in den Kategorien Zubehör und In-Car-Electronics, wo vor allem das Geschäft mit Navigationsgeräten nochmals zulegen könnte. Schon 2007 wurde mit 220’000 verkauften Geräten eine neue Höchstmarke erreicht, der Markt dafür scheint trotzdem noch nicht gesättigt.

Handys und Spiele verkaufen sich gut

Das Bild stimmt fürs Erste ziemlich pessimistisch. Allerdings wird im Consumer-Electronics-Monitor die Handy-Sparte, der Verkauf von PC und Peripherie sowie der Videospielemarkt nicht berücksichtigt. Insbesondere Letzterer setzt aber zu immer neuen Höhenflügen an. Kein Wunder: Der Schweizer Spielverband Swiss Interactive Entertainment Association (SIEA) bezeichnet laut einer Studie ein Drittel der Bevölkerung respektive 1,3 Millionen Personen in der Schweiz als Spieler. «Computer- und Videospiele sind das am schnellsten wachsende Unterhaltungsmedium und vielfach auch der einzige noch wachsende und nicht zurückgehende Bereich, wie mir viele Händler bestätigen», sagt SIEA-Geschäftsführer Peter Züger. Der Umsatz hat 2007 rund 420 Millionen Franken erreicht. Für das Gesamtjahr rechnet man mit einem Plus von zehn Prozent an verkauften Spielen: «Die Produktpipelines der Hersteller enthalten nämlich weitere attraktive Neuheiten.» Hingegen haben PC-Games weiter an Terrain eingebüsst: Der Absatz ist um neun Prozent zurückgegangen und nur noch knapp jedes fünfte verkaufte Spiel ist für den PC. Zwar wächst der weltweite Umsatz mit Computerspielen weiter, doch durch die zunehmende Online-Distribution gehen rund zwei Drittel des Umsatzes am Handel vorbei. (Detailliertere Zahlen zum Schweizer Spielemarkt finden sich in der Rubrik IT-Markt).

Wachstum, das tendenziell am CE-Handel vorbeigeht, ist auch im Geschäft mit Mobiltelefonen feststellbar. Martin Baumann, Kundenmanager Telecom beim Marktforscher IHA-GfK, prognostiziert für das laufende Jahr den Gesamtmarkt auf 3,3 Millionen Stück, was einem Stückzahlenwachstum von drei Prozent entsprechen würde. In der Erhebung sind auch Smartphones wie beispielsweise das iPhone enthalten. Das ist nicht unwichtig für den Handel: Lösen doch multifunktionale Geräte oftmals digitale Audioabspielgeräte oder gar Fotokameras ab. Baumann sagt denn auch: «Zurzeit lassen sich GSM-Geräte mit technisch hochwertigen Features gut verkaufen. Handys mit einer Kamera mit mehr als drei Megapixeln erreichten im ersten Halbjahr 2008 einen Wertanteil von 46 Prozent.»


Auch der Marktforscher Gartner kommt in seinen Prognosen zum Schluss, dass die Nachfrage im Handymarkt noch lange nicht gesättigt ist. Für das laufende Jahr prophezeit er ein Ansteigen des weltweiten Absatzes um elf Prozent, was 1,28 Milliarden verkauften Stück gleichkäme. Im ers­ten Quartal wurden 294,3 Millionen Mobiltelefone verkauft. Carolina Milanesi, Research Director for Mobile Devices, sagt dazu: «Alle Hoffnungen der Handy-Hersteller für das endgültige Wachstum in diesem Jahr liegen auf dem letzten Quartal, wenn die meisten neuen Produkte auf den Markt kommen und der Absatz saisonbedingt angekurbelt wird.» Gartner identifiziert zudem Trends, die den Mobiltelefonmarkt 2009 bestimmen würden und für den Handel nicht unwesentlich sind. Die Trendprognosen sind dabei auffällig nah an dem, was Apple mit dem iPhone bereits rea­lisiert. Erstens werden die etablierten Hersteller von neuen Herstellern aus dem CE-Sektor bedrängt: Gartner erwähnt in diesem Zusammenhang Apple und Garmin. Des Weiteren werden Mobiltelefone zu Lifestyle-Statements: Deshalb müssten Handyhersteller allenfalls vermehrt mit Mode- oder Sport-Marken zusammenarbeiten. Auch hier hat Apple momentan die Nase vorn: Ein iPod-Nike-Rennschuh-Kooperationsprodukt gibt es schon, momentan brodelt die Gerüchteküche, was wohl deren Weiterentwicklung für das iPhone alles bringt. Zudem besteht ein Trend dazu, dass Gerätehersteller eigene Ökosysteme bilden: Da der Preisdruck von Seiten der Netzbetreiber auf die Hersteller immer grösser wird, müssen die Hersteller neue Einnahmequellen erschliessen. Diese bestehen hauptsächlich aus dem Verkauf von Inhalten und Dienstleistungen. Bereits umgesetzt hat diese Strategie Nokia mit «Ovi», Sony Ericsson mit «Play Now» und wieder mal Apple mit dem «iTunes-Store». Für den Handel bleibt dabei wenig übrig. Kaum Umsatz generieren lassen wird wohl auch der Trend, dass teure Mobiltelefone auffrischbar werden: Da das Hightech-Segment bei Mobiltelefonen immer teurer wird, steigen nämlich die Anforderungen an Update-Möglichkeiten. Technischer Support ist da ziemlich sicher nicht gefragt, denn mit den aufkommenden Datenabos lassen sich Mobilfunkgeräte ganz einfach via mobiles Internet aufdatieren.

Etwas Optimismus bleibt

Trübe Aussichten? Ja, aber es gibt auch Lichtblicke: Die neuesten Marktzahlen aus Deutschland zeigen, dass im Consumer-Bereich vor allem der Laptop-Absatz floriert: Im ersten Halbjahr wurden davon 51 Prozent mehr an private Endkunden abgesetzt als das Jahr zuvor. Auch der Schweizer CE-Pate Daniel Meili (Porträt auf Seite 16) sieht Licht am Ende des Tunnels. Seine gefühlsmässigen Wachstumstreiber sind folgende: Im Bereich Bild höchste Auflösung durch den definitiven Formatentscheid auf Blu-ray und dadurch Sicherheit bei den Konsumenten, zunehmendes Energiebewusstsein sowie Vernetzbarkeit von Zusatzkomponenten wie EPG oder DVB-T. Im Bereich Musik ortet er die Digitalisierung, der Trend zu Multimedia-Centern, W-Lan-Fähigkeit sowie Mehrkanalformate als Treiber, während im Bereich Fotografie Weitwinkel, eigene Bildbearbeitungsfunktionen und schnellste «Shotfunktio­nen» im Freizeitbereich den Kauf von Digitalkameras weiter ankurbeln sollen. Nicht vergessen solle man zudem den Haushaltsbereich, wo ein ungebrochener Trend hin zu Hochqualitäts-Kaffeemaschinen, Alu-Design und «Gesundheitsgeräten» wie Saftmaschinen bestehe. (Claudio De Boni)


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