Verbundenheit im Jahr der Skepsis

Die Standzahl an der Orbit-iEX sinkt wie schon letztes Jahr auf ein neues Rekordtief. In der Branche finden sich Skepsis, Ratschläge und aufmunternde Worte. Messeleiter Giancarlo Palmisani blickt optimistisch in die Zukunft.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2008/08

     

Zuerst die schlechten Nachrichten: Man stelle sich vor, es ist das Jahr der Informatik und noch nicht einmal SAP geht an die Orbit-iEX. Genauso wird es dieses Jahr sein. Doch damit nicht genug: Mit 400 Ausstellern schrumpft die grösste Informatikmesse der Schweiz innerhalb von einem Jahr um rund ein Fünftel. Rechnet man in Hallen, sogar um ein Drittel, nämlich von sechs auf vier. Man könnte jetzt ein Trauerlied anstimmen, einen Abgesang auf das Aushängeschild einer Branche, die in der Schweiz Milliarden umsetzt, aber keine gemeinsame Messe mehr hinkriegt.
Ganz so weit möchte Giancarlo Palmisani, Messeleiter und Sponsoringverantwortlicher beim Fachmessen-Veranstalter Exhibit & More, nicht gehen. Als Erstes relativiert er: «Für das Fernbleiben von SAP ist eine unglückliche Terminkollision verantwortlich. Die SAP-Hausmesse Sapphire wurde dieses Jahr vorverschoben und fällt genau auf das Orbit-iEX-Wochenende. Wir haben aber eine Zusage, dass SAP nächstes Jahr wieder an der Orbit-iEX vertreten sein wird.» Ein weiterer grosser Hersteller, Canon, sei primär wegen andersweitiger Marketingaktivitäten dieses Mal nicht beteiligt. Man habe aber im Juni schon einen Termin vereinbart, um die Teilnahme für 2009 zu klären.

Diverse Absagegründe

SAP attestiert gegenüber IT Reseller der Orbit-iEX die Rolle als wichtigste Schweizer IT-Messe. PR-Managerin Claudia Rollero bedauert denn auch die Terminkollision mit der eigenen Messe: «Wir treffen an der Sapphire jeweils auch viele Schweizer Kunden und Partner, dazu benötigen wir alle unsere Kräfte. Rund 6000 SAP-Mitarbeiter werden an diesem Wochenende extra nach Berlin reisen. Für nächstes Jahr ist noch nichts entschieden, aber wir haben die Orbit-iEX bis jetzt immer unterstützt und empfinden sie nach wie vor als wichtig.» Auf Nachfrage bestätigt auch Canon gegenüber IT Reseller die von Palmisani genannten Gründe für das Fernbleiben von der Messe. Laut Peter Raab, Corporate Communication Manager, liegt der Hauptfokus von Canon dieses Jahr auf zwei anderen Grossereignissen: auf der Anfang Juni stattfindenden, weltgrössten Druckfachmesse Drupa, vor allem aber auf der Euro 2008, wo Canon als einer der Hauptsponsoren auftritt. Doch Raab gibt auch andere Gründe an: Die insgesamt schwache Besucherresonanz an der letztjährigen Orbit-iEX sowie die Absage anderer namhafter Aussteller. Canon schliesse eine erneute Teilnahme im Jahr 2009 jedoch nicht aus.

Was sind die Hauptgründe für das Fernbleiben derjenigen Teilnehmer, die letztes Jahr noch an der Orbit-iEX waren? «Die Begründungen der Unternehmen sind sehr unterschiedlich», erklärt Palmisani, «doch man kann sagen, dass unsere grösste Konkurrenz Eigenveranstaltungen sind.» Eigenveranstaltungen wie die Sapphire oder die Xdays von Microsoft. In den vergangenen Jahren und auch heuer ist sie der Grund für das Fehlen des Redmonder Softwareriesen und einige seiner grossen Partner, beispielsweise HP.


Aber auch kleinere Unternehmen wie der lokale Sicherheitsdienstleister Ispin aus dem zürcherischen Bassersdorf verfolgt exakt dieses Konzept. Marketing-Teamleiter Markus Kaegi erklärt: «Wir werden an der Orbit-iEX Referate halten, dabei ist uns der Wissenstransfer sehr wichtig. Mit einem Stand sind wir aber nur an der Securityzone 08 und am Finance Forum anwesend. Zudem ziehen wir eine ganztägige Eigenveranstaltung auf, mit grossen Namen wie Ulrich Tilgner oder Stefan Klapproth.»

Alternative Telefonmarketing

Genau das ist es, was Ettore Weilenmann, Bereichsleiter KMU Services beim Zuger Systemintegrator RedIT, an der Orbit-iEX vermisst. Grosse Namen, die Entscheidungsträger in die Ausstellung locken: «Viele Entscheidungsträger sind an den Referaten und schauen sich nicht richtig an der Ausstellung um. Der Streuverlust ist immens, weil die Businesskontakte fehlen.» Gründe für die diesjährige Absenz von RedIT gibt es laut Weilenmann diverse. «Einerseits schreckt uns die erneute Consumerisierung der Orbit-iEX ab, wir wollen nicht unbedingt zwischen Voip- und Spieleanbietern ausstellen. Andererseits - und das ist vielmehr ein Branchen- als ein Messeproblem - fehlt es schlicht an Aha-Erlebnissen. Die wichtigsten Anbieter und Lösungen sind bereits bekannt. IT ist keine New Economy mehr, die Branche hat auch schon graue Haare und bietet keine grossen Überraschungen mehr.» RedIT hat sich noch aus einem weiteren Grund für eine andere Strategie entschieden: «Das Verkaufen von ERP-Software ist kein Boxmoving, das benötigt Zeit und vor allem interessiert sich nur ein ganz spezifischer Kundenkreis dafür. Wir bevorzugen deshalb als Messe die Topsoft, die zwar klein, aber eben auch fein ist. Wir schliessen da mehr Verträge ab, als an der Orbit-iEX, die uns mehr kosten würde», so Weilenmann. Ausserdem akquiriere man auch mit hausinternen Messen, die in den Niederlassungen selbst stattfänden. Auch für Telemarketing habe man schon Geld investiert. Allerdings habe man da festgestellt, dass längst nicht jeder Anbieter dazu geeignet sei, telefonisch das Interesse an komplexen Lösungen zu wecken.

Palmisani kritisiert Terminschwemme

Messeleiter Palmisani zeigt für eine solche Marketingtaktik verständlicherweise eher wenig Begeisterung. Ausserdem bezweifelt er, dass das Budget mit Eigenveranstaltungen besser eingesetzt ist: «Ich höre von vielen ehemaligen Ausstellern, die fünf mal pro Jahr ihre eigenen Veranstaltungen organisieren, sich davon Exklusivität und neue Leads versprechen. Doch ich höre auch von Anlässen, die dann mühsam mittels Telefonmarketingaktionen mit Teilnehmern gefüllt werden müssen.» Dadurch entstehe für IT-Verantwortliche eine unübersichtliche Terminschwemme, die seinesgleichen in anderen Branchen suche: «Keine andere Branche ist so verzettelt, kann sich derart nicht auf einen Nenner einigen. Ich glaube, dass sich all diese Eigenveranstaltungen mit der Zeit totlaufen werden. Es ist zudem auch fast ein bisschen peinlich, wenn eine Branche, die zwischen 25 und 45 Milliarden Franken jährlich umsetzt, keine regelmässige repräsentative Messe hinkriegt.» Er glaubt jedoch an eine Kehrtwende, viele grosse Aussteller seien diesmal auch wieder an Bord, die ERP-Branche sei sehr gut vertreten. Mit Cablecom Business werde auch die Lücke in der Telco-Branche kompensiert, die durch die Absenz von Sunrise entsteht, weil sie sich dieses Jahr auf das Rebranding an verschiedenen KMU-Fachmessen konzentrieren will. Mit Xerox kommt zudem eine Weltmarke zurück an die Messe, vielleicht der Anfang einer positiven Entwicklung? «Ich bin überzeugt, dass nach dem Boom und der darauffolgenden Baisse sich jetzt eine Etablierung einstellt», so Palmisani. Er glaubt, dass sich Unternehmen zunehmend wieder einen Auftritt an der Orbit-iEX überlegen werden. «Vielleicht werden die Präsenzen nicht mehr so gigantisch wie früher, dafür regelmässiger und verlässlicher.»


Klein fängt dieses Jahr beispielsweise die Grossbank Credit Suisse an: Mit der erstmaligen Präsenz will man sein Engagement im Rahmen der Informatica 08 betonen und damit die starke Position der Informatik für eine mittel- bis längerfristige Zukunft sichern. Die Orbit-iEX biete dafür eine gute Plattform.

Orbit-iEX hat Sogwirkung

Das sieht auch Malte Polzin, Marketingleiter beim Mägenwiler Distributor Brack, so: Brack ist seit Jahren an der Orbit-iEX, nach Aussagen von Polzin mit grossem Erfolg: «Die Orbit-iEX hat für uns eine Sogwirkung. In Kombination mit herkömmlichen Marketingaktivitäten haben wir noch jedes Jahr sehr attraktive Leads generieren können.» Auch er ist zuversichtlich, dass sich der Trend zugunsten der Orbit-iEX drehen wird: «Die Konsolidierung ist abgeschlossen, der Wendepunkt ist erreicht.» Jetzt wünscht sich Brack die grossen Hersteller zurück an die Messe: «Zwar profitieren wir auch von der Absenz einiger Hersteller, weil wir dadurch ihre Vertretung sein und zudem unsere eigenen Produkte verkaufen können. Allerdings hätte die Orbit-iEX auch wieder eine grössere Sogwirkung, wenn sie wieder zur repräsentativen IT-Messe zurückfinden würde», so Polzin.
Einer der Grossen ist schon seit Jahren immer dabei. Novell betreibt auch heuer einen 300-Quadratmeter-Stand, zusammen mit zehn Partnern. Der Grund dafür ist simpel, es rechnet sich schlicht: «Die Orbit-iEX lohnt sich für uns, wir generieren qualitativ hochstehende Leads. Wäre das nicht so, wären wir nicht an der Messe», sagt Country Manager Gernot Keckeis. Ausserdem sei es eine optimale Plattform für Austausch und Orientierung. Man müsse sich und den Kunden nur genug Zeit und Raum lassen, dann laufe auch das Geschäft. Novell installiert deshalb dieses Jahr eine Chillout-Lounge für seine Besucher. Vielleicht ist es das, was die Orbit-iEX schliesslich rettet: Wenn die Branchenparty so gut ist, dass niemand sie verpassen will. Geselligkeit ist gefragt - so entsteht Verbundenheit. (Claudio De Boni)


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