Bildungsmotor stottert am IT-Himmel

Die Ausbildung zum Informatiker steckt in der Krise. Die Branche rüstet im Jahr der Informatik nur schwerfällig zu einer besseren Basis. Robotik hilft.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2008/08

     

Die beste Werbung für Techniknachwuchs - speziell in der Informatik - ist der Roboter. Die spielerische Art für Informatik zu werben, wird seit Jahren von Fachhochschulen und Universitäten im Bereich künstliche Intelligenz gefördert. «Wenn ich mit einem ferngesteuerten Roboter in der Schule herumlaufe, habe ich garantiert eine Traube begeisterter Zuschauer hinter mir, die alles andere sofort stehen und liegen lassen», gibt Microsofts Tandy Trower als Antwort, von IT Reseller auf das Schweizer Nachwuchsproblem und seine Motivationstipps angesprochen. Trower ist seit 20 Jahren beim Softwareriesen und der geistige Vater des «Robotics Studio».


Robotik-Wettbewerbe sind ein fest verankerter Teil der Nachwuchsförderung, beispielsweise die weltweite Meisterschaft «Eurobot» oder die Roboterfussball-WM «Robocup». Bei letzterer gewann 2007 ein Team der ETH Zürich die drei Demo-Wettbewerbe für Nano-Roboter. Die Hochschule für Technik in Rapperswil hat 2007 zum fünften Mal die «Robolympics.ch» ausgetragen. Netcetera und Adnovum haben in diesem Jahr den Projektwettbewerb «Robot Team Challenge» für Teams aus Mittelschulen der deutschsprachigen Schweiz gestartet.

Robotik-Pionier setzt Zeichen

Mit Rolf Pfeifer, dem Informatik-Departementsvorsteher der Universität Zürich, hat ein Schweizer die moderne Robotikforschung weltweit mitgeprägt. Sein Förderprojekt «Dream», ein Roboterbausatz für Schüler nach modernsten Erkenntnissen, haben wir in der Ausgabe 804 vorgestellt («Traum-Projekt aus Zürich»).

Das Labor für künstliche Intelligenz der Universität Zürich hat sich vor allem der Theorie des sogenannten «Embodiment» (dt. Verkörperung) verschrieben, worin sich Intelligenz nicht auf Algorithmen reduzieren lässt. Dieses Informatik-Forschungsgebiet geht thematisch bis in die Biologie hinein und beweist die Umfassenheit der zukünftigen Anwendungen der IT. Angesichts dessen ist eine Reform des IT-Verständnisses in der breiten Gesellschaft umso dringlicher.


Das Nachwuchsproblem der Informatikbranche hindert viele Unternehmen am Wachstum. Lösungen werden zahlreicher und konkreter. Zuerst wurden die Frauen angegangen (siehe Ausgabe 803 von IT Reseller: «Informatik-Lockstoffe zur Frauenjagd»). Das Jahr der Informatik erreichte bisher zumindest eine gestiegene Aufmerksamkeit gegenüber den Problemen der Branche: Rückgang des universitären Nachwuchses, fehlende Lobbystärke in Parlamenten, zersplitterte Verbände, fehlende Aufmerksamkeit an sich und fehlendes Allgemeinwissen in der Gesellschaft über Kernthemen der Informatik.

Einigung der Verbände als Basis

Mit der Gründung des ICT Council (17 der grössten IT-Unternehmen) und den Fusionsgesprächen der Verbände ICT Switzerland, Swiss ICT und der Schweizerischen Informatikgesellschaft (SI) haben die bisher zersplitterten Interessensvertretungen ein Zeichen gegeben zu mehr Einheit und Schlagkraft. Die Hasler-Stiftung investiert 20 Mio. Franken in den nächsten 10 Jahren für den IT-Nachwuchs. «Fit in IT» ist als Roadshow in Mittelschulen unterwegs und mit dem «Swiss Computer Science Challenges Award» verleiht die Hasler-Stiftung einen Preis für zukunftsweisende Forschungsideen in der Informatik.

Die technischen Universitäten haben mit dem mangelnden Nachwuchs zu kämpfen, da Gymnasiastinnen, die rund zwei Drittel der Mittelschulen ausmachen, meist lieber woanders studieren. «Das im Juni 2007 neu zugelassene Ergänzungsfach Informatik, ein Maturitäts-Wahlfach für Interessierte, ist in den Gymnasien konkret einzuführen, mit qualifizierten Lehrkräften für anspruchsvolle Lerninhalte», sagt Carl August Zehnder, emeritierter Informatik-Professor der ETH Zürich. «Lehrer müssen kompetenter werden», verlangt die Zürcher CVP-Nationalrätin Kathy Riklin, Vorstandsmitglied Swiss ICT.


Und selbst bei den Lehrlingsausbildungen sind die Eintritte nachlassend, mit ohnehin knappem Angebot. Dabei wächst jedes Kind nicht erst seit gestern mit Informatik auf: Die Gameboy-Generation ab 1990 als Beispiel ist seit Jahren im Berufsleben aktiv und hat teilweise schon selbst Kinder. Die heute in der Blüte des Lebens stehende Generation der 30- bis 40-Jährigen ist die erste, die von Kindsbeinen mit Computern als Bestandteil des täglichen Lebens aufwachsen konnte - oder wenigstens die Chance dazu hatte: Wer konnte sie nutzen?

IT Reseller meint

Das Jahr der Informatik «Informatica 08» hat der Schweizer IT-Branche bisher mehr Publizität gebracht. Die Nachwuchsprobleme sind zu gravierend, um ignoriert zu werden - immerhin soviel ist in die Massenmedien und nun auch als Weckruf in die Köpfe der Verbandsoberen durchgedrungen. Bisher ist das meiste aber nur ein Tropfen auf den heissen Stein und Visionäre wie Rolf Pfeifer stehen in der Gefahr, zu ­Unrecht als Phantast abgetan zu werden. Das Grossprojekt «Informatica 08» erinnert an eine blinde Kuh; als Ideen- und Event-Sammelbecken ist es eher zersplittert als umfassend - aber besser als gar nichts.
Solange beispielsweise über Spiele als Mordinstrumente diskutiert wird, ist die Gesellschaft mit Computern im allgemeinen auf Kriegsfuss und ersetzt ihr Unwissen mit Ängsten gegenüber Neuem. (Marco Rohner)


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