Jürg Gutknecht - Der Computer-Mathematiker

ETH-Professor Jürg Gutknecht hat sich in der weltweiten Informatik-Branche mit der Entwicklung der Oberon-Sprache und des Oberon-Betriebssystems einen Namen gemacht. Gemeinsam mit Niklaus Wirth setzt er 1985 im Palo Alto Research Center von Xerox die Design-Ziele für Oberon.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2007/19

     

Als einer seiner profiliertesten Schüler hat Jürg Gutknecht die Schule des Niklaus Wirth verinnerlicht. Gemeinsam mit seinem dritten und bisher letzten Mentor bringt er 1988 mit dem Ceres-Computer (basierend auf National Semiconductor Prozessor) und dem Oberon-Betriebssystem das Gelernte zur Reife. Noch heute ist Gutknecht hin und wieder von den Resultaten und deren Folgen überrascht. Beispielsweise nutzt die Hunzenschwiler Maschinenbau-Firma Colortronic zur Steuerung ihres automatischen Dosier- und Abfüllsystems eine Software auf Basis von Native Oberon (Oberon für Intel-PC, mit dem Gadgets Component Framework), das die Firma Radiar unter der Leitung von Josef Sedlacek in Sent (GR) entwickelte. «Das Echtzeit-Steuerungssystem der Firma Colortronic basiert auf meiner ursprünglichen Gadgets-Version von Native Oberon, die eigentlich nicht als Echtzeit-Anwendung konzipiert worden war», sagt Jürg Gutknecht mit hochgezogenen Augenbrauen, und seine Augen beginnen zu glänzen. «Es kommt schon fast einem Wunder gleich, wie gut es dennoch funktioniert bis heute.» Leiser Zweifel schwingt in den Worten des Forschers mit, der ständig dem Drang unterworfen ist, das eigene Werk zu hinterfragen. Wie er es schon damals im renommierten Xerox-Labor tat.

Schlechtes Beispiel als Vorbild

Gutknecht ist 1985 für ein Jahr in Kalifornien, um einen Sabbatical im Xerox-Labor zu absolvieren. «Ich war das erste Mal in Amerika. Kalifornien war fantastisch. Der Aufenthalt hatte etwas Magisches.» Das Labor sei mit der Ausstattung und einer Vielzahl an Projekten überwältigend gewesen. «Man hat dort die Komplexität zuge­lassen und gepflegt hier an der ETH ist das Ziel, sie zu vermeiden», sagt Gutknecht. «Ich schrieb einen Compiler für den Dragon-Computer. Normalerweise stürzte mein Computer nur einmal pro Tag ab. Nach einem System-Update passierte das fünfmal pro Tag.» Gutknecht glaubte an einen Fehler, der bald behoben werde. Doch es war ernst. «So fragte ich den Verantwortlichen, ob das ein Fortschritt sei, und er bejahte, denn vorher wusste er nicht, warum das System funk­tionierte und nun wisse er wenigstens, warum es nicht funktionierte.» Gutknecht schmunzelt: «Das ist nicht gemeisterte Komplexität.»

Oberon ist genau das Gegenteil. «Unser Ziel mit Oberon war das Vermeiden von Geheimnissen: Das Computersystem soll durchgehend transparent sein bis zur Hardware», beschreibt Gutknecht die Aufgabenstellung bei Oberon. «Das Vereinfachen von Prozessen ist die grosse Kunst Wirths.» Oberon ist seit dem Bestehen fester Bestandteil des ETH-Lehrplans: Früher noch als obligatorischer Basiskurs und bis heute als Vertiefungsfach im Systembau bei Professor Gutknecht.


Neben Wirth zählt Gutknecht zwei weitere Mentoren auf, die ihn in den drei wichtigsten Abschnitten seiner Karriere begleitet und gefördert haben. Dies sind der Franzose und IBM-Mitarbeiter Henry Sueré, der ihn vom Programmierer-Job bei Swissair als Werkstudent zu IBM holte und zum ETH-Studium ermunterte, und der Rektor der Kantonsschule Heerbrugg, Beat Fürer, der Gutknecht nach dem Doktorat und der ETH-Lehrausbildung als Mathematik-Professor beschäftigte. «Die Lehrtätigkeit macht mir viel Spass: Das hätte ich, wie vieles in meinem Leben, nie vorausgeahnt. Eigentlich war ich in der Schule nicht interessiert an Mathe, und Computer waren mir damals nicht bekannt», sagt Gutknecht.

Computer-Pionier bei der Swissair

Gutknecht ist im Zürcher Unterland aufgewachsen und immer technikinteressiert gewesen. «Ich habe die fliegerische Vorschulung absolviert und interessiere mich seit jeher für Autotechnik, aber spezielle Berufswünsche hatte ich keine.» Gutknecht befindet sich nach der Matura im Albani Club in Winterthur, als ihn ein Kollege auf einen neuen, interessanten Job bei Swissair aufmerksam macht; er findet seine erste Berufung als Programmierer eines der ersten Online-Buchungssysteme der Welt und probiert zur Nachtzeit als Operateur des IBM 360 dessen Funktionen bis zur Beherrschung aus. «Mein erstes Programm, das ich je geschrieben habe, hat gleich funktioniert. Bei Computern hatte ich von Anfang an das Gefühl, dass ich verstanden werde. Bei meinen bisherigen Lehrern war das selten der Fall.»

Der IBM-Mitarbeiter Sueré, Supporting-Partner der Swissair, animiert Gutknecht zum Studium, um weiter zu kommen, und offeriert ihm eine Werkstudentenstelle am selben Ort, aber als Systemprogrammierer über IBM. «Es war eine schwere Entscheidung. Ich entschied mich erst zögerlich für Mathematik, fand aber bald die totale Begeisterung.» Die Faszination für Computer, die ihn vorher leitete, schiebt er vorübergehend in den Hintergrund.


Wie sein Bruder begeistert Gutknecht sich in dieser Zeit für Mathematik und verschreibt sich dieser. «Mit ihm teile ich meine intensivste Beziehung; wir haben uns früher immer gegenseitig angespornt. Der Kontakt mit ihm inspiriert.» Erst der Kontakt mit einem Apple II und der Sprache Pascal bringt Gutknechts Interesse für Computer zurück. «Beim reinen Interesse blieb es vorerst. Ich kannte Wirth nicht persönlich, wusste aber von seiner ETH-Präsenz und seinem Ruf. Ich war aber nie an einer seiner Informatik-Vorlesungen. Wirth hat mich eingeladen und den Lilith vorgeführt. Das Projekt hat meine Faszination zurückgebracht, und ich wollte daran teilhaben.» (mro)

Steckbrief: Jürg Gutkecht

Jürg Gutknecht ist Professor am Informatikdepartement der ETH ­Zürich. Als Vorsteher der Informatik-Abteilung führte er 1995 das erste Kreditsystem nach US-Muster an der ETH Zürich ein. Er wurde 1949 in Bülach (ZH) geboren. Von 1967 bis 1970 arbeitete er in der Echtzeitsystemprogrammierung bei Swissair. Von 1970 bis 1974 studierte er ­Mathematik an der ETH und war Werkstudent bei IBM. 1978 promovierte er mit einer Dissertation über differenzierbare Funktionenräume zum Dr. sc. math. Nach drei Jahren als Mathematiklehrer trat er 1981 in die Lilith-/Modula-Forschungsgruppe von Prof. Niklaus Wirth ein. 1985 wurde er zum Assistenzprofessor gewählt. Mit Wirth entwickelte er die Oberon-Programmiersprache und das gleichnamige Betriebs­system. Sein momentaner Forschungsschwerpunkt liegt im Gebiet der ­Programmiersprachen, Compiler und Laufzeitsysteme, speziell in den Bereichen Objektmodelle und Komponententechnologie. Seine neuesten konstruktiven Kreationen sind die «Zonnon»-Sprachevolution und die «Bluebottle»-Laufzeitplattform.


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