Jedem seinen Fernsehsender

Mit dem Online-Dienst Kyte will der Schweizer Daniel Graf die Fernsehwelt auf den Kopf stellen. An seine Vision glauben Branchen-Grössen wie der bekannte Risikokapitalgeber Tim Draper oder Skype-Gründer Niklas Zennström.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2007/07

     

Bislang waren Schweizer in der Start­up-Szene rund um San Francisco und das legendäre Silicon Valley eher spärlich vertreten. Doch nach dem ETH-Informatikingenieur Urs Hölzle, der bereits ein Jahr nach der Gründung im Jahr 1999 bei der damaligen Jungfirma Google in Mountain View anfing und jetzt als Senior Vice President in deren oberstem Management sitzt, schickt sich jetzt ein kleiner Schweizer an, zum Superstar des vielzitierten Web 2.0 zu werden. Die Rede ist vom gebürtigen Rheintaler Daniel Graf (Bild), der mit seiner Firma Decentral.tv in San Francisco und dem Onlinedienst Kyte (ab heute offiziell im Internet unter der Adresse Swisscom.kyte.tv erreichbar) die Fernseh- und Medienwelt aufmischen will.

Mehr als Youtube fürs Handy

«Kyte erlaubt es dem Benutzer, seinen eigenen TV-Kanal im Internet zu übertragen», so Graf anlässlich eines kürzlichen Blitzbesuchs in der Schweiz zu IT Reseller. Jedermann kann in Echtzeit Fotos, Videos, Texte, Audio-Dateien sowie auch andere, teilweise interaktive Multimedia-Inhalte wie Umfragen oder Chats auf seinem Kanal publizieren. Vom PC aus oder entsprechende Java-Software vorausgesetzt auch direkt mit dem Handy. Andere Benutzer können diese Kanäle jederzeit und von überall her anschauen. Wenn der Kanal-Besitzer es erlaubt, können sie bestehenden Kanälen eigene Inhalte hinzufügen.
Das eigentlich Neue an Kyte, das den Dienst von einem harmlosen Multimedia-Blog fürs Handy unterscheidet, ist, dass sämtliche Zuschauer eines Kanals immer live miteinander verbunden sind und jederzeit miteinander in Kontakt treten können. Wenn also jemand auf der Strasse an ein Ereignis herantritt, dieses mit seinem Handy abfilmt und den Clip anschliessend auf seinen Kyte-Kanal hochlädt, kann ein Zuschauer von irgendwo auf der Welt dem «Kameramann» via Chat Nachrichten senden und diesem etwa die Anweisung geben, den Blick seiner Kamera einmal einige Meter mehr nach rechts oder nach links zu richten. Der Kanal-Macher weiss immer, wie viele Zuschauer seine Sendung gerade hat. Wenn auf einem Kanal eine Meinungsumfrage aufgeschaltet ist, wird der neueste Stand nach jeder abgegebenen Stimme an alle Zuschauer übermittelt.
«Man kann sich unschwer vorstellen, was Kyte für Auswirkungen dar­auf haben könnte, wie über ein Ereignis berichtet wird», meint Graf. Traditionellerweise seien es die Kameras der TV-Sender, die sich auf das Weltgeschehen richteten. Künftig könnten die Bilder zu Ereignissen, aber auch von Dutzenden von Kyte-Amateuren stammen, die ihre persönliche und unverfälschte Sicht der Dinge auf unzähligen und vor allem unzensurierten Kanälen im Internet publizieren. Vor diesen möglicherweise mehr als hundertköpfigen Reporter-Monstern sollten die etablierten TV-Sender auf der Hut sein.

Silicon-Valley-Prominenz im VR

Offenbar glauben nicht nur Graf und sein Mitstreiter der ersten Stunde, der amerikanische Programmierer Erik Abair, an die Chancen der Anwendung: 2,25 Millionen Dollar haben nämlich bisher so bekannte Risikokapital-Firmen wie etwa Draper Fisher Jurvetson in Decentral.tv gesteckt. Im Verwaltungsrat des Unternehmens sitzt unter anderem der Technologie-Dinosaurier Tim Draper höchstpersönlich, der bereits bei Hotmail als Investor seine Finger im Spiel hatte. Ebenfalls in Kyte investiert hat Atomico Investment. ­Dahinter steckt kein Geringerer als
der Gründer des VoIP-Telefondienstes ­Skype, Niklas Zennström.
Heute Montag ist Kyte erstmals in Deutschland, der Schweiz, den USA und England für die breite Internet-Öffentlichkeit verfügbar. Ab sofort kann jeder seine Kanäle aufschalten und mit dem Senden seiner persönlichen Inhalte beginnen. Dank einer Partnerschaft mit Swisscom können Benutzer den Dienst in der Schweiz mit dem Handy während einer gewissen Zeit gebührenfrei testen. Ob Kyte die Massen tatsächlich begeistern wird, bleibt abzuwarten. (bor)

Der Weg zu Kyte.tv

Einen ersten Prototypen für den Dienst entwickelten Daniel Graf und Erik Abair zwischen Juli und Dezember 2005, nachdem die beiden beim Weltkonzern Philips ausgestiegen waren. Dort hatten sie zusammen mit einem kleinen Team von Ingenieuren für die Streamium-Produktelinie verantwortlich gezeichnet, mit der Multimedia-Inhalte vom Computer oder aus dem Internet ins Wohnzimmer transportiert werden. Kyte war anfänglich mit dem Blick auf interaktives Fernsehen für TV-Sender entwickelt worden. Als der Social-Networking-Boom mit den Phänomenen Myspace und Youtube anhielt, wurde Graf und Abair klar, dass der wahre Knüller persönliches, durch die Benutzer ­gestaltetes Fernsehen sein würde.
Durch die Ansammlung von so genanntem «User Generated Content» (Inhalten, die Benutzer selber erstellen) hofft Graf auch, urheberrechtliche Probleme mit den Inhabern ­bestehender Rechte zu vermeiden, wie sie gegenwärtig den von Google gekauften Video-Riesen Youtube ­plagen.
Der Zusammengang mit einem amerikanischen Startup, das über ­eine passende Mobil-Plattform verfügte, um das ursprünglich lediglich für den PC entwickelte Kyte aufs Handy zu bringen sowie erste Treffen mit prominenten Geldgebern im Silicon Valley, taten das ihre. Nach weniger als zwei Jahren steht Kyte jetzt am Start, um die Internet-­Massen zu begeistern. (bor)


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