Strukturprobleme im ERP-Markt

Zum vierten Mal stellt das Zürcher Marktforschungs- und Beratungsunternehmen i2s in Zusammenarbeit mit IT Reseller die Ergebnisse der ERP-Zufriedenheitsstudie vor. Das Ergebnis zeigt, wie sich die Marktbewegungen aus Sicht der Anwender darstellen. Das Bild, das sich abzeichnet, ist nicht eben vorteilhaft für alle Anbieter.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2006/17

     

Der ERP-Markt boomt wieder. Dies zeigt sich an verschiedensten Aktivitäten. So investieren Finanzinvestoren notabene deutlich besser organisiert als die Kleinaktionäre der E-Business-Blase vermehrt und an verschiedenen Stellen in den ERP-Markt. So sind die Investoren, die unter dem Namen Infor Global Solutions agieren, einem wahren Kaufrausch verfallen und haben mittlerweile fast ein Dutzend mehr oder weniger namhafter Systeme im Portfolio. Microsoft wie SAP lancieren Technologieinitiativen und stecken ihr Geld in die Technologieentwicklung.
Aber auch die kleineren und regionalen Anbieter bleiben nicht stehen: Die Jurassier von Pro-Concept sponsern auch mal den Wetterbericht im Radio und der Zürichsee-Anrainer Medeas wartet mit einem brandneuen .NET-basierten System auf. Eher versteckt wird der eine oder andere Anbieter saniert und das heisst in aller Regel an erster Stelle eine Minimierung der Entwicklungskosten, das Freisetzen von festangestellten Beratern und ein vermehrtes Offshoring der Entwicklung. Der Boom hat also auch seine Schattenseiten und mit jedem Boom mehren sich die Fehler auf beiden Seiten bei Anbietern wie bei Anwendern.

Herausforderung Kundennähe

Die Studie zeigt deutlich, wie wichtig die Nähe zum Kunden ist. Kleine, regionale Anbieter haben diese mit einer gewissen Selbstverständlichkeit und erhalten daher stets gute Noten. Regionale Anbieter, die wachsen, verlieren diese Kundennähe irgendwann. Der Übergang ist dann beinahe schlagartig. Persönliches Engagement, das bisher als Allheilmittel gedient hat, funktioniert wegen der immer grösseren Kundenzahl plötzlich nicht mehr.
In diese Falle scheint Pro-Concept gelaufen zu sein – anders ist die deutlich schlechtere Bewertung des Schweizer Softwareanbieters nicht zu begründen. Der Hersteller erhielt von seinen Kunden in der Bewertung der Implementierungspartner dieses Jahr eine um 0,55 Punkte tiefere Note als bei der ersten Durchführung der Studie im Jahr 2003 (s. Tabelle Veränderungen in der Systembewertung). «Pro-Concept wies in den letzten drei Jahren jeweils ein zweistelliges Umsatzwachstum aus und musste dementsprechend den Mitarbeiterbestand aufstocken. Innerhalb von vier Jahren ist die Firma von 93 auf 140 Mitarbeiter gewachsen. Über 90 Prozent der neuen Mitarbeiter sind Projektleiter», sagt dazu Marketingleiter Laurent Gfeller. Eine niedrige Personalrota­tion von 1 bis 2 Prozent hätte die Arbeiten der neuen Projektleiter erschwert, da die Kunden sich daran gewöhnt hätten, dass Pro-Concept-Mitarbeiter normalerweise über zehn Jahre bei der Firma waren und entsprechende Produktkenntnisse mitbrachten. Für neue Mitarbeiter sei deshalb die Einführungsarbeit schwer gewesen und das von den älteren Kollegen gesetzte «Niveau» erst nach langer Schulung erreichbar. Zusätzlich hätten der Kauf einer Firma und die Integration von IS-E und Nest in die eigene Produkt­linie die Situation weiter erschwert. Gfeller: «Für all diese Nischenmärkte haben wir Mitarbeiter mit Branchenkenntnissen eingestellt und diese auf unsere Produkte schulen müssen. Gewiss müssen wir heute einsehen, dass der Erfolg am Markt zu rasch kam und dass unser Consulting-Team noch nicht vollständig für ein einwandfreies Auftreten ausgebildet war.»
Kundennähe ist aber auch eine der Herausforderungen, der sich die Global Player, etwa Microsoft und Oracle, stellen müssen. Anbieter mit Konzernzentralen, die «amerikanisch» denken, werden es auf dem Schweizer Denk- und Werkplatz immer schwer haben.

Herausforderung Partnerqualität

Die meisten Anbieter starten als Generalisten, das heisst, Beratung und Systementwicklung kommen aus einer Hand. Mit dem Zwang zum Wachstum und dem Ziel, die Economies of Scale zu erreichen, sind Anbieter gezwungen, ihre Produkte über Partner zu vertreiben. Bei den Global Playern ist dieser Umstand eine Selbstverständlichkeit. Dennoch lassen die Partner-Infrastrukturen bei vielen Anbietern stark zu wünschen übrig. Auch hier ist SAP wohl der einzige Anbieter, der über Jahre hinweg eine umfassende Partnerstruktur aufgebaut hat - wenn man die Betrachtung auf den R/3- bzw. mySAP-ERP-Bereich beschränkt.
Der grosse Konflikt liegt hier im Kampf zwischen Quantität und Qualität. Möglichst viele Partner bedeutet ein deutlich höheres Potential an ­Verkäufen. So werden die meisten Partner-Awards noch immer über ­Lizenzumsätze bestimmt. Häufig werden neue Partner ernannt, ohne dass wirkliches Implementations-Know-how vorliegt. Die Qualität bleibt da schnell auf der Strecke. Wie bei Oracle, Microsoft und SAP im Bereich Business One in den letzten Jahren neue Partner akquiriert wurden, ist sehr problematisch. Letztlich werden die Partner über überrissene Umsatz­erwartungen geködert, die Qualität bleibt aber auf der Strecke. Spektakuläre Partnerabgänge, wie etwa bei SAP durch RedIT, bleiben da natürlich nicht aus.

Herausforderungen Dienstleistungsinfrastruktur

Vielen Anbietern fehlt es noch immer an einer Dienstleistungsinfrastruktur, die den Projekterfolg absichert. An erster Stelle steht hier die Möglichkeit, Berater zu schulen - auch über langfristig ausgelegte Ausbildungspläne. In der Schweiz haben nur die wenigsten Anbieter, die über Partner am Markt agieren, für die Mitarbeiter und Berater der Partner auch wirkliche Ausbildungskapazitäten. Ein Blick in die Vergangenheit beweist, dass dieser Umstand schnell zum Engpass und zum Misserfolgsfaktor werden kann.
Weitere Themen sind aber auch das Vorhandensein eines professionellen Helpdesks, die umfassende Dokumentation sämtlichen Wissens rund um das System, die Projektmethodik in einem Internet-Marktplatz, aber auch die Verfügbarkeit von Experten ­etwa Datenbankspezialisten, die kleinere Partner gezielt und tageweise im Rahmen eines Projektes einsetzen können.

Beispiel für strenge Partnerkriterien

Informing beispielsweise baut derzeit ein Partnernetzwerk auf, um mittels eines Grösseneffekts zunehmende Skalenerträge zu erzielen. Die Kriterien der Partnerstrategie des Innerschweizer ERP-Herstellers sehen neben der Vermeidung von Vertriebskollisionen klare Definitionen für die Partnerwahl vor. Dazu Urs Bachmann, Geschäftsführer von Informing: «Neben Bekanntheit und Ansehen unserer Partner am Markt spielen für uns Kriterien wie Dienstleistungsqualität, Kundenservice, das Vorhandensein einer Hotline, die örtliche Kundennähe, die Sicherstellung von Marketing-Know-how, Kapitalverfügbarkeit, Personalressourcen und Mitarbeiterqualifikation im bezug auf Beratung, Betriebswirtschaft und Implementation eine grosse Rolle bei der Auswahl eines Partners. Dabei», so Bachmann, «müssen Informing-Partner bereit sein, in die Partnerschaft zu investieren, ihre Mitarbeiter auszubilden und mit uns einen gemeinsamen Business-Plan zu erstellen.» Man wolle Referenzen schaffen, nicht bloss Software verkaufen, beteuert er.

Herausforderung Personal

Letztlich ist ERP-Business People-Business. Leider bietet die ERP-Zufriedenheitsstudie keinen Einblick in die Fluktuationszahlen bei den Beratern der Anbieter. Sicher ist die ERP- und IT-Branche aber ein Bereich, der unter grossen Fluktuationen leidet. Problematisch ist insbesondere, dass die Arbeit als Berater noch immer ein Lebensabschnittskonzept ist.
In der Folge gibt es einfach zu wenig Berater und insbesondere Projektleiter, die wirklich erfahren sind. Wie wichtig dieser Faktor ist, zeigt sich dort, wo Anbieter in der Studie plötzlich absacken. Hier ist in aller Regel nicht urplötzlich das Produkt viel schlechter. Der Grund liegt häufig einfach darin, dass es nicht genügend erfahrene und langjährige Berater gibt, um die steigende Kundennachfrage zu bedienen.
Zweitklassige Berater führen aber innerhalb kürzester Zeit zu unzufriedenen Kunden. Personalentwicklung und die Planung von Personalressourcen sind daher eine der vordringlichsten Aufgaben. Die Frage, ob ein guter Programmierer - Know-how im Bereich Java, .NET, aber auch ABAP und RPG sind heute breit verfügbar - ausreicht, um einen guten ERP-Berater auszumachen, kann jedoch geflissentlich verneint werden. (Eric Scherrer, I2S)


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