Vom Front- zum Backend

Ohne die Integration von Applikationen und Business-Prozessen geht nichts mehr. Das merken auch die Webdienstleister.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2005/05

     

«Eine reine Webagentur ist kein Geschäft mehr», sagt Hansjörg Widmer, seit kurzem Geschäftsführer von GFT Schweiz, «heute muss man mehr bieten können.» Gemeint ist die Fähigkeit, Applikationen und Prozesse mit E-Business-Anwendungen zu integrieren.
Dabei ist es noch nicht lange her, dass Systemhäuser und Webagenturen zwei grundlegend verschiedenen Welten anzugehören schienen: Hier die klassischen IT-Dienstleister, dort die bunten Vögel, design-verliebt und mit neuen Business-Modellen kokettierend. Doch das hat sich so gründlich verändert wie der Begriff «web-basiert»: IT-Lösungen auf der Basis von Webtechnologien wurden «courant normal». Eine wachsende Zahl von Anwendungen und Dienstleistungen nutzt das Web als technologische Basis, neue Entwicklungen finden fast ausschliesslich auf der Basis von Webtechnologien statt. Ermöglicht wurde dies durch XML und die Normierung der Schnittstellen, Standards wie Java und .Net und durch den Zugriff auf komplexe Business-Logik mittels Web-Services.
Richard Dratva, Vizepräsident des Verwaltungsrates und Chef-Stratege
von Crealogix, resümiert: «Vom IT-
orientierten Host-System führte die Entwicklung zum Business-Blickpunkt der Client/Server-Umgebungen und schliesslich zum kundenorientierten Web. Dort spielt heute die Musik. Front- und Backend wachsen zusammen. IT- wie Webdienstleister müssen sich der neuen Situation anpassen. Als Unternehmen, das mit den Internet-Technologien und mit offenen Standards gross wurde, müssen wir dafür im Gegensatz zu anderen keine festgefahrenen Gleise verlassen und uns nicht grundlegend neu orientieren.»
Widmer dagegen meint: «GFT ist historisch im Projektgeschäft mit Individual-Software und Integration gewachsen. Erst der Börsengang des deutschen Mutterhauses und die Fusion mit der ehemaligen Pixelfactory brachte die Welt des Webs und der schönen Bilder in unser Haus. Das war zur Zeit des Internet-Booms. Heute hat sich das wieder relativiert. Ohne Systemwissen und Software-Grundlagen für die Optimierung von Business-Prozessen geht es nicht mehr, und wir profitieren jetzt von unseren Anfängen. So sind wir in der Lage, von der Analyse über Software Engineering mit Ergonomie-Einbindung bis zum Dokumentenmanagement alles aus einer Hand anzubieten. Das gibt uns einen Vorteil gegenüber Mitbewerbern, die direkt ins Web eingestiegen sind.»
Claudio Dionisio, Partner bei Namics und Mitglied der Geschäftsleitung, betont: «Namics hat sich nie ausschliesslich als Webagentur verstanden. Wir waren ursprünglich ein Spin-Off der Uni St. Gallen, da liegt es auf der Hand, dass Wertschöpfungsprozesse für uns immer zentral waren. Heute nutzen wir dafür Möglichkeiten wie XML, RSS und Realtime-Lösungen, bei denen immer öfter auch RFID (Funk-Etiketten) und andere mobile Lösungen integriert werden.»

Die Frontend-Zeiten sind vorbei

Die Zeiten, wo sich Webagenturen auf das Frontend beschränken konnten, sind vorbei. Die Vernetzung mit Partnern, Kunden und Lieferanten macht die Verbindung von ERP (Enterprise Ressource Planning) mit den E-Business-Anwendungen und den Einbezug verschiedener Plattformen und Endgeräte zum zentralen Thema. Dratva: «Das wächst allmählich alles zusammen. Crealogix ist Microsoft-Partner für Axapta. Bereits heute teilen sich bei uns die Geschäftsbereiche Internet und ERP je zur Hälfte in den Umsatz. Mit der nächsten Generation dürften ERP und E-Business in einem einzigen Produkt vereinigt sein. Vorläufig aber dürfen wir noch Integrationsarbeit leisten. Dies tun wir zurzeit beispielsweise mit einem grösseren Ausbildungsprojekt der Bankiervereinigung, in welchem wir unsere internet-basierenden E-Learning-Lösungen und ERP – mit unserem Standard-Produkt für Schulen – integrieren.» Dionisio erklärt: «Auch wenn ursprünglich das Frontend bei den Webagenturen im Vordergrund stand, wurden sie durch den Einbezug von Intra- und Extranets doch schon früh mit Integrationsaufgaben konfrontiert. E-Business und Internet-Boom haben den Unternehmen klargemacht, wie problematisch Insellösungen sind. War die Integration vorerst eine rein technische Aufgabe, so sind wir mit dem Aufkommen von Business-Process-Integration immer öfter in strategische Entscheide eingebunden. Ein Online-Shop beispielsweise besteht ja nicht nur aus dem Frontend, sondern beinhaltet auch Datenbanken, Transaktionen und anderes, das die Geschäftsabläufe beeinflusst.»

Der Trend zur Integration

Heiner Grüter, CEO von Unic Internet Solutions, stellt fest: «Integration und der Einbezug des Backend in Web-Projekte entsprechen einem allgemeinen Trend. Dafür sehe ich drei Gründe: Erstens sind betriebswirtschaftlich erfolgreiche Lösungen meist integrierte Lösungen. Zweitens gibt es immer mehr erfolgreiche Beispiele, die unsere Kunden als Referenz heranziehen können. Und drittens setzen sich immer mehr Standards durch, welche die Integration vereinfachen. Integration ist kein Husarenritt mehr, sondern die Folge realistischer Kosten-Nutzen-Überlegungen.» Und er erläutert: «Mit ein bisschen Integrationserfahrung kann heute niemand mehr einen Blumentopf gewinnen. Entscheidend ist, dass man sich als Dienstleister auf die Bedürfnisse und Voraussetzungen der Kunden ausrichtet und ein breites Spektrum an Fähigkeiten mitbringt. Wenn wir etwa Systeme zum Management von Produktkatalogen entwickeln, so liegen die Daten im einen Fall bereits in brauchbarer Form im ERP-System und wir binden unsere Lösung an. Im anderen Fall ist unsere Lösung das Lead-System, und das bestehende ERP- oder CRM-System übernimmt unsere Daten. Nebst betriebswirtschaftlicher und technischer Kompetenz ist vor allem Flexibilität und Pragmatismus gefordert.»
Widmer von GFT: «Wir verstehen uns eigentlich als ziemlich bodenständige Entwickler, die allerdings auch über ihren Tellerrand hinaus schauen. In der Schweiz arbeitet GFT für den Bereich Media und Frontend mit externen Mitarbeitern zusammen. Zurzeit realisieren wir zum Beispiel ein mediales Marketingprojekt für einen grossen Schweizer Retailer, bei dem es um die Verknüpfung von Internet, Handy und Point-of-Sales geht.» Dionisio betont, dass die Hälfte der rund 130 Mitarbeitenden bei Namics technisch orientiert sei, während etwa 30 Prozent betriebswirtschaftlich ausgerichtet seien und sich rund 15 Prozent mit Design beschäftigen: «Wir sind eine der wenigen übriggebliebenen Full-Service-Agenturen. Doch selbst der beste Generalist kann heute nicht mehr alles wissen. Eine gewisse Spezialisierung ist unumgänglich. Gerade da haben wir gegenüber klassischen Integratoren einen Vorteil, da Webagenturen von Anfang an gewohnt waren, mit interdisziplinären Teams zu arbeiten.»

Das A und O

Das Plus der Kundenorientiertheit heften sich alle auf die Brust. Dratva: «Als Pionier unter den Webdienstleistern wusste Crealogix schon sehr früh, wie sie die Kunden mit den neuen Internet-Technologien abholen muss.» Und Widmer von GFT: «Ergonomie ist für uns extrem wichtig. Unsere Mitarbeiter berücksichtigen die benutzerorientierte Entwicklung von der ersten Projektphase an und vereinigen technisches Wissen, Usability-Erfahrung und Web-Design.» Grüter von Unics: «Vor vier Jahren gab es noch die klassischen System-Integratoren, technisch fit, aber bisweilen nicht sehr kreativ, und auf der anderen Seite die Webdienstleister, die das Design in den Mittelpunkt stellten. Diese Welten sind zusammengerückt. Es erstaunt daher nicht, dass viele Anbieter behaupten, sie beherrschten beides. Tatsächlich sind es aber recht wenige, die es geschafft haben, eine eigenständige Kompetenz aus der Verbindung von Betriebswirtschaft, Technologie und Informationsdesign aufzubauen. Wir haben das vor allem deshalb geschafft, weil wir bei der Auswahl und Entwicklung unserer Mitarbeiter ein Augenmerk auf die Balance zwischen Experten und Generalisten legen und unser Organisationsmodell die flexible Bündelung der geforderten Kompetenzen ermöglicht.»
Dass es heute für ein Unternehmen entscheidend ist, Funktionalitäten der internen Geschäftslogik mittels
E-Business verschiedenen Geschäftspartnern zur Verfügung zu stellen, ist für alle Webdienstleister klar. Widmer ergänzt jedoch: «Wichtig ist, dass man die Branche des Kunden kennt und seine Sprache spricht. Die Fokussierung auf bestimmte Branchen scheint mir eine entscheidende Voraussetzung, um die Business-Pozesse zu verstehen und optimieren zu können und so für den Kunden einen Mehrwert zu schaffen. Und das ist mittlerweile das A und O unseres Geschäfts.» (fis)


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