MTF: Die verlorene Wette auf den IPO

IPO oder Untergang – so scheint die Alternative bei VARs und Systemintegratoren zu lauten, die mit viel Risikokapital für die Börse schön gemacht werden sollten.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2002/01

     

Die MTF-Holding hat am 24. Dezember 2001 um 12 Uhr Mittags ihre Bilanz beim Konkursamt Solothurn in Olten deponiert. Dem Finanz-Fiasko folgte der Informations-GAU. Ursprünglich plante man bei der MTF das Ende der Holding unter Verschluss zu halten, bis eine Lösung für die 13 MTF-Geschäftsstellen und MTF-E-Business (ehemals IMIS) gefunden worden wäre. Daraus wurde nichts.
IT Reseller Online veröffentlichte die traurige Meldung am vorletzten Mittwoch.
Hektik setzte ein, denn viele Lieferanten fürchteten um ihre Kredite bei den einzelnen Geschäftsstellen (nicht zu verwechseln mit der Holding) und die Kunden um ihre Projekte. Nicht ganz richtig aber beruhigend, waren die Aussagen einzelner MTF-Manager, ihre Filialen seien nicht betroffen.

Der Aufstand der «Regionalfürsten»

Was war passiert? Der Vorgang ist eigentlich einfach zu erklären. Die MTF-Holding bilanzierte den «Goodwill» beim Einstieg von Alchemy, mit etwa 80 Mio. Franken. Diesem Aktivum standen auf der Passiv-Seite Darlehen seitens der 33 ehemaligen Besitzer und des Hauptaktionärs Alchemy von ca. 50 Mio. Franken sowie Darlehen seitens eines Bankenkonsortiums unter der Führung der Bank of Scotland von etwa 30 Mio. Franken gegenüber.
Aufgrund des schlechten Ergebnisses des letzten Jahres musste man den Goodwill – den Wert der Geschäftsstellen – viel tiefer bewerten. Logische Folge war eine massive Überschuldung, falls die Gläubiger (vor allem das Management der Geschäftsstellen – auch «Regionalfürsten» genannt) nicht zu einem Schuldverzicht bereit gewesen wären. Das waren sie nicht.
«Überschuldung – nicht Liquiditätsprobleme»
Die Darlehen der ehemaligen Besitzer der Geschäftsstellen (Management) stellten eine «Zeitbombe» dar, so MTF-Gründervater Helmut May, denn sie waren kündbar. May: «Jeder hätte kommen und innert drei Jahren sein Geld verlangen können».
Obwohl die MTF-Gruppe auch 2001 zumindest im Kerngeschäft mit schwarzen Zahlen arbeitete und keine echten Liquiditätsprobleme bestanden, blieb der Holding aufgrund der Neubewertung der Geschäftsstellen kein anderer Ausweg, als der Gang zum Konkursrichter.

Bewusster Selbstmord oder Notbremse?

Warum aber liessen die Minderheitsaktionäre und gleichzeitig Gläubiger der MTF-Holding ihre Dachgesellschaft in Stich? Schliesslich musste ihnen bereits seit Anfang Jahr 2001 bewusst sein, dass ein Börsengang der MTF-Gruppe und damit die Bezahlung der «Darlehen» (die in Wahrheit ein versteckter, vorweggenommener Kaufpreis im Falle eines IPO waren) illusorisch war.
Darüber gibt es ganz verschiedene Aussagen. Die einen reden von einem «geplanten Selbstmord» der Holding und von MTF als Firmengruppe. Helmut May sieht das ziemlich anders: «Alchemy hatte bei der Übernahme drei Visionen, die wir mitgemacht haben. Bei der vierten, neuesten Vision des Mehrheitsaktionärs haben wir dann gebockt.» Mit den ersten drei Visionen sind der Zusammenschluss mit der welschen GMG-Gruppe (unterdessen Konkurs), ein IPO und der Einstieg ins E-Business, sprich die Übernahme von IMIS, gemeint.
Mit der vierten Vision meint May die stärkere Zentralisierung der Gruppe, mithin die Entmachtung der einzelnen Geschäftsstellen-Leiter. MTF-CEO Jakob Broger beschreibt seine Sicht der «vierten Vision» in einer «persönlichen Stellungnahme» als «... ein Projekt zur weiteren Erschliessung von Potentialen innerhalb der MTF Gruppe.» Ausserdem war geplant, aus den beiden «verlustbringenden Tochterunternehmen» (MTF e-Solutions Center und MTF Feusi Informatikschule) auszusteigen. Broger: «Wir wären ohne Ballast und topfit ins Jahr 2002 gestartet!»

Sursee brachte das Fass zum Überlaufen

Offensichtlich sah dies die Mehrheit der Geschäftsstellenleiter der MTF-Gruppe ganz anders. Die Frage, ob der Konkurs der Holding eine mehr oder minder elegante Art sei, den Risikokapitalisten Alchemy samt Holdingstruktur, CEO und Zentralisierungsplänen loszuwerden, mag direkt zwar niemand beantworten. Doch Helmut May betont, dass die Kosten des Headoffices seit der Übernahme 99 um das siebenfache gestiegen seien, während der operative EBIT (Gewinn vor Steuern und Zinsen) sich halbiert habe. Im Klartext: Ohne Perspektive eines Börsenganges machen eine teure Holdingstruktur, der ebenso teure Einbezug von externen Beratern und ähnliches keinen Sinn.
Ein Knackpunkt in der leidvollen MTF-Geschichte war zweifellos die abrupte Entlassung des Leiters von MTF Sursee, Thomas Hunkeler, immerhin einer der Mitgründer der MTF-Gruppe und Aktionär. Er sträubte sich erfolglos gegen die Schliessung «seiner» Filiale und die Fusion mit MTF-Zug und scheint auch sonst kein Blatt vor den Mund genommen zu haben. Das Resultat: Eines Morgens im August stand der kurzfristig von Broger angeheuerte Conradin Rüegg vor der Filiale in Sursee und verlangte von Hunkeler die Schlüssel.

Vorwärts in die Vergangenheit

Die 33 beteiligten Altaktionäre werden mit dem Konkurs der MTF-Holding ihre Guthaben zumindest teilweise verlieren, denn die Kredite des Bankkonsortiums sind vorrangig. Gelingt aber die Rettung der einzelnen Geschäftsstellen und die Herauslösung der ehemaligen IMIS und von MTF Feusi, so haben sie zumindest ihre Freiheit wieder.
Oder wie es Helmut May ausdrückt: «Heute sehen wir die alte MTF-Kultur als Basis zur Weiterarbeit. Wir werden uns wieder nur auf das reine Systemintegrationsgeschäft im Mittelstand (KMU) sowie auf regionale Grossunternehmen und öffentlich rechtliche Institutionen konzentrieren.» (hc)

Alchemy: «Fall MTF abgeschlossen»

Der beteiligte britische Risikokapitalist Alchemy wäre bereit gewesen, ähnlich wie bereits 3i im Fall von Dettwiler, mit MTF, auch ohne die Perspektive eines schnellen Ausstiegs, weiterzumachen. Dies sagt zumindest Scott Greenhalgh von Alchemy Partners in Deutschland. Man habe angesichts der IT-Flaute und der sinkenden Gewinne zusammen mit CEO Broger diverse Massnahmen zur Steigerung der Profitabilität geplant.
Dazu gehörte der Spin-Off des E-Business- und Schulbereichs und die Zentralisierung einiger Funktionen. «Natürlich hätte dies weniger Unabhängigkeit für die Geschäftsstellen bedeutet,» so Greenhalgh, doch seien diese Massnahmen mit allen abgestimmt gewesen.
Nun mit dem Konkurs der Holding sei der «Fall MTF» für Alchemy abgeschlossen, sagt Greenhalgh. Der Risikokapitalist weiter: «Für uns war MTF nur eine kleine Beteiligung – weniger als zwei Prozent unserer Investitionssumme. Das Scheitern, wogegen wir angekämpft haben, ändert nichts an unserer Strategie.»



Kommentar


Parallelen zum Dettwiler-Crash

Mit der MTF-Holding scheitert bereits der vierte Schweizer VAR (Value added Reseller) oder Systemintegrator, der mit viel Risikokapital ausgestattet den Gang an die Börse anstrebte. Ähnlichkeiten zum Fall Dettwiler sind unverkennbar, auch wenn dies die unmittelbar Beteiligten nicht so sehen wollen.
Da sind zum einen die Management-Wirren nach dem Einstieg des Risikokapitalisten: Man verlangte von Helmut May, dass er schnell einem neuen CEO Platz machen und sich aus dem Tagesgeschäft heraushalten solle. Damit ist aber möglicherweise die Integrationsfigur der MTF-Gruppe verloren gegangen: jener Mann, der die «29 Alphatiere» (Zitat May) zusammenhalten konnte. Mit CEO Daniel Ferru scheint die Holding nicht glücklich geworden zu sein, sein Nachfolger Jakob Broger brachte die Geschäftsstellenleiter gegen sich auf.
Gemeinsamkeiten mit WDP gibt es auch beim Versuch, weg vom Box-Moving hin zu E-Business-Gefilden aufzubrechen. Sowohl Processlink wie IMIS wurden – wie mir nachträglich gesagt wurde – massiv überbezahlt.
Drittens liessen sowohl bei Dettwiler wie bei MTF die Aktionäre beim Einstieg des Risikokapitalisten Geld in Form von Darlehen in der Firma stehen. Damit hat es sich dann aber hoffentlich mit den Gemeinsamkeiten. Von Dettwiler ist ausser sehr viel Frust nichts zurückgeblieben. Von MTF, so ist zur Zeit zu hoffen, wird eine ganze Flotte von lokalen, föderalistisch verbundenen VARs, samt ihren Arbeitsplätzen, überleben. Der Schaden im Fall MTF scheint ungleich kleiner.
Christoph Hugenschmidt


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