Think Digital: Das wäre doch Chefsache
Quelle: zVg

Think Digital: Das wäre doch Chefsache

von Joerg Schwenk

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2023/01

     

Eines ist klar: Ins Top-Management zu gelangen ist schwer, dort heute bleiben noch mehr. Ich glaube seit jeher immer an das Gute und Sinnvolle, und so war ich mir sicher, dass mit entsprechenden Fähigkeiten und Leistungsausweisen die Welt allen Menschen offensteht. Ich glaubte daran, dass der jeweils beste Kandidat eingestellt wird. Aus heutiger Sicht und mit der heutigen Erfahrung war ich da wohl etwas zu naiv.

Warum ich das annahm, war ja klar: Es gab Karriere-Planungen und HR-­Mitarbeiter nannten sich teilweise Talent-Manager. Selbstredend, dass man nach den grössten Talenten für die eigene Unternehmung suchte, um diese im Wettbewerb um Marktanteile am besten positionieren zu können. Macht bis zu diesem Punkt Sinn.


Aber ginge es um wirkliches Talent, so sähe unsere Management-Welt wohl anders, sprich talentierter, aus. Zumindest kenne ich einige sehr talentierte Personen, die es nicht geschafft haben, ihr Talent entsprechend einzubringen und nun leider nur noch Dienst nach Vorschrift leisten. Und ich kenne Leute, die völlig untalentiert und Inhalts-entleert wichtige Positionen bekleiden – mit genügend Sitzfleisch und latenter Aggressivität.

Denn diese Führungs-«Persönlichkeiten», die notabene auch nicht viel Selbstvertrauen besitzen, räumen schnell nach Erreichen einer höheren Position, wohl aus Angst, auf. Kritiker werden genauso aufs Abstellgleis gefahren wie auch die Talente, die über Fähigkeiten verfügen, über die man glaubt, sie können für einen selbst gefährlich werden.
Ein Vorgehen, welches bei genauerer Betrachtung wohl kaum im Sinne eines wirklichen Unternehmers sein dürfte. Dennoch wird diese Praxis von oberster Stelle gebilligt. Es scheint, in Zeiten, in denen der Agilität geschuldet immer flachere Hierarchien in den Unternehmen gelten sollen, etabliert das mittlere und untere Management seine eigene, auf schlechteres Wissen und Fähigkeiten basierende krankhafte Hierarchie.

Und damit nicht genug im Katalog der Kuriositäten. Generell sind die Mechanismen, die heute zu der Einstellung von Mitarbeitern führen, etwas stark in Schieflage geraten: Man soll 20 Jahre Berufserfahrung haben, aber erst 23 Jahre alt sein. Zumindest wird oft genug nicht mehr nach klaren Fakten eingestellt, sondern nach Gefahrenanalyse. Und vorgeschoben wird immer das Team. Ins Team passen bedeutet dabei: Nicht besser sein als andere, nichts ändern, bloss alles so lassen wie man es etabliert hat.


Und noch etwas stimmt mich traurig: Ich persönlich schätze gemischte Teams, sowohl kulturell, meinungsbezogen als auch im Geschlecht. Und wer entsprechend selbstsicher ist, kann auch Talente führen, die teilweise weitaus besser oder anderen kulturellen Ursprungs sind als man selbst. Was mich aber persönlich am meisten betrübt, und was ich niemals erwartet hätte, ist, wie Frauen in Führungspositionen mit ihren weiblichen Kollegen umgehen. Ich denke, es ist in dieser immer noch stark männerdominierten Arbeitswelt auch ohne dies alles schon nicht leicht, seinen Platz zu finden. Ich würde daher erwarten, dass gerade Frauen sich stark gegenseitig unterstützen im Bestreben nach Führungs- und Machtpositionen. Bedauerlicherweise muss ich in einigen mir bekannten Fällen beobachten, dass genau das Gegenteil geschieht. Niemand räumt potenzielle Gefährder der eigenen Position schneller, effizienter und zielstrebiger aus. Man landet nicht mal mehr auf dem Abstell­gleis, sondern man wird nach allen Regeln der Kunst rausgeschmissen – Tabus gibt es da nur wenige.

Und all das geschieht in Zeiten, in denen man mehr Ethik in Unternehmen auslobt. Natürlich gelten die Aussagen in meiner Kolumne nicht für alle gleichermassen, für einige aber um so mehr. Aber diejenigen, welche es betrifft, werden es zuverlässig nicht erkennen oder verstehen.

Joerg Schwenk verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung im Schweizer Fachhandel und ist spezialisiert auf Onlinemarketing sowie Digitalvertrieb. In seiner Kolumne vermittelt er seine Einschätzungen, Erfahrungen und Ansichten rund um den ICT-Channel und freut sich auf Ihre Kontaktnahme beziehungsweise die Vernetzung auf Linkedin.


Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Welchen Beruf übte das tapfere Schneiderlein aus?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER