Think Digital: Wer hat an der Uhr gedreht?

von Joerg Schwenk

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2022/06

     

Schöne neue Welt. Während der letzten Monate haben wir aus der Not heraus gelernt, mit den neuen digitalen Möglichkeiten umzugehen. Verlockend für Mitarbeiter und Unternehmer gleichermassen, diese nun weiter und noch gewinnbringender zu nutzen. Digitale Interaktion ist gelernt einfacher und kostengünstiger als die vorausgegangene physische. Und sie bietet den zusätzlichen Vorteil, so behaupten böse Zungen, dass man ungeliebten Sprechern jederzeit den Ton abdrehen kann. Klar, auf den ersten Blick spart man so Zeit. Im Stau stehen entfällt genauso wie ellenlanges Reisen rund um den Globus. Zeit sparen und gleichzeitig noch die Umwelt und den Geldbeutel schonen. Kann es besser gehen?

Natürlich lässt es sich nicht abstreiten, dass das Schonen der Umwelt eine gute und notwendige Sache ist, ebenso wie das Einsparen von Zeit, Geld, Ressourcen. Die Frage aber bleibt, ob wir mit diesen gewonnen Möglichkeiten auch das Richtige anstellen. Ob wir sie dazu nutzen, um die Unternehmensproduktivität voranzutreiben oder eben, ob wir sie mit Zusätzlichem und unnützen Meetings füllen. Führen wir Sitzungen wirklich durch, weil sie etwas bringen oder bezwecken wir damit nur, dass alle Bescheid wissen und dass man selbst nicht mehr ins Risiko muss?


Auch bevor wir diese tollen Möglichkeiten hatten, wäre die Frage im Management gestattet gewesen, ob es diese Sitzungen und Gespräche alle braucht oder ob es weniger davon ebenso getan hätten. Wer quatscht denn nur rum auf Kosten der Firma und stiehlt allen anderen die Zeit? Und wer ist wirklicher Leistungsträger?

Letztlich entfällt der Nutzen, denn einmal mehr führen die neuen Möglichkeiten nicht zu erhöhter Produktivität, sondern nur zu neuen absurden Ideen und Forderungen, welche vorher nicht notwendig waren. Oder anders: Es wird noch mehr gelabert. Menge ersetzt Qualität.
Ich bin ausgestiegen aus diesem Managementwahnsinn zu Zeiten, als für Manager durchaus bis zu zehn Meetings am Tag anstanden. Ich fürchte, manch einer bringt es heute locker auf noch mehr. Und viele dieser Meetings haben kein anderes Ziel als Profilierung und Selbstschutz.

Machen Sie es einfach. Entscheiden Sie und treiben Sie Ihr Geschäft vorwärts. Denn dafür wurden wir eingestellt. Nicht jeder muss alles wissen, nicht jedem muss man es recht machen, aber viele müssen Ihre Entscheidung als Spezialist letztlich akzeptieren. Das geht locker ohne Meetings. Demokratie ist in Firmen weder zwingend nötig oder erstrebenswert. Kompromisse ebenso wenig. Bitte nicht falsch verstehen: Ich liebe die Demokratie im Politischen. Wer aber am Markt etwas schnell durchsetzen möchte, ist damit nicht optimal beraten. Gleiches gilt für endlose Gespräche, Meetings, Profilierungsrunden oder Kaffeekränzchen. Es sind alles Zeitfresser.


Ich bin wieder mehr als früher auf Achse und treffe meine Kunden persönlich und nicht online. Ich nehme mir Zeit. Auf die gute alte Art, die jahrelang funktioniert hat und ohne dass jemand ständig etwas dazu zu sagen hat. Feststellung: Es funktioniert. Der gute alte Kontakt zwischen Menschen liegt nach wie vor im Trend. Geschäftspartner lechzen nahezu danach, sich nach dieser entbehrungsreichen Zeit persönlich kennenzulernen.

Also, die Technik macht uns vermeintlich effizienter. Aber eines tut sie nicht: Sie spart kein Geld und auch keine Zeit. Zumindest solange man sich nicht auf des «Pudels Kern» beschränkt. Die Technik macht geschäftliche Beziehungen nicht stabiler und langlebiger – im Gegenteil. Stabile und langjährige Freundschaften, egal ob privat oder im Geschäft knüpft man live und nicht online – also beim Essen, beim Bier oder beim Sport.



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