Die Wundertüte - Giusi Liistro, Kroll Ontrack

Sie hat mit ihren 34 Jahren schon eine Menge zu erzählen: Giusi Liistro, bei Kroll Ontrack für die Schweiz zuständig, hat nach einer KV-Lehre in Florenz die Matur nachgeholt und in Neapel Islamistik studiert. Nach einem Abstecher nach Syrien für die italienische Regierung kehrte sie zurück in die Schweiz.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2007/21

     

Die Frau ist anders. Nicht etwa, weil sie als Frau in einer Kaderposition in der IT-Branche eine Ausnahme darstellt. Sie verkörpert das, was man in jeder Branche eine Ausnahmeerscheinung nennen würde, weil sie eine Vielzahl von Facetten auf sich vereint, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie hat mit ihren 34 Jahren einen beruflichen Werdegang vorzuweisen, der aufgrund seiner abwechslungsreichen Stationen automatisch hellhörig macht. Giusi Liistro, Tochter von italienischen Gastarbeitern, ist als Account Manager beim Datenretter Kroll Ontrack für den Schweizer Markt zuständig. Doch es fing alles anders an. Ganz anders.

Die solide Grundausbildung

Als junges Mädchen entschied sich Giusi Liistro (Der Vorname ist nicht etwa eine Abkürzung für Giuseppina, sie wurde tatsächlich so getauft, der Nachname ist sizilianischer Abstammung.) nach der Grundschule für eine klassische Ausbildung. Sie absolvierte eine kaufmännische Lehre in der Automobilbranche. So weit, so gut. Doch schon kurz nach der Lehre zog es sie in die Ferne. «Ich bin zwar Kind italie­nischer Eltern und habe neben dem Schweizer auch den italienischen Pass, doch italienisch sprechen konnte ich fast gar nicht», sprudelt es aus ihr heraus. Deshalb entschied sie sich, in Florenz einen Italie­nischkurs zu besuchen. «Dort gefiel es mir so gut, dass ich unbedingt bleiben wollte.» Um ihr Studium zu finanzieren, verkaufte sie, noch keine 20 Jahre alt, zusammen mit Arabern auf Strassenmärkten Lederjacken. «Das war lustig, doch finanziell zu mühsam.» Kurzerhand bewarb sie sich deshalb in der Schweiz für eine Stelle als Direktionsassistentin. «Für ein Jahr, um genügend Geld für das Studium beiseite legen zu können.» Zurück in Florenz holte sie das Gymnasium an einer Privatschule nach und schloss mit der Matura ab.

Studium, Ausland, Doktorarbeit

So weit, so gut. Zurück in die Schweiz, wollte die mittlerweile 22jährige vorerst nicht. Es folgte ein sechsjähriges Studium in Neapel. An der Università Orientale studierte Liistro Islamistik und Arabistik. «Die neapolitanische Uni ist die beste Hochschule in Italien für Islamwissenschaften, und ausserdem ist das Leben im Süden bedeutend günstiger als in Triest oder Venedig.» Ausserdem ist die Hauptuni Neapel auf Religionsthemen und weniger auf Literatur und Übersetzungen ausgerichtet, ein Grund mehr für Liistro, sich in der Heimat ihrer Mutter zu immatrikulieren.
In jener Zeit richtete Italien seine diplomatischen Beziehungen zu den islamischen Ländern neu aus und war deshalb an den Universitäten auf der Suche nach geeigneten Kandidaten für das diplomatische Korps. Das passte wie die Faust aufs Auge. Das italienische Aussenministerium bot der Studentin eine Praktikumsstelle in Damaskus an. Liistro nahm an einem speziellen Studiengang teil, der sich in sehr kleinen Gruppen der Soziologie und Geschichte islamischer Staaten, dem Palästina-Konflikt, der Frauenrolle im Islam und den Koran-Wissenschaften widmete. «Das hat mich intellektuell sehr stimuliert, aber es war auch sehr streng. Ich sass nur noch hinter den Büchern.» Nach den sieben Monaten in Syrien wurde sie nach Amman geschickt, was ihr ganz und gar nicht zusagte. «Man lebt dort in einer Parallelwelt, in einem goldenen Käfig, der mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun hat», beschreibt sie ihre Erfahrungen in der Hauptstadt des Königreichs Jordanien.
Deshalb brach sie den Kurs ab, der als Vorbereitung für die Diplomatenschule gedacht war, und kehrte nach Neapel zurück, um ihr Studium abzuschliessen, und legte noch eine Doktorarbeit zum Thema «Handelsbeziehungen zwischen China und dem Nahen Osten zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert nach Christus» nach.

Und dann zu Kroll Ontrack

«Ich hatte auch die Nase voll vom Thema Islam und Araber und konnte keine Bücher mehr sehen», erzählt Liistro, «ich wollte wieder ein ganz normales Leben führen mit einem geregelten Arbeitstag und einem Privatleben wie jeder andere auch.» So kam es, dass sie sich 2002 über den Stellenvermittler Adecco bei Kroll Ontrack bewarb. Sie suchte zwar nach einem «normalen» Job, wollte aber dennoch eine Stelle, bei der sie selbständig arbeiten und Neues auf die Beine stellen konnte. Es traf sich auch ganz gut, dass der damailige Geschäftsführer Ronald Wilemse noch an Bord war und sich nach der Übernahme seiner Firma Blacker durch Ontrack noch für zwei Jahre verpflichtet hatte. So konnte sich Liistro als Junior Account Manager bei ihm einarbeiten und die Sporen abverdienen, hatte aber Aussicht auf die alleinige Verantwortung für die Schweiz. Seit 2004 betreut sie selbständig Direktkunden und Partner im Bereich physische Datenrettung. «Das Schöne an dem Job ist, dass Datenrettung kein gesättigter Markt ist», sagt sie. «Doch selbst wenn es kein Verdränungsmarkt ist, beruht das Geschäft auf persönlichen Kontakten.» Es gefällt ihr, viel in der Schweiz herumzukommen und Menschen zu treffen. Natürlich brauche es auch Neukunden, aber viele würden von sich aus auf Kroll Ontrack zukommen. «Ich bin dafür zuständig, dass die Kunden und Partner glücklich sind», fasst sie ihre Aufgabe zusammen.
Neben ihrem Job hat Liistro genug Musse, sich um ihre Hobbys zu kümmern. Sie reist gern, liest viel und hält gleichzeitig den Kontakt zur universitären Welt aufrecht. Sie führt heute also ein fast gewöhnliches Leben.

Giusi Liistro

Giusi Liistro wurde 1973 als Kind eines Sizilianers und einer Neapolitanerin geboren. Nach der Grundschule folgte eine KV-Lehre, Matura in Florenz, Studium der Islamistik und Arabistik in Neapel, Auslandaufenthalte in Syrien und Jordanien. Sie arbeitet in Chiasso und lebt mit ihrem italienischen Freund auf der andern Seite der italienischen Grenze in Faloppio.
In ihrer Freizeit reist sie gern und liest viel. Wenn sie nicht gerade für Kroll Ontrack bei Kunden oder Partnern irgendwo in der Schweiz unterwegs ist, kümmert sie sich in ihrem eigenen Haus um 14 Wellensittiche («Im Dorf hat es sich mittlerweile herumgesprochen, so landen auf­gefundene Vögel automatisch alle bei mir.»), ihren Hund, den Golden Retriever Nuri («Das heisst Licht auf Arabisch.») oder sie verfasst innerhalb einer Mailänder Studiengruppe ­Arbeiten zum Thema italienisches Mittelalter. Und seit neuestem lässt sie sich beim deutschen Astrologenbund zur Astrologin ausbilden. «Passt doch, oder?» (mh)


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