Digitaler Boom als Wolf im Schafspelz

Die Fotografie ist digital geworden. Wie reagiert die Fotobranche auf die Veränderungen im Markt und wem droht der Kollaps?

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2004/19

     

Foto-Mobilität, Foto-Kommunikation und Foto-Multifunktionalität sind Megatrends und die Verkaufszahlen sprechen für sich: Marktforscher prognostizieren für das kommende Jahr einen weltweiten Absatz von schätzungsweise 67 Millionen Digitalkameras und 250 Millionen Fotohandys. Diesen Zahlen steht ein Umsatzrückgang der analogen Kameras gegenüber, der sich im zweistelligen Prozentbereich bewegt. Der Wandel von der analogen zur digitalen Fotografie stellt nicht nur Hersteller, sondern auch Fotolabors und den Fachhandel gleichermassen vor wichtige Überlegungen.

Handel im Wandel

Mit dem Rückgang des Umsatzes im analogen Bereich ist auch der Markt der chemisch entwickelten Fotos zurückgegangen. Schätzungsweise 70 Prozent aller geknipsten Bilder werden gespeichert und nur gerade mal 8 Prozent ausgedruckt, wobei zwei Drittel über den Handel bestellt und rund ein Drittel zu Hause am eigenen Drucker ausgedruckt wird. Der Ausdruck von Digitalbildern ist ein nicht zu unterschätzender Wachstumsmarkt und macht einen nennenswerten Teil des Umsatzes im Handel aus. 2005 dürfte dieser erstmals wieder für ein Gesamtwachstum sorgen. Dem sogenannten Finishing-Markt steht der Boom also noch bevor. Dieser Umstand hat die ganze Branche in Bewegung gebracht und die Wege zum Papierabzug sind vielfältiger geworden. Fotolabore haben im grossen Stil umstrukturiert und bieten nebst Online-Bestellservices, Gratis-Software zum Uploaden der Bilder, Online-Fotoalben und Bestelltools für MMS an. Gleichzeitig schiessen digitale Min-Labs und Foto-Kioske, die im Fachhandel, in Warenhäusern oder bei Grossverteilern platziert werden, wie Pilze aus dem Boden. Die hohen Investitionskosten dieser Umstellung, die einer schwachen Nachfrage im traditionellen Foto-Geschäft gegenübersteht, macht den Unternehmen jedoch zu schaffen. So kündigte Kodak beispielsweise ein drastisches Restrukturierungsprogramm an, das die Schliessung mehrerer Labore zufolge hat und den Abbau von 15’000 Stellen vorsieht. Kleine Labors machen dicht und Überlebenschancen haben nur die grossen Player auf dem Markt.

Lädelisterben im Trend

Homeprinting, Direktversand und das Internet stellen aber auch den traditionellen Fachhandel vor Herausforderungen. Der neue Trend bietet Chancen, verlangt im Gegenzug aber auch Innovation und Flexibilität. Das Angebot nimmt laufend zu und immer mehr Hersteller und Anbieter überschwemmen den Markt. Dies wiederum bedeutet einen erhöhten Preis- und Konkurrenzdruck bei deutlich schlechteren Margen. Der kürzere Lebenszyklus von Digital-Produkten erfordert nicht nur besser geschultes Personal, sondern führt auch zu einer umfangreicheren Lagerhaltung. Wo der Fachhandel am neuen Trend profitieren kann, steht in den Sternen. Fachkompetente Beratung alleine garantiert jedenfalls nicht die Existenzsicherung. Verglichen mit anderen Vertriebsformen wie Grossmärkte, wirken sich diese Faktoren ungünstig für den Fachhandel aus – ein «Lädelisterben» scheint vorprogrammiert. Denn bis heute verdiente in erster Linie die Industrie ihr Geld mit dem digitalen Boom.

Digital oder doch analog?

Trotz digitalem Boom finden die analogen Kameras auch in Zukunft treue Anhänger und Käufer. Rund 80 Prozent der Haushalte sind noch immer mit einer analogen Kamera ausgerüstet und nur 30 Prozent haben Digital-Apparate. Auch zählen die Quicksnaps oder besser bekannt als Einwegkameras, heute zum absoluten Verkaufsschlager. Sie wird weltweit 450 Millionen mal im Jahr verkauft und nimmt damit unangefochten den ersten Platz der Analog-Kameras ein. An einen Abbau der herkömmlichen Infrastruktur für die traditionelle Filmrolle ist jedenfalls nicht zu denken. Der Handel wird auch in Zukunft doppelgleisig fahren. (pbr)

Im Dialog mit ISFL

Ernst Widmer (Bild) ist Geschäftsführer der Interessengemeinschaft Schweizerischer Foto-Lieferanten (ISFL).
ISFL ist eine Non-Profit-Branchenorganisation der Hersteller und Herstellervertreter (Grossimporteure) von Kameras, Filmen und verwandter Produkte in der Schweiz. Wie Ernst Widmer zu IT-Reseller sagte, sei es im Moment noch schwierig vorauszusehen, welchen Einfluss die immer besser werdenden Fotohandys auf dem Schweizer Markt haben werden. Die analoge Fotografie werde jedoch in noch kürzerer Zeit marginalisiert als angenommen und dank der Einfachheit im Prozedere der Printbilderverarbeitung eine gewisse Stellung beibehalten können. Die Forschung und Entwicklung indessen konzentriert sich vollständig auf die digitale Technik und das stürmische Wachstum im Digitalsektor verliert allmählich an Kraft. Dank der hohen Innovationsintensität werde aber auch der Substitutionsbedarf rasch veraltender digitaler Geräte hoch bleiben, so Widmer weiter.
In der Schweiz wird im Kameramarkt derzeit ein Umsatz von rund 364 Millionen Franken mit einem Wachstum von 13 Prozent erzielt. Dabei nehmen die Analogkameras mit 40 Prozent (2003: Umsatz 52,2 Mio. Frannken) ab, während der Zuwachs bei den Digitalkameras (2003: Umsatz 238,8 Mio. Fr.) zur Zeit 27 Prozent beträgt. Für 2004 erwartet man einen Gesamtumsatz von rund 389 Millionen Franken mit einem Umsatzplus von acht Prozent. (Quelle: IHA-GFK)


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