Orbit Nachlese: Ausbeute nur teilweise zufriedenstellend

Die Orbit hat neben dem Zusatz Comdex abermals massiv Besucher verloren. Auch wenn das Fazit seitens der Aussteller ausgeglichen ausfällt, bleibt die Zukunft ungewiss.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2003/17

     

«Für uns war der Aufwand sehr hoch, der Ertrag sehr bescheiden», zieht Topsoft-Organisator Marcel Siegenthaler Bilanz. Er war kurzfristig in die Bresche gesprungen, um die Messeleitung der Orbit/Comdex 2003 mit seinem Erfahrungsschatz zu unterstützen und den Business Software Park aufzubauen. Seine Meinung teilt er mit so manchem Besucher, vor allem jenen, die den Vorverkauf (19 Franken) nicht nutzten und den vollen Eintrittspreis von 39 Franken hinblättern mussten.
Allerdings offenbarten sich die neuen kleinen Dimensionen, erst nachdem man die Schranken beim Eintritt passiert hatte. Erst dann wurde dem Besucher vor Augen geführt, was der neuerliche Ausstellereinbruch für Konsequenzen hat: Die Messe besteht noch aus einer Halle beziehungsweise zwei Etagen, und nicht einmal die waren gefüllt.
Die Zahlen, wenngleich abstrakter als der Augenschein vor Ort, sprechen eine deutliche Sprache: 400 Aussteller, 11’000 Quadratmeter Standfläche und 21’000 Besucher. Im Spitzenjahr 1999 waren es 1300 Aussteller, 50’000 Quadratmeter und 110’000 Besucher. Die Orbit (neuerdings wieder ohne Comdex) ist nicht einmal mehr ein Fünftel von dem, was sie einmal war.

Mehr Aufmerksamkeit für die Kleinen

Trotzdem gibt es auch Aussteller, die von dieser Entwicklung profitieren konnten. Zum Beispiel der Disti und Assemblierer Brack Electronics: «Für uns war es die beste Orbit, die wir je hatten», frohlockt Geschäftsleiter Roland Brack. Er konnte abgesehen vom Samstag Tag für Tag mehr Besucher an seinem Stand verzeichnen. Und für die Flaute am Samstag hat er auch eine Erklärung parat: «Die meisten Besucher rechneten mit einem Ansturm am Samstag und planten ihren Messebesuch deshalb an einem Werktag.»
Die Ausstellungsfläche war vergleichsweise günstig zu haben, und so leisteten sich die Mägenwiler PC-Bauer den grössten Orbit-Stand in ihrer Firmengeschichte. Da zudem die grossen Hardware-Konkurrenten wie HP, Fujitsu Siemens und Konsorten, abwesend waren, profitierte Brack von beinahe ungeteilter Aufmerksamkeit. Rund 150 qualifizierte Leads konnten gezählt werden.
Unter denselben Voraussetzungen würde sich Brack auch nächstes Jahr wieder für einen Auftritt an der Orbit entscheiden. Nur wenn sich die Ausgangslage völlig verändern würde, also beispielsweise nur noch ERP- oder Business-Lösungen gezeigt würden, wäre dies ein Grund, den Teilnahmeentscheid abermals zu überdenken.

Die Krux der Grossen

«In der jetzigen Form wäre die Orbit zu klein, um dem Anspruch einer IT-Leadmesse für die Schweiz weiter zu genügen», lautet das nüchterne Fazit von Swisscom-Pressesprecher Sepp Huber. Zwar räumt Huber ein, dass die Kunden die Swisscom-Teilnahme geschätzt hätten und der Messeauftritt auch qualitativ erfolgreich gewesen sei.
Demgegenüber habe aber die Basis von 21’000 Besuchern nicht ausgereicht, um die quantitativen Ziele der Swisscom zu erreichen. «Aus dieser Optik war die Orbit/Comdex 2003 für Swisscom im Vergleich zu den Vorjahren kein Erfolg», schliesst Huber seine Bestandesaufnahme ab.
«Eine spezifische Ausrichtung auf KMU, wie sie sich die diesjährige Orbit gegeben hatte, hat CA zwar nicht explizit nachvollzogen, aber bei der Gestaltung des Auftrittes doch indirekt Rechnung getragen», erklärt ein weiterer Grosser, André Cassal, Schweizer Country Manager von Computer Associates (CA).
Bei CA wird man jetzt zuerst einmal über die Bücher gehen und die harten Fakten der diesjährigen Orbit-Teilnahme untersuchen. Wenn die Lead-Zahlen und die künftige Positionierung der Messe dem Geschmack von CA entsprechen, kommt eine Teilnahme auch im nächsten Jahr in Frage.

Erfolg dank gesenkter Erwartungen

«Da der Dienstag als Messetag wegfiel und der Samstag hinzukam, haben wir unsere Erwartungen bei den Leads um 20% nach unten korrigiert», rechnet Stephan Sidler, Marketing-Services beim Schweizer Business-Softwarehersteller Opacc, vor. Dieses Ziel konnte Opacc mit 80 Leads just erreichen.
Innerhalb des Business Software Park habe es genügend Spielraum für die Firmen beim eigenen Auftritt gegeben. «Ein bis zwei Publikumsmagnete unter den Ausstellern hätten aber sicher gut getan», gibt Sidler zu bedenken. Alles in allem zieht die Opacc-Crew trotzdem eine positive Bilanz und hat sich bereits für eine Teilnahme im nächsten Jahr entschieden.
Auch der Konkurrent Abacus wird im nächsten Jahr wieder dabei sein. «Von etwa 180 Kontakten während der vier Messetage sind rund 140 Leads, die kurz- und mittelfristig interessant erscheinen», teilt Geschäftsleitungsmitglied Thomas Köberl mit. Man habe sogar einen leichten Anstieg gegenüber dem Vorjahr verzeichnen können. «Dies hängt vermutlich mit der neuen Fokussierung der Messe auf KMU Lösungen zusammen», erklärt Köberl.
«Durch die geringe Anzahl von Ausstellern und das Fehlen wichtiger Hersteller, konnte diese Messe nicht an den Erfolg vergangener Jahre anknüpfen», gibt der Schweizer AVM Sales Manager Dejan Crvenkovic zu Protokoll, «trotz der allgemeinen Besucherschwäche hatten wir eine hohe Frequenz mit qualitativen, hochwertigen Kontakten.»
Obwohl Fujitsu Siemens selbst nicht mit einem Stand vertreten war, zog Heinz Brandenberger, Head of SME & Channels, am Messe-Donnerstag als kritischer Beobachter seine Runden. Im Gespräch mit Messebesuchern stellte er fest, dass viele den Orbit-Besuch bereuten, da die Anreise oft länger war, als der eigentliche Aufenthalt in den Messehallen.
Er geht mit der diesjährigen Orbit hart ins Gericht: «In dieser Art kann die Messe nur schwer überleben. Es müsste ein komplett neues Konzept unter neuem Namen entwickelt werden», führt Brandenberger weiter aus, «das Interesse der KMU wäre vorhanden.»

Mehr Profil

Als eigentliches Fazit über die ganze Veranstaltung kristallisierte sich heraus, dass die Aussteller das Konzept mit den Themenparks (Business Software, Information Security, Storage und eStarter) begrüssen. Für Storagetek zum Beispiel gab diese Anordnung, gemäss Auskunft von Country Manager Beat Schüle, erst den Ausschlag, die bereits erfolgte Absage nochmals zu überdenken und darauf trotzdem noch an der Messe teilzunehmen.
Hingegen müsste im nächsten Jahr darauf geachtet werden, dass die Themenparks den Markt widerspiegeln und beispielsweise EMC als führender Storage-Anbieter nicht fehlt.
Des Lobes voll ist Sophos: «Unsere Partner hatten ein ideales Forum, sich mit ihren Kunden über neue Sophos-Projekte zu unterhalten», gibt der deutsche Managing Director Pino von Kienlin Auskunft. Trotzdem steht er einer Teilnahme im nächsten Jahr skeptisch gegenüber: «Persönlich bin ich eher abgeneigt, jedoch muss man eben abwarten, wie das Konzept der Orbit sich weiter entwickelt.»
Was hingegen von auffällig vielen Aussteller kritisiert wird, ist die Ausrichtung auf KMU. Einige Aussteller vertreten die Haltung, dass die Ausrichtung nicht gelungen sei. Andere wiederum sind der Meinung, dass die Ausrichtung unnütz sei («es gibt keine typisches KMU...»). Und niemand hat den Messe-Samstag lobend erwähnt. Topsoft-Veranstalter Marcel Siegenthaler dazu: «Die Kinderwagenfraktion blieb aus, und einzelne Aussteller begannen schon um 15.00 Uhr ihren Stand abzubauen.»

Orbit in Zürich?

Von den negativen Punkten hat die Messeleitung bereits Wind bekommen. «Wir warten noch die Ergebnisse der Ausstellerbefragung ab, gehen aber davon aus, dass der Samstag in Zukunft weggelassen wird», nimmt Alain Pittet, Leiter Business Unit Dienstleistungsfachmessen bei der Messe Basel Stellung. Er räumt zudem ein, dass der KMU-Fokus zuviel Interpretationsspielraum offen lasse. Teilweise wurde die Botschaft so verstanden, dass nur noch KMU als Aussteller willkommen seien.
«Es gibt keine Tabus mehr. Die Fokussierung, der Messestandort und die Dauer wollen wir mit den Ausstellern diskutieren», erörtert Pittet. Ab November sollen die Resultate der Ausstellerbefragung veröffentlicht und mit Ausstellern diskutiert werden.
Das neue Konzept für die Orbit 2004 soll in der ersten Dezemberwoche präsentiert werden. Und auch wenn vorerst noch vieles ungewiss ist, ein Datum steht fest: «Die Orbit 2004 ist vom 22. September bis 25. September 2004 geplant», heisst es aus Basel. Oder eben bis 24. September. (map)

KOMMENTAR


Von der Leit- zur Leidmesse

Die diesjährige Orbit als «klein aber fein» zu bezeichnen, ist schon reichlich schöngeredet. Dass viele der anwesenden Aussteller sich zufrieden äusserten, hat vor allem damit zu tun, dass sie die Erwartungen drastisch gesenkt, mit weit Schlimmerem gerechnet hatten oder schlicht nicht eingestehen wollen, mit der diesjährigen Messeteilnahme einen Fehler begangen zu haben.
Für die Orbit jedenfalls ist Mattäi am Letzten. Weitere Patzer kann sich der Veranstalter nicht mehr leisten, der Goodwill der Branche ist schon all zu arg in Mitleidenschaft gezogen worden. Hinter vorgehaltener Hand werfen die Branchenvertreter der Messeleitung unverblümt Missmanagement, mangelnde IT-Fachkompetenz und organisatorische Missgeschicke vor.
Zu Recht: Bis jetzt liefen die Konzeptänderungen ins Leere, erfolgten zudem viel zu rasch und trugen damit nur noch mehr zur allgemeinen Verunsicherung bei. Wenn der Veranstalter es abermals nicht schafft, rechtzeitig die richtigen Impulse zu setzen und die Bedürfnisse der Aussteller wahrzunehmen und umzusetzen, schlägt für die einstige Leitmesse der ICT-Branche tatsächlich das letzte Stündchen. Eine Chance hat sie aber noch. (Matthias Pfander)


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