Microsoft kauft sich ERP-Channel


Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2002/09

     

1,3 Mrd. Dollar in Cash will Microsoft für den dänischen ERP-Anbieter Navision auf den Tisch legen. Mit dem Deal dürfte es für die vielen unabhängigen Software-Partner von Microsoft so richtig eng werden. Während die Akquisition von Great Plains, die vornehmlich in den USA präsent ist, vor einem Jahr noch einigermassen gelassen hingenommen wurde, ist der Deal mit Navision nun ein Frontalangriff. Die neue Konkurrenzsituation trifft in der Schweiz Unternehmen wie beispielsweise Abacus oder Winware.
Die Übernahme – für 300 Dänische Kronen (ca. 59 Franken) pro Aktie – ist so gut wie perfekt. Die Navision Gründer mit einem Stimmenanteil von 60 Prozent, haben sich bereits für die Transaktion entschieden und empfehlen ihren Aktionären, das Aktien-Tauschangebot anzunehmen.

MS wird Applikations-Riese

Der Hintergrund der risikoreichen Strategie ist klar. Denn auch in Redmond weiss man, dass sich die Investitionszyklen im Desktop-Bereich verlangsamen werden und sich die Einnahmen mit den Office-Produkten nicht unendlich steigern lassen. Deshalb drängt Redmond mit Macht ins Datacenter und in den Applikationsbereich. Eine der bisherigen Stärken von MS, die klare Channel-Strategie, scheint dabei aber auf der Strecke zu bleiben.
Microsoft versucht sich mit der Übernahme von Navision im vielversprechenden Softwaremarkt für KMUs zu etablieren. Ziel ist es, vernetzte Geschäftslösungen auf der Grundlage der .NET-Plattform anzubieten. Die Redmonder decken mit Great Plains, der, ebenso wie Navision, hauptsächlich den KMU-Markt bedient, die USA ab, sind aber auf dem europäischen Markt eher schwach vertreten.
Navision, der im November 2000 seinen Erzrivalen Damgaard übernommen hatte, ist für Microsoft die ideale Ergänzung zu Great Plains, um den europäischen Markt aufzurollen. Die Dänen zählen zu Europas grössten Softwareherstellern (Platz 5, Quelle: AMR Research). Das Unternehmen weist seit 1996 etwa alle zwei Jahre einen verdoppelten Umsatz aus. Im vergangenen Halbjahr hat das Unternehmen rund 850 Mio. Kronen (ca. 166 Mio. Franken) umgesetzt.
An den Navision-Software-Paketen soll sich vorerst nichts ändern, so ein Firmensprecher. Wann die Integration der Navision-Programme zusammen mit Microsofts eigenen Entwicklungen zustande komme, sei noch nicht klar. Vorteile beim Vertrieb und im Kundensupport seien auf jeden Fall zu erwarten. Navision erhofft sich vom Zusammenschluss, zum «weltgrössten Anbieter von Mittelstandssoftware zu avancieren».

Schweizer Navision-Channel erfreut

«Mit der Akquisition von Navision entspricht Microsoft den regional doch recht unterschiedlichen Anforderungen an Softwarelösungen im KMU-Markt speziell im europäischen Raum», so Alexander Stüger, General Manager Microsoft Schweiz. Microsoft schnappt sich mit dem Kauf ein grosses Vertriebsnetz (2400 Partner) – Navision ist mit 136’000 verkauften Lösungen bei rund 60’000 Firmen im Einsatz.
Die Schweizer Navision-Partner stehen dem Deal positiv gegenüber. «Strategisch gesehen baut Microsoft seine Präsenz und Kompetenz im ERP-Bereich und insbesondere in Europa stark aus und es ergibt sich daraus eine führende und einmalige Positionierung für Gesamtlösungen im KMU-Bereich», so François Berger, MGA Solutions, Baar. «Technisch gesehen arbeiten Navision und Microsoft schon länger sehr eng in der Entwicklung zusammen (z.B. Integration mit MS/SQL, Outlook, CTI). Navision ist das erste ERP-Produkt, welches bereits für WindowsXP zertifiziert ist. Ich bin gespannt auf den Marketing-Effekt. Der Bekanntheitsgrad von Navision dürfte steigen und SAP wird sich kaum freuen», so Berger weiter.
Erich Wieser ergänzt: «Navision hat im Vergleich zu anderen europäischen Ländern in der Schweiz eher unterdurchschnittliche Präsenz in jeder Beziehung. Navision ist in der Schweiz ein noch relativ junges Produkt. Hier wird es wahrscheinlich vermehrt Interessenten geben, da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass, wenn Microsoft einsteigt, das Produkt zu den guten Lösungen gehören muss. Es muss aber auch klar gesagt werden, dass für Microsoft wahrscheinlich nicht Attain «das» Produkt ist sondern Axapta als absolutes State of the Art ERP-System.»
Heinz Schiess vom Navision Solution Center Orca Informatik sieht Navision durch die Übernahme in eine positive Zukunft voranschreiten. Zum einen werde die Integration zwischen Navision, Office und anderen Windows-Produkten optimiert. Andererseits werden die in der Schweiz bisher minimalen Marketingmassnahmen intensiviert. «Navision wird sich definitiv als Marktleader im KMU-Umfeld etablieren», so Schiess.
Hagen Dommershausen von Team Brendel meint abschliessend: «Nun, wir sehen der Absicht und Ankündigung Microsofts wie allen Ankündigungen in den letzten zehn Jahren mit Gelassenheit entgegen und werden das tun, was wir auch in den letzten zehn Jahren getan haben: in aller Ruhe CRM-Software für mittelständische Unternehmen entwickeln.»

Alles aus einem Guss?

Branchenkenner erwarten, dass Microsoft in unbestimmter Zeit eine neue Software-Generation auf den Markt bringt, die dann nur noch aus einer gemeinsamen ERP-Suite von Navision und Great Plains bestehen wird. Ein solche Produktefamilie zu entwickeln und an lokale Gegebenheiten anzupassen, wird aber zur herkulischen Aufgabe. Immerhin besitzt Microsoft nun etwa sieben verschiedene ERP-Linien. Alle mit unterschiedlichen Programmersprachen auf unterschiedlichen Technologien aufbauend.
Wenn die Redmonder ihr Produktfolio also konsolidieren, könnte sich die momentane Freude über den Deal bei den Vertriebspartnern möglicherweise trüben. Die ersten Versionen leiden beispielsweise bei Microsoft oft unter Kinderkrankheiten. Gift für jeden Systemintegrator...

Grösstes europäisches Microsoft-Entwicklungszentrum


Nach Abschluss der Übernahme wird Navision in die Business Solutions Division von Microsoft integriert. Der momentane Hauptsitz in Vedbaek, Dänemark, wird Entwicklungs- und Operationszentrum der Business Solutions Division für Europa, den Mittleren Osten und Afrika. Zudem soll Vedbaek zum grössten Zentrum der Microsoft-Produktentwicklung ausserhalb den USA ausgebaut werden. Jesper Balser, Co-CEO bei Navision, wird Director of Global Strategy, und Preben Damgaard, ebenfalls Co-CEO bei Navision, übernimmt die Position des Director of EMEA Operations for Microsoft Business Solutions. (sk)


Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Wieviele Zwerge traf Schneewittchen im Wald?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER