Sage Sesam-Chef Herlig: «Es ist überstanden»

Rolf Herlig (Bild) war schon von Anfang an bei Sesam. Seit der Übernahme durch Sage hatte er als General Manager einige Hürden zu nehmen. Von IT Reseller liess sich der Selfmade-Man in die Karten schauen.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2001/20

     

IT Reseller: Herr Herlig, wie hat sich das Unternehmen seit der Übernahme durch Sage verändert? Sage Sesam hatte ja einige Abgänge, angefangen beim Gründer Christopher Burkhard, der ein ganzes Team mit sich nahm, zu verzeichnen.
Rolf Herlig: Die Firma hat sich seit der Übernahme 1999 komplett gewandelt. Einerseits weil das bei einer Übernahme üblich ist, andererseits weil wir viele Möglichkeiten, die Sage mit sich bringt, nutzen konnten. Es gab schwierige Momente, weil Werte, die vorher wichtig waren, heute nicht mehr gefragt sind. Ich hätte mir niemals träumen lassen, dass das Unternehmen einmal eine völlig neue Firma wird. Man kann es nicht wirklich messen, aber das Unternehmen verändert sich, wenn der Eigentümer wechselt.
Christoph Burkhardt, der geistige Vater der Produkte, und eine Schar von Entwicklern sind ausgetreten, weil sie der Überzeugung waren, dass Sage nur eine Marketingfirma sei. Weiter haben sich andere Mitarbeiter zum Weggang entschieden, weil sie nicht mehr in dem kleinen Unternehmen beschäftigt waren, für das sie sich einmal entschieden hatten. Schliesslich ist Sesam aus der Pionierphase herausgetreten und ein etabliertes Unternehmen geworden. Heute haben wir 91 Mitarbeiter, wobei wir als Folge der Rückgänge nach Y2K von ursprünglich 123 reduziert haben.

ITR: Durch die Einbindung in einen Konzern gibt es sicher auch mehr Kontrolle.

RH: Ja, Zahlen bekommen plötzlich eine ganz neue Bedeutung. Heute wird alles gemessen, was messbar ist. Das braucht es auch für ein gut geführtes Unternehmen. Wir wissen heute wie hoch unsere Hotline-Erreichbarkeit ist, wieviele Anrufe wir auf der Infoline haben, wieviele Leads wir generieren etc. Solche Änderungen haben einen Einfluss auf die Unternehmenskultur, denn es gibt auch Mitarbeiter und Führungsleute, die nicht damit leben können, dass plötzlich die Leistung gemessen wird.
Mit der Kultur ändert sich auch die Führung. Dies nicht mal zum Schlechten, aber man muss damit umgehen können. Zusammengefasst hat es deshalb Know-how-Abfluss gegeben. Dieser brachte aber auch Chancen für das Unternehmen, denn wir haben neue Leute bekommen. Sehr gute Leute, die auch neue Ideen eingebracht haben.
ITR: Dann kam Sage Sesam mit einem neuen Release wegen Qualitätsproblemen in die Schlagzeilen. War der Know-how-Abfluss der Grund?
RH: Stimmt, wir hatten massive Qualitätsprobleme und sind froh, diese gelöst zu haben. Denn das hat uns alle sehr betrübt, auch unsere Partner. Der Vorteil ist, dass in dieser Branche solche Probleme schnell vergessen sind, sobald das Produkt einen neuen Namen hat oder eine neue Version da ist. Aber wir hatten eine sehr schwierige Zeit Anfang dieses Jahres. Die Ursache war eine Mischung aus Umsatzdruck, dem Wunsch, die Orbit als Plattform nutzen zu wollen und dem Umstand, dass das Unternehmen mitten in einer «Transition» war und – wie gesagt – Know-how abgeflossen ist.
Diese Mischung war Gift und hatte zur Folge, dass die Qualität nicht in Ordnung war. Bis April waren wir nur noch am Reagieren. Seither hatten wir eine Art “Inkubationszeit”. D.h. es war wichtig, alle unsere Mitarbeiter, die Verkäufer und Leute an der Hotline, die Partner und deren Mitarbeiter, die all die Reklamationen entgegen nehmen mussten, wieder davon zu überzeugen, dass das Produkt jetzt gut ist.

ITR: Das muss Sie viel Energie gekostet haben.

RH: Das brauchte sogar sehr viel Energie, auch persönlich. Das Ganze hat uns zurückgeworfen. Wir wären lieber schon sehr viel weiter, als wir heute sind. Nichtsdestotrotz: Es ist überstanden. Und zwar bin ich deshalb überzeugt, dass wir die Schwierigkeiten überstanden haben, weil unter anderem einer der wichtigsten Partner, Intus Datadesign, das Produkt jetzt ausliefert. Dazu hat er sich zu Recht lange geweigert.

ITR: Wie haben Sie die fehlenden personellen Lücken wieder geschlossen?

RH: Walter Capozzolo hat im Mai die Entwicklungs-Leitung übernommen, nachdem sein Vorgänger als Folge der angesprochenen Qualitätsprobleme gegangen ist. Capozzolo war bei Ascom und Esec, kennt also Unternehmen mit Strukturen, und hat dort immer Entwicklungsteams geleitet.
Den Kundendienst leitet jetzt Marc Ziegler, der bereits Erfahrung auf diesem Gebiet mitbringt. Damit ist der letzte Schritt der Integration abgeschlossen. Das Führungs-Team ist jetzt eine gute Mischung aus neuen Leuten und Mitarbeitern, die das Unternehmen von früher her kennen.

ITR: Wie ist 2001 für Sage Sesam gelaufen?

RH: Am 5. Dezember werden die weltweiten Zahlen präsentiert. Was wir für die Schweiz sagen können, ist, dass wir (Akquisitionen nicht eingerechnet) im 2000 und im 2001 etwa 15% weniger Umsatz erwirtschafteten als im 1999. Wir haben eine sehr gute Orbit gehabt und die Ziele deutlich übertroffen. Der Oktober war sehr gut und der November ist gut gestartet. Wir wissen nicht sicher, ob zum Beispiel die verschiedenen Ereignisse (New York, Zug, Swissair etc) wirklich einen Einfluss auf das Geschäft gehabt haben.
Harte Indikatoren zur Wirtschaftsentwicklung fehlen, aber der psychologische Effekt hat dennoch einen Einfluss. Wenn dieser Einfluss nicht anhält, wird das nächste Geschäftsjahr anziehen. Wenn die schlechte Stimmung aber noch lange anhält, könnte der Umsatz nächstes Jahr zurückgehen. Obwohl wir wie erwähnt neue Produkte einführen, ist unser Budget gleich hoch wie im letzten Geschäftsjahr.

ITR: Wie sieht die Strategie mit Sage KHK aus?

RH: Eigentlich möchten wir uns nicht während laufenden Verhandlungen äussern. Ich versuche dennoch, etwas dazu zu sagen. Sage Sesam will als Organisation den Fachhandel für alle Sage-Produkte, also auch bestehende KHK-Partner, betreuen. Es bestehen aber laufende Verträge zwischen Sage KHK Deutschland und Elray, die wir respektieren.
Wir möchten die Veränderungen mit Elray gemeinsam durchlaufen, Elray wird aber längerfristig als Distributor abgelöst werden. Elray soll in Zukunft nach wie vor ein Vertriebspartner sein, während Sage Sesam die Lokalisierung, Support, Updates und Vermarktung übernimmt.
Produktüberschneidungen gibt es nicht eins zu eins, sondern nur teilweise zwischen den Linien. Wir werden in Zukunft alle Linien anbieten, Winway, Sesam und Officeline.
ITR: Mit SAP und Microsoft Great Plains haben sich zwei übermächtige Player auf den KMU-Markt gestürzt. Und für den CRM-Bereich, wo Sage mit Interact tätig ist, interessiert sich Microsoft. Als Übernahmekandidaten werden Pivotal und Onyx gehandelt. Macht Ihnen das keine Sorgen?
RH: Die genannten Hersteller sind nur der zweit- und drittbeste Anbieter. Sage hat sich mit der Übernahme von Interact den besten CRM-Hersteller geholt. Darauf wäre die Übernahme durch Microsoft lediglich eine Reaktion. Sage ist der Überzeugung, dass für die Accounting-Software lokale Produkte gebraucht werden. Hingegen ist ein Webshop oder Contact Manager ein globales Produkt. Bei Sage ist jedes Land mit ihrer unabhängigen Accounting-Software in der Lage, Gesamtlösungen für Händler und Endkunden im One-Stop-Shopping anbieten zu können.
Es ist richtig, SAP investiert zur Zeit viel, um den KMU-Markt zu erobern.
Ob die Strategie allerdings erfolgreich sein wird, muss sich erst noch zeigen. Der SAP-Händler muss z.B. überzeugt sein, dass SAP ihn nicht konkurrieren wird und dass er die für die Schweiz nötigen gesetzlichen und steuerlichen Anpassungen bekommt, um sie seinen Kunden als Update anbieten zu können. Schliesslich muss der Nachweis erst noch erbracht werden, dass sich Frau Hugentobler von der Shell-Tankstelle bei SAP aufgehoben fühlt.

ITR: Wann kommen die CRM-Produkte von Interact?

RH: Interact hat «Act!» von Symantec im 99 wieder zurückgekauft und in der Zwischenzeit «Saleslogic», eine CRM-Lösung für ein höheres Segment, entwickelt. Seit Mai ist Interact als Unternehmen bei Sage. Das Produkt Act wird als Stand-alone im Retail bestehen bleiben. Sämtliche Sage-Operations haben die Möglichkeit, Act zu nutzen, um es in ihrem Markt einzuführen und Schnittstellen zu bauen. Wir bekommen Act zusammen mit einem Interface, um es in unsere Lösungen integrieren zu können. Dies ergibt dann den «Sage Sesam Contact Manager», ein weiteres Modul. Saleslogic hingegen wird über einen separaten Vertriebsarm, nicht von Sage Sesam und auch nicht unter dem Label Sage Sesam, vertrieben. Es ist geplant, im Mai 2002 zusammen mit anderen Produkt-Updates auch den Contact Manager zu launchen.
(Interview: mh)


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