Unklarheiten bei Novell

An der Novell Brainshare in Nizza versuchten Noch-CEO Eric Schmidt und sein Nachfolger Jack Messman klarzumachen, welche Strategie das zukünftige Unternehmen verfolgen wird. Wer von den Beiden das Sagen haben wird, blieb nicht verborgen.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2001/10

     

An der Novell Brainshare in Nizza war das Wetter zwar warm, aber wechselhaft. Als wechselhaft liesse sich auch die Wirkung beschreiben, die der scheidende Novell-CEO Eric Schmidt und sein Nachfolger und Noch-CEO von Cambridge Technology Partners, Jack Messman, auf die Journalisten ausübten.
Die beiden Herren hatten die Aufgabe, die Presse vom Sinn und Zweck der kürzlich bekanntgewordenen Akquisition von Cambridge durch Novell zu überzeugen. Novell wolle, so hiess es einhellig, vom reinen Softwarehersteller zum Lösungsanbieter mutieren. Damit folge das Unternehmen der Strategie der meisten Hersteller, ihren Anteil an Consulting- und Services am Umsatz zu steigern.
Als Vorreiter dieser Strategie wurde neben dem Paradebeispiel IBM mit seinen Global Services etwa HPs und Compaqs missglückte Versuche, sich Pricewaterhouse Coopers bzw. Proxicom einzuverleiben, angeführt. Dieses ZIel ist auch bei Novell nicht neu, aber bisher hatte es Schmidt nicht geschafft, den Anteil über die Fünf-Prozent-Grenze hinaus zu steigern.
Schmidt meinte, man hätte schon vor einem Jahr begonnen, sich potentielle Kandidaten anzusehen, so etwa den vor dem Aus stehende Mammut-Internet-Dienstleister Marchfirst.

Schmidt vs. Messman

Schmidt wird zwar Chairman von Google und hat in das Unternehmen auch eine beträchtliche Summe investiert, aber der ehemalige Chef-Technologe von Sun wird bei Novell als Chefstratege weiterhin eine tragende Rolle spielen. Messman hingegen, mit dessen Wahl zum CEO man den Schritt von Novell in Richtung Service- und Lösungsanbieter demonstrieren will, machte eher den Eindruck, als solle er als Schmidts Geschäftsführer lediglich dessen Ideen in die Tat umsetzen.
Bereits am offiziellen Pressedinner demonstrierte Schmidt in aller Deutlichkeit, dass er immer noch der Novell-Boss ist und nicht gedenkt, die Zügel aus der Hand zu geben. Der Koloss von einem Mann — in seinen körperlichen Ausmassen erinnert er etwa an Helmut Kohl — wirkte weitaus entspannter und ruhiger als noch vor einem Jahr, kam allerdings zum Empfang deutlich zu spät, reichte den anwesenden Novell-Executives die Hand, nicht aber Messman.
Nach dem Dinner erhob sich Schmidt umgehend und forderte Messman, der noch den letzten Löffel seines Schoko-Desserts zum Munde führte, zum Mitkommen auf. Grummelnd und mit verzogenen Mundwinkeln schmetterte Messman sein Essbesteck auf den Teller, stand mit steinerner Miene und säuerlich lächelnd auf und verabschiedete sich hastig von den anwesenden Journalisten. Sollte es hinter den Kulissen ähnlich zugehen, so herrschen sicher nicht die idealen Voraussetzungen, die beiden angeschlagenen Unternehmen zusammenzufügen.

Produkte und Lösungen oder Lösungen mit Produkten?

Auch wenn Novell beteuert, dass die Rückgänge von Netware bei KMUs mit 20% Wachstum bei mittleren und grossen Unternehmen wettgemacht würden, so bleibt es doch eine Tatsache, dass Netware insgesamt immer mehr Marktanteile an Microsoft abtreten muss. Aus diesem Grund gibt man sich auch seit einiger Zeit Mühe, neue Produkte auf den Markt zu bringen.
Zwar hat Novell neben der Erweiterung von NDS zu eDirectory und dessen (notwendiger) Plattformunabhängigkeit auch DirXML, eine Software mit der auf Daten in eDirectory über XML zugegriffen werden kann, gebracht. Zu erwähnen wären auch die kürzlich vorgestellte Portal Services, eine Software, mittels derer ein Benutzer ein persönliches Portal als Zugang zu allen benötigten Informationsquellen seines Unternehmens erhält.
Zugegeben, die Produkte gelten als innovativ und brauchbar. Mit diesen paar Neuentwicklungen allein konnte das Unternehmen den Kopf aber nicht aus der Schlinge ziehen. Die ständig sinkenden Umsatz- und Gewinnzahlen liessen im Herbst letzten Jahres den Aktienkurs abstürzen. Das Unternehmen reagierte mit Entlassungen, 900 Mitarbeiter erhielten den blauen Brief. Die Fusion mit Cambridge Technology Partners scheint in diesem Kontext als durchaus valable Lösung, wären da nicht Fragen, die mindestens vorläufig unbeantwort¤et bleiben.
Wie sollen die beiden Unternehmen zusammengeführt werden? Schmidt etwa sprach in Nizza davon, dass Novell jetzt eben vermehrt Consulting und Services anbieten werde. Messman hingegen formulierte es anders: Die Integration von Novell müsse so schnell wie möglich über die Bühne gehen. Auf die Frage, welchen Namen das neue Unternehmen tragen wird, wussten beide dieselbe kurze Antwort: Novell.

Channel-Strategie unklar

Auch über die Rolle der Partner scheint man sich nicht ganz im Klaren zu sein. Erst Anfang Jahr gab Novell seine neue Partnerstrategie bekannt, jeder Partner sei ein potentieller Systemintegrator. Von Resellern wollte Schmidt im persönlichen Gespräch nicht mehr viel halten: Die Tatsache, dass Novell im KMU-Bereich keine Bedeutung mehr hat, tat er damit ab, dass es sich um eine allgemeine Entwicklung von Softwareunternehmen handle. Als ob die kleinen Firmen keine Betriebssysteme bräuchten...
Unklar blieb auch, wie das Terrain gegenüber dem nun immensen Consulting-Heer abgesteckt werden soll. Cambridge verfügt über ca. 2500 Consulter, wenn auch die besten zehn Prozent das Unternehmen mittlerweile verlassen haben sollen. Immerhin gab COO Stewart Nelson gegenüber IT Reseller zu, dass Konflikte unvermeidbar sein werden. In der Nelson eigenen, weniger geschliffenen Art gab er zu Bedenken, dass grundsätzlich jeder Partner auch ein potentieller Konkurrent sei. Diese Überlappungen gelte es zu lösen.
Sollte es gelingen, die Unternehmensziele über die persönlichen Präferenzen der einzelnen Top-Manager zu stellen und die eigene Consulting-Armee Produkt-unabhängig zu bewahren und vom Channel abzugrenzen, so dürfte der Heirat eines Grossconsulters mit dem Hersteller von verlässlichen Softwareprodukten gar keine so schlechten Chancen beschieden sein. (mh)


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