IP-Video als grosse Chance

Die Videoüberwachung ist im Umbruch: Netzwerkbasiertes IP-Video läuft der in die Jahre gekommenen analogen Technik immer mehr den Rang ab. Mutige IT-Integratoren können sich einen lukrativen Nischenmarkt erschliessen.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2007/05

     

Kaum etwas entgeht ihren wachsamen Augen: Videokameras sichern den Zutritt zu sensiblen Bereichen wie Rechenzentren, Labors, Archiven oder Produktionsanlagen, sie beobachten diskret das Geschehen auf Bahnhöfen, Flughäfen oder in Parkhäusern und tragen auf diese Weise einen wichtigen Teil zum Gebäudeschutz oder zur Aufdeckung von Straftaten bei. Neben dem Dauerthema Sicherheit gewinnt aber auch die Überwachung von Arbeitsprozessen immer mehr an Bedeutung: So behalten etwa im Verteilzentrum der Migros in Suhr 32 Kameras den Warenverkehr an neuralgischen Punkten im Auge.

Lukratives Überwachungsgeschäft

Die Videoüberwachung ist ein attraktiver Nischenmarkt: Rund 70 Millionen Franken geben Schweizer Unternehmen laut den Zahlen des Marktforschungsinstitutes IMS jedes Jahr dafür aus, Tendenz stark steigend. Während vielen Jahren war das Millionengeschäft mit seinen fetten Hardwaremargen von bis zu 50 Prozent fest in der Hand von spezialisierten CCTV-Integratoren (Closed Circuit Television) wie Securiton oder Siemens. Doch seit einiger Zeit findet ein Technologieschritt statt, der eine Riesenchance für IT-Integratoren darstellt: Die bald 30jährige analoge Videotechnik wird von netzwerkbasiertem IP-Video abgelöst (s. Kasten). «Bis im Jahr 2009 werden wir in der Schweiz gleich viele IP-basierte wie analoge Anlagen haben», prophezeit Roland Keiser, Managing Director von Seetec Schweiz, einem deutschen Unternehmen, das Software für die netzwerkbasierte ­Videoüberwachung entwickelt. In der Tat wächst der Markt für netzwerkfähige Kameras überdurchschnittlich: «Marktforscher prognostizieren für die Schweiz ein jährliches Wachstum von 46 Prozent bei den IP-Kameras, das mindestens die nächsten fünf Jahre anhalten sollte», sagt Tanja Hilpert, Marketingleiterin beim Kamerahersteller Axis für Deutschland, Österreich und die Schweiz.


Hardwareseitig teilen die vier Hersteller Sony, Panasonic, Axis und Mobotix den Löwenanteil des professionellen Kameramarktes unter sich auf. Sony und Panasonic haben in jüngster Zeit ihre bewährten analogen Produktportfolios in Richtung IP-Video ausgebaut, Axis und Mobotix dagegen sind mit Netzwerkvideo gestartet und gross geworden. Axis gilt als Marktführer im Bereich der IP-Videokameras, doch auch die im Jahr 1999 in Kaiserslautern gegründete Mobotix mischt den Markt gehörig auf: «Über unsere Händler und Integrationspartner verkaufen wir weltweit gegen 2000 Kameras pro Monat», erzählt Andy Eberhard, Geschäftsführer der Schweizer Niederlassung in Bäch.

Software wird zum Kernfaktor

Weil in der digitalen Videowelt das Bedürfnis nach interaktiven Diensten wie Fernzugriff über Internet stetig zunimmt und heterogene Umgebungen zentral verwaltet werden müssen, ist die Software immer wichtiger geworden. Neben den Kameraherstellern entwickeln auch Drittfirmen entsprechende Lösungen. So etwa die deutsche Seetec, die seit dem Jahr 2004 eine Niederlassung in Luzern unterhält. Das Unternehmen sieht sich als Value Added Distributor (VAD) und verkauft über seine Partner Gesamtlösungen mit seiner Software und den Kameras der grossen Hersteller indirekt an die Endkunden.

Unter den Seetec-Partnern finden sich sowohl klassische CCTV-Integratoren als auch IT-Integratoren. «Die Videointegratoren der alten Schule setzten sich anfänglich eher gegen IP-Video zur Wehr, denn sie müssen ihre traditionellen Geschäftsmodelle und vor allem ihre hohen Margen aufgeben», erzählt Keiser. Den IT-Integratoren fehle es auf der anderen Seite am Know-how im Videobereich. Seetec würde diese Partner aber schulen und zertifizieren: «Wer als IT-Integrator heute bereits IT-Sicherheit im Angebot führt, kann seinen Kunden auf die­se Weise neu auch physische Sicherheit mittels einer IP-Videoanlage anbieten», so Keiser. Interessant seien dabei vor allem auch die möglichen Nebengeschäfte: «Je nach Leistung der Videoanlage braucht es performante Maschinen, weshalb ein geschickter Partner dem Kunden zusätzlich noch Server- oder Speicher­lösungen verkaufen kann.»


Als zweites Schwergewicht für IP-Video-Software tritt die dänische Milestone am Markt in Erscheinung. Sie wird in der Schweiz von John Lay in Littau vertrieben, die auch als Generalimporteur für die Videoprodukte von Panasonic fungiert: «In diesem Sinn fahren wir eine zweigleisige Strategie. Zum einen arbeiten wir mit der Hardware von Panasonic und Komponenten, die ein dediziertes Betriebssystem enthalten und einen Server ersetzen können, zum anderen bieten wir mit der Software von Milestone eine Lösung für Video over IP, die dem Open-Plattform-Gedanken vollumfänglich gerecht wird», erklärt Roger Meier, Produktmanager für Security Systems.

Beim Vertrieb setzt John Lay heute noch mehrheitlich auf die im Schweizerischen Verband der Errichter von Sicherheitsanlagen (SES) zusammengeschlossenen Fachhändler: «Diese rund 30 Partner waren schon in der Vergangenheit unsere Schlüsselkunden und vertiefen jetzt ihr IT-Know-how», so Meier. Aber John Lay sehe ein gewaltiges Potential für IT-Player in diesem Markt: «Wir sehen für uns auch die Chance, einen neuen Fachhandelskanal zu erschliessen. Deshalb werden wir im November dieses Jahres verschiedene IT-Integratoren an die Sicherheitsmesse in Zürich einladen», so Meier weiter.

Grosse Chance für IT-Integratoren

Den Schritt in den Videomarkt hat beispielsweise Bison Systems, die sich ab dem 1. April dieses Jahres PC-Ware Systems Schweiz nennt, gewagt. Seit rund drei Jahren ist das IT-Systemhaus Partner von Seetec: «Seit Beginn der Partnerschaft konnten wir diverse Projekte realisieren», erklärt Produktmanager Marco Keusch. Zwischen den grossen Schweizer IT-Systemhäusern seien die Kunden relativ starr verteilt und es komme kaum zu grösseren Wechseln. Deshalb sei es wichtig, stets neue und IT-konforme Produkte und Zusatzgeschäfte zu finden, so Keusch. Die Videoüberwachung sei dabei vor allem auch ein lohnendes Business: «Rund ein Drittel des Auftragsvolumens entfällt auf Beratung und Dienstleistungen», erklärt Keusch. In vielen Projekten offeriere Bison Systems anfänglich gegen Elektriker, befinde sich diesen gegenüber aber im Vorteil: «Es ist für uns als IT-Player einfacher, den IP-basierenden Videobereich in unser Portfolio zu integrieren als umgekehrt.» Das Videogeschäft weise zudem eine hohe Kundenbindung auf: «Oft geschieht es, dass ein Neukunde nach dem Startprojekt auf den Geschmack kommt und weiter ausbauen möchte», so Keusch abschliessend.

Die Vorzeichen für die IT stehen gut

Der IT-Dienstleister Entex aus Freienbach ist seit einiger Zeit Secure-Partner des Kameraherstellers Mobotix. «Der Videomarkt hatte bisher für eine IT-Firma wie uns wenig Bedeutung. Mit der Entwicklung der IP-Kameras hat sich dies aber grundlegend geändert», erzählt Geschäftsführer Stephan Kessler. Eine IP-Kamera sei eigentlich ein kleiner PC und werde auch so gehandhabt: «Durch die Anbindung der Kameras an bestehende EDV-Netzwerke wurde die Voraussetzung dafür geschaffen, dass sich der Überwachungsmarkt wie von selbst von den Elektronikinstallateuren hin zu den IT-Firmen verschiebt, da bei uns das entsprechende Know-how ja bereits vorhanden ist», so Kessler weiter. Man sehe hier erst die Anfänge eines riesigen Wachstums: «Die zugrundeliegende Technik macht es einem IT-Play­er einfach, sich in die Materie einzuarbeiten», so Kessler weiter. Entex habe seine Anfänge im IP-Videobereich vor acht Jahren gemacht, als es darum ging, ein Feriendomizil in Florida mit einer Kamera zu überwachen. Inzwischen hat das Freienbacher IT-Dienstleistungshaus zahlreiche Überwachungsprojekte bei namhaften Kunden in der ganzen Schweiz abschliessen können, darunter auch eines bei Entsorgung und Recycling der Stadt Zürich (ERZ), wo insgesamt 35 Kameras verschiedene Anlagen wie Klär- und Kompostierwerke im Auge behalten.

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Die analoge Videotechnik ist in die Jahre gekommen und hat gewichtige Nachteile: Spezielle Gerätschaften wie Videomatrix, Bildsplitter und Bedienelemente in der Zentrale sind proprietär und teuer. Mit der zunehmenden Verbreitung von IP-basierten Netzwerken und der Konvergenz von Sprache, Daten und Video war es also nur noch eine Frage der Zeit, bis die analogen Kameras netzwerkfähig gemacht würden. Vereinfacht gesagt wird dafür hinter eine analoge Videokamera ein Videoserver auf der Basis von Linux geschaltet, der das Bildsignal auf das TCPIP-Protokol portiert und über einen Switch ins Netzwerk einspeist. Dieser Schritt bringt entscheidende Vorteile mit sich. So können mehrere IP-Kameras an einen Switch und dieser ganz einfach an den Backbone gehängt werden. Dank Power over Ethernet besteht auch die Möglichkeit, Kameras über das Netzwerk mit Strom zu versorgen und ein- oder auszuschalten. Schliesslich kann dank verbesserten Komprimierungs­algorithmen auch eine höhere Bildauflösung im Bereich von einem Megapixel erreicht werden. Interessant ist vor allem die Anbindung von IP-­Videokameras an andere Systeme des Facility Managements wie Zutrittssysteme, Brandmeldeanlagen oder Einbruchsicherungen. Das Mass an Interaktion mit den Kameras nimmt in der digitalen Videowelt zudem stetig zu, wodurch Software für die Verwaltung und Steuerung der Kameras ­enorm an Bedeutung. (bor)


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