Weit und breit keine neuen IT-Stellen in Sicht

Ganz oben im IT-Himmel hätte es früher einen richtigen David Copperfield gebraucht, um einem ausgebildeten Informatik-Profi hohen Lohn und gute Anstellungsbedingungen vor der Nase wegzuzaubern. Doch das Unvorstellbare ist heute bittere Alltagserfahrung für viele Bewerber: Der IT-Stellenmarkt steckt in der Krise.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2003/09

     

Tatsächlich verheissen die Prognosen der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich nicht viel Gutes: Für das erste Halbjahr 2003 erwarten die Volkswirte eine schleppende Konjunkturentwicklung – dabei hätte gerade die Schweiz positive Impulse aus dem Ausland bitter nötig.
Bei einer erst in der zweiten Jahreshälfte 2003 leicht ansteigenden Produktion dürfte die Zahl der Beschäftigten bis zum Ende des Jahres weiter abnehmen. Von diesem Arbeitsplatzabbau sind sämtliche Sektoren betroffen, eine Entspannung wird erst für 2004 in Aussicht gestellt.
Einen Silberstreifen am Horizont haben die Arbeitsmarktforscher von Adecco/EMC in Deutschland entdeckt: Wie eine Erhebung zeigt, ist die Zahl der ausgeschriebenen IT-Stellen in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres erstmals nach vier rückläufigen Quartalen wieder angestiegen – mit 4387 Jobofferten gab es ein Plus von 11 Prozent gegenüber dem Schlussquartal 2002.
Diese Positivmeldung relativiert sich einige Zeilen später allerdings von selber wieder: Es dürfe nicht vergessen gehen, schreiben die Macher der Studie, dass die Bilanz gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres eindeutig negativ sei. Seit dem ersten Quartal 2002 hat sich die Zahl der angebotenen IT-Stellen nämlich glattweg halbiert.

Nur scheinbar weniger Arbeitslose

Zwar registriert auch das Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) in seiner Arbeitslosenstatistik für den Monat März 2003 eine Abnahme um ein Prozent bei den registrierten Stellenlosen im Bereich «Beratung, Planung und EDV/Informatik».
Doch auch hier ist Vorsicht geboten: Die Statistik verrät uns nämlich nicht, wieviele der 190 nicht mehr darin erfassten Stellensuchenden wegen der Aussteuerung aus dem Raster gefallen sind – oder wieviele davon überhaupt der Subkategorie «EDV/Informatik» angehören, auf die im März nur 2855 Personen von insgesamt 18662 unter «Beratung, Planung, EDV/Informatik» registrierten Arbeitslosen entfielen. «Weniger Stellenangebote auch im Internet»: Zu diesem Fazit kommt der vom Internet-Stellenmarkt Jobpilot.ch und der Fachhochschule Solothurn Nordwestschweiz erhobene Index.
Im Vergleich mit dem Print-Stellenmarkt schneidet der Online-Bereich zwar immer noch besser ab, doch ist der Stelleninserate-Index im Januar 2003 auf einen neuen Tiefststand gefallen: Noch nie waren in Internet-Jobbörsen so wenig neue Stellen ausgeschrieben.

Toter Markt

«Ich lasse mich nicht länger auf die optimistische Schiene drücken: Eine Trendwende wird es frühestens in zwei bis drei Jahren geben», sagt Alex Jeschek, Managing Partner des Human-Capital-Unternehmens Level Consulting, das unter anderem als Personalberater im IT- und Telekom-Bereich tätig ist. Vor allem bei teuren Freelancern (Contractors) werde heuer massiv gespart: «Der Markt ist tot», sagt Jeschek.
Viele Top-100-Unternehmen in der Schweiz würden die gegenwärtige Konsolidierungsphase dazu nutzen, Contractors gegen hochqualifizierte Festangestellte «einzutauschen». «Momentan werden jedenfalls keine neuen Stellenprozente geschaffen», so Jeschek. Bewerber ohne Hochschul- oder Fachhochschul-Abschluss erhielten nicht einmal mehr eine Einladung zum Vorstellungsgespräch: «Keiner wird mehr Informatiker, ohne Informatik studiert zu haben», meint er. Im Jahr 2003 befinden sich die IT-Stellensuchenden im «Chillout» – «wie die Banker», so Jeschek.
Ganz ähnlich sieht das auch Jürg Kuenhans, Inhaber des IT-Personalvermittlers Kuenhans und Partner: «Die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist total verhalten», sagt er. Mit einem Volumen von 10 bis 20 Prozent der Menge von 2001 sei der Markt für Contractors am Boden. Doch auch bei den Festangestellten habe die Situation gekehrt: «Früher bekamen die Firmen für 100’000 bis 120’000 Franken Jahreslohn jemanden, der knapp drauskam.
Heute picken sie sich die Perlen raus – für weniger Geld.» Aufgrund dieser fast schon brutalen Selektion durch die Arbeitgeber würden jetzt viele Bewerber aus dem Markt gedrückt: «Die kommen auch nicht wieder hinein», so Kuenhans. Dabei denkt er an «den Metzgermeister, der sich im Abendkurs zum Webmaster SIZ hat ausbilden lassen».

Höchstens die Besten haben eine Chance

«Vor allem Banken und Versicherungen picken sich jetzt Topleute heraus», meint Aisling Flanagan von Fasttrack IT Recruitment, einem Vermittler aus Irland mit einer Niederlassung in der Schweiz. Axel Langer, Mediensprecher der UBS-Group, bestätigt diese Praxis indirekt: «Der IT-Arbeitsmarkt ist für uns günstiger geworden», meint er. Man sucht wenig Leute – und stellt nur die besten ein: «Swisscom IT-Services hat bei rund 2000 Beschäftigten lediglich zehn Stellen ausgeschrieben», sagt Swisscom-Mediensprecher Sepp Huber.
Gesucht werden IT-Projektleiter mit Erfahrung und SAP-Spezialisten. Leute mit «Abendschul-Ausbildung» haben keine Chance mehr, so Huber. Einigermassen unsicher präsentiert sich die Lage wohl auch bei den Dienstleistern, die zu den grössten Arbeitgebern für Informatik-Profis der Schweiz gehören: Man wolle momentan keine Prognose zur Beschäftigung von Informatikern abgeben, heisst es etwa bei IBM Schweiz.

(Boris Schneider)


Stellenbewerber lügen wie gedruckt


Dass beim Run um IT-Stellen auch gelogen wird, dass sich die Balken biegen, zeigt eine Studie der Risk Advisory Group. Im vergangenen Jahr wurden 2700 Bewerbungen aus allen Branchen untersucht, wobei in 55% der Fälle Lügen und unterschlagene Fakten festgestellt wurden. Im IT-Bereich traf dies aber sogar bei 70% der Bewerbungen zu. Meist handelte es sich um Unterlassungssünden wie verschwiegene Arbeitgeber oder geschönte akademische Karrieren. Eher selten anzutreffen waren frei erfundene Lebensläufe. (IW)


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