Viel Lärm um (Ex All Com) AIS&S


Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2002/08

     

Über die All Com Holding AG wurde am 26. März der Konkurs eröffnet. Für den letzten Rest des einst stolzen Börsenkandidaten, der AIS&S AG (Advanced Internetworking Solutions & Services AG) wurden Investoren gesucht und gefunden. Doch es kursieren Gerüchte um AIS&S, den Spin-off von Clark Sachs untergegangener All Com.
Martin Lüthi, CEO ad interim bis Ende April, spricht von einer gesicherten Zukunft mit neuen Investoren. Diverse Informanten hingegen (zum Schutz ihrer Person wollen diese ungenannt bleiben) wollen im schlimmsten Fall den Untergang orakeln. IT Reseller hat recherchiert. Was ist dran an den Vorwürfen? Wird viel Lärm um nichts gemacht oder haben wir in ein Wespennest gestochen?

Die Vorwürfe

Am 11. April erreichte IT Reseller eine Mitteilung, in der ein mit der Materie vertrauter Informant erhebliche Vorwürfe gegen AIS&S hervorbringt. Unter anderem ist die Rede davon, dass die All Com Holding die All Com Schweiz bewusst Konkurs gehen liess, Cisco auf Millionenforderungen sitzen gelassen wurde und Grossteile des Managements das Unternehmen teilweise aufgrund von Differenzen verlassen hätten. Dem Integrator sei sehr viel Know-how durch Entlassungen und Kündigungen verloren gegangen.
Des weiteren wird die Geschäftsleitung beschuldigt, sämtliche Mails der Mitarbeitenden einzusehen. Am schwersten wiegt aber die Behauptung, potentielle Investoren, darunter mit dem Elektrizitätswerk Thurgau auch ein Unternehmen in öffentlichem Besitz, würden womöglich nicht vollumfänglich über den Zustand von AIS&S informiert.
IT Reseller konfrontierte Noch-CEO Martin Lüthi mit den Behauptungen, AIS&S informiere potentielle Investoren nicht korrekt, die Geschäftsleitung würde E-Mails aller Mitarbeitenden mitlesen und habe massiv Know-how verloren. Lüthi dementierte sämtliche Aussagen als «grundlegend falsch und verdreht», wollte aber zu keinem Punkt eine Stellungnahme abgeben.
Einen Gesprächstermin für den 19. April sagte Lüthi kurzfristig wieder ab. Stattdessen gab AIS&S am selben Tag eine Pressemitteilung heraus, in der das Unternehmen mitteilte, dass Georg Pfurtscheller, der Hauptaktionär der Schlieremer GPS Technik und VR-Präsident von AIS&S die Aktienmehrheit der AIS&S übernommen habe. GPS Technik ist Systemintegrator und Internet-Provider für Kabelnetz-Anbieter.

Wieder ein CEO

Man könne, so die Mitteilung, durch die «Partnerschaft» mit GPS Technik neu Gesamtlösungen inklusive Hardware und Software für den Carrier- wie auch den Enterprise-Markt anbieten. AIS&S hatte nach dem Crash der All Com-Gruppe, die bei Lieferanten (v.a. Cisco) einen nicht unbeträchtlichen Schuldenberg hinterlassen hat, deren Hardware-Geschäft nicht weitergeführt.
Ganz nebenbei wird noch erwähnt, dass AIS&S mit Matthias Nanzer bereits wieder einen neuen CEO ernannt hat. Nanzer leitete bis letztes Jahr Cable&Wireless Schweiz und löst Martin Lüthi per 1. Mai ab. Damit hätte das Unternehmen seit letztem Sommer nun bereits den vierten Chef.
Ausserdem teilte das Unternehmen mit, dass Verhandlungen mit der Elektrizitätswerk Thurgau AG (ETK) im Gange seien. Auch die ETK gab kurz nach unserer Anfrage eine Pressemitteilung heraus, in welcher sie bestätigt, dass man eine Beteiligung an AIS&S prüfe, des weiteren aber prinzipiell zu vagen Aussagen keine Stellung beziehe.

Verwunderung bei Insidern

Unsere Insider sind erstaunt, dass AIS&S Investoren auftreiben konnte. AIS&S lebe derzeit noch von dem, was im letzten Jahr aquiriert wurde, heisst es, doch dürften diese Projekte jetzt langsam auslaufen. Man zweifle sogar daran, dass die Investoren vollumfänglich über den momentanen Zustand des Unternehmens und dessen Geschäfts-Strategie aufgeklärt worden seien. Besonders im Falle der EKT empfinde man eine Beteiligung an AIS&S, mitunter mit öffentlichen Geldern, eher als bedenklich. Auch zu diesem Vorwurf erhielten wir seitens AIS&S zu keinem Zeitpunkt eine Stellungnahme.

Schwierige Investorensuche

Seit dem All Com-Crash war AIS&S auf der Suche nach Investoren. Das erwies sich aber aus zwei Gründen als schwieriges Unterfangen: Zum einen hatte das Unternehmen nach dem Konkurs der All Com trotz guter Geschäftsergebnisse ein schlechtes Echo auf dem Markt. Zum anderen habe AIS&S mehr für das Unternehmen verlangt, als es tatsächlich wert sei, so ein Insider.
Ende letzten Jahres sah der damalige AIS&S-Geschäftsführer Andreas Jenny die einzige Überlebenschance in einer Art MBO (Management Buy-out) des Kerns von AIS&S. Doch Martin Lüthi, heisst es, lehnte ab, Jenny verliess das Unternehmen. Mittlerweile hat es ein grösserer Teil der Mitarbeitenden Jenny nachgemacht und das Handtuch geworfen.
Von den in der Rumpfgesellschaft AIS&S letzten Sommer übriggebliebenen 65 Mitarbeitenden dürften momentan noch rund 25 Angestellte im nichtgekündigten Verhältnis angestellt sein. Von den einst neun CCIEs (Cisco Certified Internetworking Expert) sollen noch zwei bei AIS&S beschäftigt sein.

Datenschutzverletzung?

Dicke Luft also bei AIS&S? Immerhin wird behauptet, dass die Geschäftsleitung sämtliche E-Mails der Mitarbeitenden einsehe. Auch zu dieser Behauptung wollte von AIS&S niemand Stellung nehmen. (sk/hc)

Die All Com-Chronik

Mai 00: Die All Com-Gruppe plant für Ende des Jahres den Börsengang. Mit sechs Niederlassungen in der Schweiz wächst der Personalbestand 1999 von 23 auf 115 Mitarbeiter.
Herbst 00: All Com-Gründer Clark Sachs gliedert die Gruppe unter dem Holding-Dach in sechs Geschäftseinheiten auf.
Nov. 00: Mitarbeiter erstehen Aktien der All Com Holding für teilweise bis zu sechsstelligen Beträgen.
Jan. 01: Clark Sachs, der charismatische Gründer der All Com-Gruppe, verstirbt plötzlich.
Mai 01: Die All Com-Gruppe schreibt erstmals rote Zahlen (-8,9 Mio. Franken), die Niederlassungen sollen aufgehoben, Mitarbeiter entlassen werden.
Juli 01: Wolfgang Essig wird geholt, um die All Com-Gruppe zu reorganisieren und in eine sichere Zukunft zu führen.
Aug. 01: All IP Tel und All Com Schweiz deponieren die Bilanz, Actavis und Asenis werden in MBOs abgestossen. Der Storagebereich wird aufgelöst. AIS&S übernimmt den gesamten Internetworking-Bereich der All Com-Gruppe. Von über 170 bleiben 65 Mitarbeiter übrig. Essig wird die Leitung der AIS&S übertragen.

Okt. 01: Essig wird freigestellt, Jenny kommt wieder ans Ruder von AIS&S.

Jan. 02: Jenny will das Kerngeschäft der AIS&S durch eine Art MBO retten. Die Altaktionäre lehnen seinen Vorschlag ab, Jenny geht, Martin Lüthi übernimmt ad interim den Chefposten.
März/
April 02: Die All Com Holding deponiert die Bilanz. Georg Pfurtscheller, der Hauptaktionär der Schlieremer GPS Technik und Verwaltungsratspräsident von AIS&S übernimmt deren Aktienmehrheit. Per 1. Mai wird Matthias Nunzer neuer CEO von AIS&S.


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