'Das Data-Privacy-Framework kann jeden Tag ­zusammenklappen'
Quelle: Nextcloud

"Das Data-Privacy-Framework kann jeden Tag ­zusammenklappen"

Die sprunghafte US-amerikanische Politik sorgt aktuell dafür, dass sich viele Unternehmen nach europäischen Cloud-Alternativen umsehen. Mit diesem Rückenwind will der deutsche Collabora­tion-Anbieter Nextcloud jetzt auch in der Schweiz Gas geben.

Artikel erschienen in IT Reseller 2025/06

   

Nextcloud erlebt derzeit einen Boom. Die Nachfrage beim deutschen Collaboration-Anbieter hat sich seit Jahresanfang mehr als verdoppelt, in der Schweiz liegt die Rate gar noch etwas höher. Eine Entwicklung, deren Ursprung sich relativ leicht ausmachen lässt: Die Unvorhersehbarkeit der nächsten Schachzüge der Trump-Regierung sorgt unter europäischen Unternehmen für Unsicherheit, was sich auch auf die IT-Strategie durchschlägt. Microsoft hat bereits mit einer Charmeoffensive auf die Sorgen europäischer Partner reagiert und umfangreiche Investitionen in die regionale Cloud-Infrastruktur angekündigt. Ob dieser Vorstoss aber greift, muss sich zeigen. Denn laut Nextcloud-Gründer und -CEO Frank Karlitschek gibt es drängende Gründe für einen Umstieg auf einen europäischen Anbieter. Denn das aktuelle, noch von der Biden-Regierung ausgehandelte Data-Privacy-Framework, das den transatlantischen Datenverkehr sowohl mit der Schweiz als auch der EU regelt, könnte «jeden Tag zusammenklappen». Die potenzielle Folge: «Dann wäre die Nutzung von amerikanischen Cloud-Diensten vom einen auf den anderen Tag illegal.» Daher sollte jedes Unternehmen laut Karlitschek zumindest einen Plan B zur Hand haben, auch für den drastischen Fall eines «Notausknopfs», beispielsweise, wenn US-Präsident Trump IT-Systeme als Verhandlungsmasse nutzt und mit einer Abschaltung für europäische Kunden droht.

Punkt 2 sind die Kosten. So sei laut dem Nextcloud-CEO bereits heute absehbar, dass sich der Zollstreit auf kurz oder lang auch auf IT-Services ausweiten und mit einer drastischen Erhöhung der Preise einhergehen wird. In dieser Betrachtung seien aber auch die «Monopolstellung» von Microsoft und die kürzlich angekündigte Preiserhöhung für Office kritisch zu bewerten. «Es gibt nicht so viele Produkte, bei denen man mal kurz die Preise um 40 Prozent erhöhen kann und die Kunden gehen trotzdem nicht davon weg. Das ist schon erstaunlich.»


Der dritte Grund für einen schnellen Umstieg auf europäische Alternativen ist laut Karlitschek die Gefahr von Industriespionage. Was zuvor noch ein sehr abstraktes Risiko war, habe seit dem US-Regierungswechsel an Form gewonnen, beispielsweise mit Elon Musk beziehungsweise DOGE und dem Zugriff der Zampano-Organisation auf zahlreiche US-amerikanische Datenbanken. Und damit auch die Möglichkeit, dass amerikanische Unternehmen Einblick in Daten ihrer europäischen Wettbewerber erhalten könnten. «Aus all diesen Gründen sollten sich auch kleine Organisationen überlegen, wie sie mit dieser Situation umgehen. Und das ist auch gar nicht so schwierig», betont der Nextcloud-CEO. Denn ein Gegensteuern erfordere nicht etwa die Rückkehr in die alte Welt der IT und zum Server im Keller, sondern es gebe mittlerweile genügend europäische Cloud-Alternativen.

Open Source, flexibler Betrieb, kein Vendor Lock-in

Zu diesen Anbietern zählt auch Nextcloud. 2016 noch als Dienst rein für den Datenaustausch gestartet, bietet das Unternehmen aus Stuttgart mittlerweile einen umfangreichen Collaboration-Baukasten an, der im direkten Wettbewerb zu Microsofts Office 365, Google Workplace und Co. steht. Dabei setzt Nextcloud nicht nur auf einen Open-Source-Ansatz, sondern bietet Kunden auch die Flexibilität, sich zwischen dem lokalen Betrieb auf eigenen Servern und einem regionalen Hosting-Partner der Wahl zu entscheiden. «Man hat die Auswahl, man kann sich entscheiden, wer Zugriff haben soll, und man hat jederzeit die Möglichkeit, zwischen den Providern zu migrieren», so der CEO. Mit diesem Konzept konnte sich Nextcloud neben dem klassischen Unternehmensumfeld vor allem auch in anspruchsvollen Bereichen wie dem Public-Sektor, in der Verteidigungsbranche sowie im Bildungsbereich etablieren. Hinzu kommen aber beispielsweise auch Service-Provider, die Nextcloud im Rahmen eines Whitelabel-Modells betreiben und anbieten. Das soll sich selbst im KMU-Umfeld umsetzen lassen, sagt Karlitschenk, mit kleinen Instanzen und stets personalisiert und an die eigene Marke angepasst.


Vor dem Hintergrund der geopolitischen Entwicklungen rechnet der CEO nun mit einer weiter steigenden Nachfrage von Organisationen jeglicher Couleur. Zwar habe es bereits in Vergangenheit immer wieder Schübe gegeben, beispielsweise nach den Enthüllungen von Edward Snowden, mit den Themen Privacy Shield und Safe Harbour, aber auch zur ersten Amtszeit von Donald Trump. In der aktuellen Lage rechnet Karlitschek aber mit einem langfristigen Umdenken in Politik und Wirtschaft – das sich schon jetzt in der rasant steigenden Zahl der Anfragen widerspiegelt. «Die Dinge scheinen wirklich ins Rutschen zu kommen.»

Im Wettbewerb mit den IT-Riesen

Trotz dieser Unsicherheit vieler europäischer Unternehmen, trotz offener Fragen und datenschutzrechtlicher Grauzonen: Nextcloud sieht sich einer nicht zu unterschätzenden Marktmacht gegenüber. Die US-amerikanischen Cloud-Konzerne blicken nicht nur auf ihre gewaltigen Ressourcen, sondern aufgrund ihres umfangreichen Ökosystems auch auf eine starke Stellung in den IT-Landschaften unzähliger Betriebe. Das deutsche Unternehmen zeigt sich aber kämpferisch. So hat Nextcloud vor einigen Jahren bereits Beschwerde gegen Microsoft beim deutschen Kartellamt eingereicht (aktuell läuft die Prüfung noch). Der Vorwurf: Der Konzern würde seine Monopolstellung nutzen, um weitere Cloud-Services «in den Markt zu drücken». Gerade das oft kritisierte Produkt-Bundling, das unter anderem Teams zur aktuellen Spitzenposition im Markt verholfen hat, sei laut Karlitschek ein grosses Problem, gegen das man aktiv vorgehe.


Eine andere wichtige Initiative wider die Vormachtstellung hat der CEO Anfang des Jahres hingegen öffentlichkeitswirksam als tot erklärt: Gaia-X. Dabei war Nextcloud zu Beginn des europäischen Cloud-Vorstosses eines der wichtigsten Mitglieder und treibende Kraft. Dann wurden jedoch auch die US-amerikanischen Anbieter aufgenommen – laut Karlitschek einer von zwei grossen Fehlern. In Folge hatten die Hyperscaler schnell die Zügel in den Arbeitsgruppen übernommen und den europäischen Wettbewerbern kaum mehr Raum gelassen, um aktiv mitzudiskutieren. «Wenn auf der anderen Seite vom Tisch plötzlich 30 Leute sitzen, die eigentlich nichts anderes in ihrer Zeit machen, dann kann man sich irgendwann nicht mehr involvieren.» Der zweite kritische Punkt war dann der Rückzug der Politik aus der Initiative. Ab diesem Moment ist laut Karlitschek der strategische Aspekt verlorengegangen und Gaia-X zu einem «Papiertiger» geworden, ohne richtiges Momentum. Dabei bleibt das ursprüngliche Ziel weiterhin erstrebenswert: dass sich europäische Cloud- und Software-Anbieter stärker organisieren, kooperieren, und so ein Gegengewicht zu den US-Platzhirschen bilden. Ob und wie diese Zusammenarbeit aber noch zustande kommen könnte, das kann auch der Nextcloud-CEO nicht sagen.

Auf Augenhöhe – zumindest bei den Produkten

Aber auch ohne Gaia-X sieht sich der Anbieter aktuell gut aufgestellt, um es mit den US-amerikanischen IT-Riesen aufzunehmen. Zumindest produktseitig müsse man sich nicht verstecken. Die eigenen Dienste würden alle wichtigen Features bieten, die auch der Wettbewerb an Bord hat. Die viel grössere Herausforderung liege laut Karlitschek eher darin, ein Umdenken bei den Usern anzustossen, die oft seit Jahren und Jahrzehnten in der Microsoft-Welt zuhause sind. Oder ihnen etwas entgegenzukommen. So hatte Nextcloud die Icons der eigenen Anwendungen bisher CI-konform in Blau gehalten oder die Farbwahl den Administratoren der Kunden überlassen. Jetzt gleicht der Anbieter den Farbcode stärker an Microsoft an (bspw. Excel in Grün, Powerpoint ist Orange etc.), damit sich die Nutzer auch in der neuen Umgebung «gleich zu Hause fühlen».

Ein weiterer Optimierungspunkt ist neben der grafischen Gestaltung das Vertriebsnetzwerk. Im Gegensatz zu den Produkt-Features müsse Nextcloud hier noch deutlich aufholen, wie der CEO sagt. Aktuell arbeitet der Collaboration-Anbieter zwar bereits mit mehreren Hundert Resellern in zahlreichen Ländern zusammen. Das tatsächliche Business konzentriert sich aber auf einige wenige Partner, während über den Grossteil nur wenig passiert. Hinzu kommt ein – je nach Region – starker Direktvertrieb. Derzeit liegt der Anteil laut Karlitschek übergreifend bei jeweils rund 50 Prozent. Unter anderem in Zentraleuropa ist der Direktanteil aus historischen Gründen jedoch noch grösser, während das Geschäft beispielsweise in Japan bereits zu 100 Prozent über den Channel läuft. «Wir gehen hier sehr opportunistisch ran», erklärt der CEO den starken Direktvertrieb. «Wir schauen uns eben an, was der beste Weg zum Vertragsabschluss und in der Zusammenarbeit mit dem Kunden ist. Daher gibt es auch keine klare Trennung zwischen indirektem und direktem Geschäft bei uns, weil alles fliessend funktioniert.»


Der Ausbau des Channel-Geschäftes steht für Nextcloud dennoch weit oben auf der strategischen Agenda. Aus einem einfachen Grund: das Unternehmen kann die vielen Anfragen schlicht nicht mehr allein abdecken. Vor allem dann, wenn es um Value Added Services rund um die Software geht, um Betrieb, Schulungen und Migrationsprojekte. Hier sind Partner gefragt, «nur so können wir richtig wachsen», bekräftigt Karlitschek. Das gilt im Speziellen auch für die Schweiz. Der deutsche Anbieter sucht hierzulande weitere Partner, um das Vertriebsnetzwerk zu stärken, lokal präsent zu sein, und wirbt gleichzeitig mit den Umsatzpotenzialen der eigenen Dienste. Zwar verfügt Nextcloud hierzulande bereits über ein bestehendes Partnernetzwerk aus Resellern und Service-Providern, «aber irgendwie lief das Geschäft hier immer schwächer als in anderen europäischen Ländern. Und ich bin mir nicht ganz sicher, warum.» Jetzt zeichne sich hierzulande allerdings ein Wandel ab, unter anderem auch durch die im «Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben» geregelten Open-Source-Vorgaben für die IT der Bundesverwaltung. «Daher sind wir sehr optimistisch, dass hier aktuell in der Schweiz ein allgemeines Umdenken stattfindet und Open Source und digitale Souveränität hoch oben auf der Prioritätenliste stehen», so der Nextcloud-CEO.

Über Nextcloud

Nextcloud wurde 2016 von Frank Karlitschek zusammen mit mehreren anderen Open-Source-Experten gegründet, um einen Fileshare-Dienst für Unternehmen auf die Beine zu stellen. Rund vier Jahre später, im Jahr 2020, folgte der Übergang von einer reinen Dateiaustauschlösung zu einer vollständigen Kollaborationsplattform. Der Nextcloud Hub umfasst neben einem Tool für Chats und Videokonferenzen, einer Groupware und einer Office-Lösung mittlerweile auch einen eigenen, lokal betriebenen KI-Assistenten. Somit geht der deutsche Anbieter in direkten Wettbewerb mit Microsoft und Co. Die selbsterklärte Mission: «Wir entwickeln Software für dezentrale und föderierte Clouds als Alternative zu zentralisierten Cloud-Diensten.»


Heute beschäftigt das Unternehmen aus Stuttgart rund 140 Mitarbeitende in über 25 Ländern – mit den Zeichen auf Wachstum. Das gilt auch für die Schweiz. Aktuell ist hierzulande nur eine Nextcloud-Kollegin vor Ort, doch das regionale Team soll wachsen. Vertriebsseitig arbeitet Nextcloud weltweit mit mehreren Hundert Resellern zusammen, das Geschäft konzentriert sich jedoch auf wenige grosse Partner. Distributoren spielen zudem keine Rolle im Vertriebskonzept. Zwar habe man darüber nachgedacht, wie Nextcloud-CEO Frank Karlitschek im Interview mit «IT Reseller» erklärt. Allerdings habe sich kein Mehrwert ergeben.


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