Think Digital: Over-electronified and over-managed
Quelle: zVg

Think Digital: Over-electronified and over-managed

Von Joerg Schwenk

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2021/09

     

Ich bin dann mal weg und gewinne etwas Distanz. Ich darf mir Gedanken machen und die Fragen, die mir dabei durch den Kopf gehen, einfach auch mal frech in einer Kolumne ­stellen. Und ich komme zum Schluss, es ist wieder Zeit für mehr Zwischenmenschliches. Einfach mal etwas weniger E-Mail und Elektronik im Allgemeinen. Einfach mal wieder das Telefon in die Hand nehmen und sprechen. Nicht chatten. Einfach mal wieder Geschäfte tätigen und nicht hinterm Bildschirm kleben. Einfach mal wieder gemeinsam Essen gehen, natürlich immer unter Einhaltung der Abstands- und Covid-Regeln. Und natürlich auch Mal wieder ab in die Ferien und etwas die Seele baumeln lassen.


Ich glaube, wir spüren es alle. Die «elektronifizierte» Arbeit und auch das Home Office stellen uns vor ganz neue und nicht immer einfache Herausforderungen. Werden wir womöglich noch seltsamer im Home Office, als wir es ohnehin schon sind? Ohne die früher üblichen persönlichen Treffen und die zwischenmenschliche Interaktion, so vermute ich, fehlt uns das wichtige Korrektiv.

Nebst «seltsam» schiesst mir «heissgelaufen» als weiteres Stichwort durch den Kopf. Jeder noch so kleine Bereich ist effizient, professionalisiert, organisiert, spezialisiert und ist mit erforschter Methodik unterlegt und belegt. Abschlüsse, Umsatz und Ertrag werden nur dann als Erfolg akzeptiert, wenn sie «mehr» sind als im Vorjahr. Persönliche Leistung und Errungenschaften zählen hierbei nur noch wenig. Und überhaupt? Warum ist arbeiten heute so aufwendig geworden? Früher ging das gefühlt einfacher. Geschäft anbahnen, verhandeln und abschliessen. Was läuft da gerade schief? Läuft überhaupt etwas schief? Ist das normal? Wo ist das Geschäft geblieben, das mit Handschlag abgeschlossen wurde wie früher? Warum sprechen heute gefühlt fünf Personen mit, wenn es um einen Geschäftsabschluss geht?


Zurzeit verändert sich vieles rasend schnell in der Kommunikation und im Management. Womöglich schneller, als wir Menschen, aber auch ganze Organisationen damit klarkommen. Ich zumindest dachte, dass Elektronik uns dabei unterstützen soll, unsere Arbeit zu tun. Beispielsweise war E-Mail für mich ein Werkzeug, das mithalf, zusätzliche Informationen zu übermitteln. Aber elektronische Kommunikation ersetzt mittlerweile die persönliche. Das funktioniert auf kurze Distanz oder in einfachen Fällen gut. Wird es aber komplexer oder persönlicher, so fehlen wichtige Elemente eines zwischenmenschlichen Gespräches. Daran ändern aus meiner Sicht auch Video-Chats nur wenig.

Ich glaube, wir laufen Gefahr, den Blick für das Wichtige und das Relevante zu verlieren. Home Office und moderne elektronische Kommunikation erziehen uns zu Einzelkämpfern, die den unmittelbaren Dialog scheuen und lieber auf Zeitverzögerung in eben diesem setzen. Dabei benötigt es gerade in der heutigen Geschäftswelt keine Einzelkämpfer, sondern tragfähige Teams. Wir verlieren den Blick für das Geschäft und erliegen den elektronischen Heilsbringern, den Sachzwängen und der allmächtigen Bürokratie.

Die technischen und elektronischen Möglichkeiten sind endlos und überfordernd vielfältig. Einerseits ist das cool. Andererseits wird es Zeit benötigen, bis wir alles Neue richtig einzusetzen wissen. Und es wird unweigerlich auch Momente geben, wo alles aus dem Ruder läuft und exzessiv genutzt wird, bevor wir uns wieder auf das rückbesinnen, was wirklich funktionierte. Es ist die Richtung, in die sich unsere Geschäftswelt bewegt und wohl auch bewegen möchte. Es liegt in den Händen der Chefs und Manager, ob dies der richtige Weg ist oder nicht.


Einiges davon fällt nicht nur mir auf, sondern auch Oliver Weyergraf und Joerg Bartussek. In ihrem Buch «Mad Business» thematisieren sie Zahlenlawinen, Kontrollwahn und die Politik in den Führungsetagen unter dem Motto: Manager sind kluge Menschen, die gemeinsam hanebüchenen Unsinn tun.


Kommentare
Diese Gedanken kann ich nur teilen. Herzlichen Dank für diesen anregenden Beitrag.
Dienstag, 14. September 2021, Marc Hersberger



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