Grosskonzern kauft Schweizer IT-KMU
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Grosskonzern kauft Schweizer IT-KMU

Der japanische Tech-Riese Sharp kauft das Schweizer IT-KMU ITpoint. Dies sei die beste Lösung, um Identität und Swissness zu wahren, so der ITpoint-Gründer.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2021/05

     

Es kommt nicht aller Tage vor, dass ein internationaler Konzern aus Japan ein Schweizer IT-KMU kauft. Geschehen ist das aber im März 2021, als Sharp den IT-Dienstleister ITpoint Systems aus Rotkreuz übernahm. ITpoint-Gründer Roland Singer sprach dabei von der «idealen Nachfolgelösung», Sharp vom Aufbau einer europaweiten Serviceorganisation. «Swiss IT Reseller» hat sich mit Roland Singer sowie mit ITpoint-CEO Cuno Vuillemin und mit Alexander Hermann, President und CEO von Sharp Schweiz über die Hintergründe der Akquisition und die neue Strategie unterhalten.


«Swiss IT Reseller»: Herr Singer, Sie haben ITpoint nun über mehr als 20 Jahre lange aufgebaut – tut es nicht etwas weh, sein Baby in fremde Hände zu legen?
Roland Singer:
Selbstverständlich ist das so. Aber es geht um meine Nachfolgeregelung, mit der ich mich rechtzeitig auseinandersetzen wollte und nicht erst dann, wenn ich muss. Meinen Mitarbeitern gegenüber habe ich das immer so kommuniziert: Dieses Kind wächst, kommt in den Kindergarten und irgendwann in die Pubertät – da muss man loslassen können. Aber wenn die Lösung so gut ist wie die mit Sharp, kann man mit einem lachenden Auge loslassen, das schwächt den Schmerz sicher ab.
Was sind denn die strategischen Überlegungen hinter Ihrer Nachfolgeregelung?
Roland Singer: Einerseits haben wir eine klare Managed-Services-Strategie, die wir auch in diesem neuen Konglomerat weiterführen können. Mit dieser sind wir seit rund acht Jahren unterwegs und haben sie mehrheitlich organisch und zusätzlich durch einzelne kleine Zukäufe selbst entwickelt. Die Power von Sharp und die Möglichkeit, über die Landesgrenzen hinaus mit anderen Unternehmen gemeinsam Produkte zu entwickeln, erachten wir in dieser Entwicklung als sehr wichtig. Das heisst aber nicht, dass ITpoint damit international wird. Wir konzentrieren uns nach wie vor hauptsächlich auf den Schweizer Markt, wollen aber mit anderen Tochterfirmen von Sharp kooperieren, um den Kunden mehr und komplettere Lösungen bieten zu können. Sicher ist, dass wir weiterhin am Standort Schweiz für die Daten unserer Kunden festhalten.

Herr Hermann, welche Überle­gungen stehen bezüglich der euro­päischen Strategie für Sharp im Zentrum?
Alexander Hermann:
Bei der Übernahme von ITpoint als Teil unserer gesamteuropäischen Strategie geht es nicht darum, etwas Spezifisches für die Schweiz zu machen, dieser Schritt hat Gültigkeit für alle Länder, in denen wir mit Landesgesellschaften vertreten sind. Es wird für uns immer wichtiger, dass wir als Hersteller nicht nur verschiedene Produkte verkaufen, sondern auch dafür sorgen, dass diese zusammen funktionieren. Die Unternehmen, die sich IT-Services auf die Fahne schreiben, sorgen gleichzeitig dafür, dass diese verschiedenen Komponenten beim Kunden funktionieren. Unsere strategische Überlegung ist, dass wir für alle Produktbereiche einen Dienstleistungsbereich brauchen, der sicherstellt, dass die Geräte und Services – seien das unsere oder andere – beim Kunden zusammen funktionieren. Die europäische Service-Organisation ist also kein Anhängsel einer bestehenden Portfoliokategorie, sondern ein eigenstehender Dienst­leistungsbereich.


Und warum übernimmt Sharp dafür einen Schweizer IT-Dienstleister?
Alexander Hermann:
Für die beschriebene Entwicklung brauchen wir Know-how, welches wir teilweise selbst aufbauen. Aber wenn sich die Gelegenheit ergibt, dass ein Partner mit uns gemeinsam diesen Weg gehen will – Sie wissen ja, Konzerne sind nicht unbedingt geduldig –, dann machen wir das via Akquisition. Quasi als ­Katalysator, dann kommt das schneller in die Gänge.
Gibt es im Ausland schon vergleichbare Schritte?
Alexander Hermann:
Wir haben 2019 Complete IT (CIT) aus Grossbritannien gekauft und in Skandinavien gibt es organisch gewachsene IT-Dienstleistungen von Sharp. Im Rahmen dieser Strategie wurde vor rund zwei Jahren auch ein eigenes Service-Center in Warschau aufgebaut. Ausgehend davon, dass das Wichtigste an der Dienstleistung die Schnittstelle zum Kunden ist, wollen wir bei Sharp diese Kompetenz nicht aus der Hand geben, das müssen eigene Leute sein.

Herr Vuillemin ist erst seit 2019 CEO von ITpoint. War diese Amtszeit von Anfang an von der Suche nach einer Nachfolge geprägt?
Roland Singer:
Ich habe mich vor etwa sieben Jahren selbst in eine strategische Rolle als VR-Präsident begeben und mit Hermann Züger einen CEO eingesetzt. Als dessen Nachfolger hat Cuno Vuillemin aus meiner Sicht die strategische Aufgabe, die Transformation hin zu mehr Agilität, besserer Organisation und noch mehr Kundennähe voranzutreiben. Wir haben das als Zweiergespann gemacht – Herr Vuillemin mehr auf der operativen Seite, ich mehr im Bereich Kunden, Partner und Strategie.

Cuno Vuillemin: Zu Ihrer Frage: Ja, ich habe das bereits gewusst, als ich die CEO-Rolle übernehmen durfte. Und mir war auch bewusst, dass gewisse Entscheidungen, beispielsweise bei der Frage nach bestimmten Investitionen, mit dem Ausblick auf eine Nachfolgeregelung nicht einfach werden würden. Aber man lernt, mit diesen Unsicherheiten umzugehen. Die heutige Situation ist der Schlusspunkt dieses Wegs, in dem sich gezeigt hat, dass es in die richtige Richtung geht.


Wie haben Sie das innerhalb von ITpoint kommuniziert und wie hat das die Belegschaft aufgenommen?
Roland Singer:
Wir als kleiner Kreis der Eingeweihten haben uns gut auf die Kommunikation vorbereitet und letztlich klar kommuniziert, warum wir diesen Schritt machen. Einige Mitarbeiter waren überrascht, aber letztlich haben alle verstanden, dass sich ihre Jobs kaum verändern werden, sondern dass neue Chancen entstehen, etwas zu bewegen. Und in offenen Gesprächs­runden mit den Mitarbeitern und Sharp konnten wir die weiteren Fragen beantworten. Es hat Gespräche gebraucht, aber unter dem Strich kam das gut an. Eben auch, weil wir mit unserer bisherigen Strategie weiterfahren können.
Dann müssen sich die Angestellten nicht auf einschneidende Änderungen einstellen?
Roland Singer:
Wir konnten aufzeigen, dass eben nicht alles anders wird. Aber es gibt immer Wandel, den gab es immer und den wird es weiterhin geben. Natürlich immer im Sinne des Kunden und der Services.

Herr Hermann, hat man vonseiten Sharp die Schweiz oder gar ITpoint bewusst angesteuert oder sehen Sie diese Übernahme eher als Glücksgriff?
Alexander Hermann:
Nein, ein glücklicher Zufall ist das natürlich nicht. Aber gerade im Aufbau eines neuen Geschäftsbereiches weichen Plan und Realität manchmal ab, jeder hat ja seinen eigenen Zeitplan. Daher war schon auch ein bisschen Glück dabei, dass die Pläne von Roland Singer und uns so gut zusammengekommen sind.


Aber dass man dann genau in der Schweiz als verhältnismässig kleinem Markt eine Firma kauft, macht hellhörig – musste es für Sharp ein Schweizer Unternehmen sein?
Alexander Hermann:
Solang es in der Schweiz eine Landesgesellschaft gibt, die Vertriebs- und Dienstleistungsziele hat, solange ist das Land für uns im Bereich EDV-Dienstleistungen relevant. Alle Länder mit einer Landesgesellschaft sind da strategisch gleichberechtigt. Daher nein – es musste nicht zwingend in der Schweiz sein.

Folglich ist damit zu rechnen, dass es mehr Zukäufe in anderen Ländern mit Sharp-Landesgesellschaften ­geben wird?
Alexander Hermann:
Das ist durchaus möglich.
Wie geht es jetzt weiter, was sind die nächsten Schritte für Sharp und ITpoint im Rahmen der Übernahme?
Roland Singer:
Der rechtliche Akt ist ja bereits abgeschlossen, Sharp ist zu 100 Prozent Eigner der ITpoint-Gesellschaften. Für uns war es bisher wichtig, die Mitarbeiter und Kunden zu informieren und aufzuklären. Die nächsten Schritte bestehen etwa darin, uns mit CIT zusammenzusetzen und herauszufinden, ob wir oder sie Teile des grossen Service-Puzzles haben, die der andere nutzen könnte. Auch geht es darum, unsere bisherige Strategie mit Sharp gemeinsam weiterzuführen und neue Kunden zu gewinnen. Hier kommen verschiedene Kulturen zusammen, die es zu bewahren gilt, gleichzeitig wollen wir herausfinden, wie wir und die anderen Sharp-Gesellschaften gegenseitig profitieren können. Wir arbeiten derzeit an einer Roadmap für die kommenden Jahre.

Und wie man aus der vorigen Antwort von Herrn Hermann heraus­lesen kann, wird es möglicherweise auch weitere Gesellschaften geben, mit ­denen sich Synergien finden ­lassen.
Roland Singer:
Falls dem so ist, wird es umso spannender sein, sowohl in der Tiefe wie auch in der Breite mehr IT-Services entwickeln und anbieten zu können. Für mich ist die Priorität aber derzeit die Gestaltung eines europäischen Schirms gemeinsam mit CIT und Sharp, in die wir unsere Energie stecken können.

Cuno Vuillemin: Wichtig ist für mich hierbei vor allem – und das war auch die Nachricht an die Kunden und Mitarbeiter –, dass ITpoint zwar zu einem Konzern gehört, mit dieser Lösung aber ITpoint bleiben kann. Wir ergänzen uns mit unseren Schwestergesellschaften in vielen Bereichen. Damit bleibt ITpoint erhalten, mit all seinen Menschen und Ansprechpartnern, was auch für die Mitarbeiter entscheidend ist.


Alexander Hermann: Dienstleistungen werden mehrheitlich von Menschen für Menschen erbracht, unabhängig des Firmenlogos auf der Rechnung. Hier darf es durchaus organisatorische Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern geben. Gleichmacherei ist in meinen Augen weder kommerziell sinnvoll noch ethisch hilfreich. Sharp ist ein dynamisches Unternehmen und da darf es diese Unterschiede geben. Das ist der Grund, warum es mit CIT gut funktioniert, und ich bin überzeugt, dass das auch mit ITpoint klappt.

Und damit sollen weder die Swissness, noch die Individualität von ITpoint verloren gehen – nicht für die Mitarbeiter und nicht für die Kunden.
Roland Singer:
Korrekt. Die ersten Gespräche zu einer möglichen Übernahme habe ich vor drei Jahren begonnen. Wir hatten das Glück, parallel mit mehreren Firmen sprechen zu können und hatten letztlich eine Wahl. Da gab es Investoren, die wohl mehrere Firmen gekauft und alle zu einer neuen verschweisst hätten, was unsere Kultur zerstört hätte. Auch gab es Mitbewerber, die sich mit dem Kauf stärken wollten – das wäre aber zu viel Schnittmenge gewesen und wir wären aufgesogen worden. In einem solchen Szenario hätte ich mein nun pubertierendes Kind ITpoint wirklich ungerne aus der Hand gegeben, um auf ihre erste Frage zurückzukommen.
Und diese Gefahren sehen Sie bei Sharp nicht?
Roland Singer:
Da die Schnittmenge so klein ist und wir unsere Strategie weiterführen dürfen, fällt mir das Loslassen einfacher und wir haben eine nachhaltige Lösung für die Mitarbeiter und Kunden. Das war mir enorm wichtig.

Die Swissness wahren und sich genau deswegen nicht von einem Schweizer KMU kaufen lassen – das ist speziell.
Roland Singer:
Ja, eine spannende Frage, die mir auch viele Mitarbeiter gestellt haben: Hätte es denn keine Schweizer Lösung gegeben? Doch, aber dann hätte die Firma ITpoint und der Markt mehr gelitten. Und damit nein, wir haben keine bessere Schweizer Lösung gefunden.


Wir haben nun lange über die Ängste geredet und was verloren gehen könnte. Was sind denn die neuen Chancen, die sich eröffnen?
Alexander Hermann:
Zum einen können wir als Sharp Schweiz unseren Kunden nun die Dienstleistungen von ITpoint anbieten. Zum anderen gibt es in unserem Produktportfolio auch Produkte, die für ITpoint-Kunden interessant sind. Und für die Mitarbeiter ergeben sich Entwicklungsmöglichkeiten, die sie nutzen können, aber nicht müssen: Wenn jemand beispielsweise in Finnland arbeiten möchte, kann man intern gegebenenfalls einen Platz bei Sharp in Finnland finden.

Cuno Vuillemin: Chancen gibt es zuhauf, bei so gut wie keinen Risiken. Konkret wäre das beispielsweise der 24/7-Helpdesk, den wir bei uns in dieser Form bisher nicht anbieten konnten. Daher können wir jetzt von dieser bestehenden Infrastruktur profitieren.

Das Problem für mich als Kunden entsteht ja erst, wenn ich gewohnt bin, mit Peter von ITpoint zu sprechen und in Warschau lande.
Cuno Vuillemin:
Das wird ganz klar nicht der Fall sein, dies ist auch für die Kunden ein entscheidender Faktor.

Roland Singer: (lacht) Und wer weiss, vielleicht schicken wir Peter ja nach Warschau, falls er diese Chance nutzen möchte.


Was ist in den nächsten Jahren von Sharp und der europäischen Expansion zu erwarten?
Alexander Hermann:
Sharp ist nicht auf Einkaufstour, aber wir wollen die vielzitierte Connectivity zwischen unseren Produktgruppen sicherstellen und die Kunden auch im Betrieb unterstützen können. Dafür braucht es lokale Lösungen. Gleichzeitig wollen wir auch unsere internationalen Grosskunden mit standardisierten Lösungen bedienen, wenn das gewünscht wird. Und natürlich erhoffen wir uns letztlich noch bessere Zahlen aus der Schweizer Landesgesellschaft.

Herr Singer – ein Schlusswort?
Roland Singer:
Der Verkauf war eine Entscheidung, die ich ganz alleine fällen musste. Glücklicherweise habe ich von der Geschäftsleitung viel Support bekommen und konnte sehr offen mit Sharp kommunizieren, was die Entscheidung für mich einfacher gemacht hat. Als ich die Unterschrift dann unter den Vertrag setzte, merkte ich, dass ich enorm motiviert bin. Es ist eine Freude, dass wir eine so gute Lösung gefunden haben und dass die Mitarbeiter dahinterstehen. Jetzt geht es mit vollem Elan weiter, das macht Spass! (win)


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