MEHR ERFOLG IM MARKETING UND VERKAUF (FOLGE 7/12): Der Marketing-Mix: Das Ende der vier Ps?

Product, Price, Place, Promotion: Die vier Ps des Marketing-Mix haben ausgedient oder sind bestenfalls noch für das Konsumgütermarketing geeignet, hört man dann und wann. Ist dem wirklich so? Eine fachkritische Betrachtung mit dem Angebot zur Selbstreflexion.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2004/20

     

Saisongerecht, nämlich rechtzeitig auf die in hoffentlich vielen IT-KMU in den nächsten Wochen anstehenden Strategietagungen, Planungsworkshops und Kreativmeetings zwecks «Erfolgsplanung 2005», greifen wir das Thema des richtigen Marketing-Mix für Sie auf. Aber: Was ist eigentlich der «richtige» Marketing-Mix? Die sogenannt alte Schule verspricht mehr Umsatz und Erfolg, wenn für die vier Ps konkrete, griffige und realistische (und damit umsetzbare) Strategien und Konzepte erarbeitet werden: Produkt (oder Dienstleistung), Preisgestaltung (Price), Vertriebswege (Place) und Kommunikation (Promotion).
Um dies zu erreichen, braucht es aber definitiv mehr als das Boulevardpresse-mässige Überfliegen der Begriffe und ein rasches Abhacken nach dem Schema «Produkt? O.k., haben wir. Preis? Auch...». Merke: Nicht alles, was in den Schulbüchern steht, ist graue Theorie und damit unbrauchbar. Einiges davon kann durchaus sehr gewinnbringend angewendet werden – die erfolgreichsten IT-Unternehmen tun es.

Auch das Marketing will sich neu erfinden

Bevor wir zu praxisrelevanten Fragen für Ihren Marketing-Mix kommen, zuerst noch eine kleine Warnung: Natürlich entwickeln sich Märkte und Menschen über die Jahre und Jahrzehnte. Diese Evolution verlangt in den Details nach neuen Ansätzen und Möglichkeiten – aber eben: Evolution und nicht Revolution! Da liest man plötzlich davon, dass die vier Ps tot seien, dafür jetzt aber vier Cs viel wichtiger seien: Communication, Customization, Collaboration und Clairvoyance (Hellsehen). Wie bitte?! Oder noch besser: Wirklich erfolgsversprechend seien nur die vier Rs: Relevance, Reputation, Renew und Rationalize. Sämtliche dieser Begriffe sind zwar richtig und wichtig, lassen sich aber bestens im klassischen Marketing-Mix der vier Ps unterbringen.
Weshalb erzählen selbsternannte Marketing-Gurus überhaupt so etwas? Ganz einfach: Auch das Marketing muss sich hin und wieder neu erfinden – wie sonst liessen sich Fachreferate, Kurse, Schulen, Bücher und anderes verkaufen (siehe oben genannter Begriff «Renew»)? Nach dem Motto: Es hat nicht so hingehauen mit den vier Ps, kein Problem, hier gibt’s was Neues!
Der Autor möchte ausnahmsweise einen anderen Weg gehen und Ihnen ein paar Kernfragen zur Überprüfung der vier Ps in Ihrem Unternehmen stellen. «Back To The Roots» also: Alt bekanntes Know-how erst mal richtig anwenden lernen.

P1: Produkt/Dienstleistung (Product)

Der Kern der Sache (Ihres Unternehmens) sind Ihre Produkte und/oder Ihre Dienstleistungen. Es geht also um die Frage, was Sie als IT-KMU wirklich verkaufen: Wozu wird Ihr Produkt oder Ihre Dienstleistung (nachfolgend der Einfachheit halber nur noch P/D genannt) tatsächlich verwendet? Weshalb wird P/D tatsächlich gekauft? Welche Innovationen (auch kleine!) bietet P/D? Wie erklärungsbedürftig ist P/D, insbesondere vor dem Kauf? Wie lange wird P/D genutzt bis ein Ersatzkauf folgt (Lebensdauer)? Hat P/D Alleinstellungsmerkmale, die vom Mitbewerb nicht so rasch kopiert werden können (USP)?
Bei mehreren P/D bzw. Angebotsgruppen: Wie rentabel ist jedes P/D einzeln betrachtet? Wie schon in früheren Artikeln dieser Serie erwähnt: Produkte und Dienstleistungen will heute eigentlich niemand mehr kaufen. Hingegen wird Geld zur Lösung von Problemen ausgegeben. Beispiel: Keine Firma würde eine Firewall (Produkt) kaufen, wenn es keine Hacker gäbe, vor denen man sich schützen muss (Nutzen). Die Frage nach dem tatsächlichen Nutzen eines IT-Produkts oder einer Dienstleistung ist zentral bei der Gestaltung des Angebotsportfolios. Daraus folgt der Umkehrschluss: Wenn für bisher Angebotenes kein genügender Nutzen (mehr) erzeugt werden kann, sollte ernsthaft geprüft werden, ob mit den vorhandenen Assets (Kapital, Personal, Know-how usw.) nicht gewinnbringenderes unternommen werden kann.

Wichtigste Kernfragen für den Marketing-Mix |

Kunden/Beeinflusser: Wer bildet den Markt?
Kaufobjekte: Was wird gekauft?
Kaufziele: Weshalb wird gekauft?
Kaufprozesse: Wie wird gekauft?
Kaufanlässe: Wann wird gekauft?
Kaufstätten: Wo wird gekauft?

P2: Preisgestaltung (Price)

Klar ist: Der Markt (die Käuferschaft) bestimmt letztlich den realisierbaren Preis für Produkte und Dienstleistungen. In das «Price-P» gehören aber auch die Rabatt-, Lieferkonditionen- und Zahlungskonditionenpolitik: Kann ein Teil des geplanten Wachstums durch Preiserhöhungen realisiert werden? Wie präsentiert sich das Kosten/Nutzen-Verhältnis der Mitbewerber tatsächlich? Soll mit Einführungsrabatten (für neue P/D) gearbeitet werden? Wie würden sich Treuerabatte auf den Umsatz auswirken (Kundenbindung)? Wären Kunden bereit, bei attraktiven Skonti grössere Vorauszahlungen zu leisten (sehr nützlich für die eigene Liquidität!)? Welches ist die tatsächliche Preisuntergrenze (Schmerzgrenze)? Gerade Letzteres haben vor allem IT-Dienstleistungsunternehmen in letzer Zeit oftmals nur ungenügend im Griff. Zu spät wird erkannt, dass man ohne genügend

P3: Vertriebswege (Place)

Für Hersteller von Hardware- und Softwarelösungen muss die Frage, ob nebst dem Direktverkauf mit zusätzlichen Vertriebswegen, wie etwa einem Handelskanal, der gewünschte Mehrumsatz und das Wachstum erreicht werden könnte. Bei diesem «P» geht es primär darum, dass Kunden möglichst direkt und möglichst einfach (d.h. komfortabel) kaufen können. Gerade IT-KMU wagen sich an dieses Thema leider viel zu zaghaft heran – zu Unrecht.
Ein gezielt aufgebautes und gut gepflegtes Vertriebsnetz über Handelspartner ist zwar nicht einfach zu realisieren, kann den Erfolg jedoch sehr positiv beeinflussen. Vielleicht sind andere Unternehmen viel näher am gewünschten Kunden als Sie selbst? Um Partner zu finden, ist es wichtig, diesen zuerst den «Business Case» schmackhaft zu machen. Ein Vertriebspartner fragt sich in erster Linie, wie viel (mehr) ihm die Sache bringt, erst in zweiter Linie kommen die Argumente für die Endkunden, die natürlich ebenfalls überzeugen müssen.
Damit wird das Thema «Channel Marketing» angesprochen, fast eine eigene Disziplin im Marketing-Mix: Mit der sog. «Business Readiness» ist sicherzustellen, dass die Partner in die Lage versetzt werden, das Produkt bzw. die Dienstleistung zu verkaufen (Verkaufsmaterial, Schulung, Vertriebsunterstützung usw.). Hinzu kommt die sog. «Technical Readiness» – der sichere Umgang mit den Produkten z.B. für Installation, Wartung, First-Level-Support usw. Weitere Anregungen zu diesem Thema: Franchising, Agenten, On-line-Shop, neue Marktsegmente, Export.

P4: Kommunikation (Promotion)

Sieht man sich die Landschaft der Schweizer IT-KMU so an, ist das Bild recht ernüchternd: Mailings, Flyers und im besten Fall noch (meist langweilige) Events – damit erschöpft sich offenbar die Kreativität in der Kommunikation. Einige kurze Vorschläge: Sie haben etwas zu sagen? Dann schreiben Sie Fachartikel in einem Medium, das Ihre Zielgruppe liest. Wie wär’s mit einem kleineren, dafür kreativen und damit wirkungsvolleren Paket-Mailing anstatt dem 0815-Werbebrief? Sprechen Sie an Ihrem Event nicht über sich und Ihr P/D, sondern über den Nutzen für die Kunden (also die Problemlösung). Verstärken Sie die Kalt-Akquisition mit professionellen Telesales-Aktivitäten. Kommerzialisieren Sie Ihren Internetauftritt. Gibt es eine Möglichkeit für ein Sponsoring? Denken Sie über «Affiliate-Marketing» nach. Treten Sie gegenüber Ihrer Zielgruppe dann in Erscheinung, wenn es nicht erwartet wird (Überraschungseffekt). Erarbeiten Sie ein wirkungsvolles PR-Konzept (oder lassen Sie ein solches durch Profis erarbeiten). Noch mehr Ideen gefällig? Dann treten Sie mit dem Autor in Kontakt.

P-Erweiterungen: People und Politics

Tatsächlich ist auch der Autor der Meinung, dass die vier klassischen Ps des Marketing-Mix durch zwei weitere ergänzt werden sollten. Mitarbeitende (People) sind der wohl wichtigste Produktionsfaktor und müssen mit geeigneten «Marketing-Massnahmen gepflegt werden. Andernfalls werden die Besten dorthin gehen, wo Ihnen gebührende Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die Öffentlichkeit (Politics) wird ebenfalls immer wichtiger – auch für KMU, nicht nur für börsenkotierte Unternehmen. Wie gehen Unternehmen mit der Umwelt um? Was sind konkrete Beiträge zu sozialpolitischen Gesellschaftsfragen? Zwei Beispiele für Fragen, die im sechsten P beantwortet werden sollten und – geschickt kommuniziert – den Unternehmenserfolg in vielerlei Hinsicht positiv beeinflussen können.

Zusammenfassung

Vergleicht man die oben beschriebenen Fragestellungen mit den Businessplänen vieler IT-KMU, kommt man zum Schluss, dass es zur Steigerung von Umsatz und Erfolg meistens weder ausgefallene und unrealisierbare Methoden braucht und schon gar nicht eine Neudefinition darüber, was ein guter Marketing-Mix ist. Viel hilfreicher wäre es, mindestens die vier klassischen Ps professionell zu gestalten und konsequent umzusetzen.

Mitmachen erwünscht!

Während dieser Serie haben Sie die Möglichkeit, per E-Mail Fragen zu stellen oder Wunschthemen für einen künftigen Artikel anzubringen. Der Autor wird versuchen, die Wünsche zu berücksichtigen. Auch Kritik oder Lob sind sehr willkommen. Die am meisten gestellten Fragen und Antworten werden im letzten Artikel der Serie zusammengefasst. Senden Sie Ihr Feedback bitte an: erfolg@itreseller.ch. IT Reseller und Autor freuen sich auf eine interaktive Fachserie.

Der Autor

Dietmar R. Schulz ist Geschäftsleiter der Business Factory GmbH. Der diplomierte Betriebsökonom arbeitet seit 20 Jahren erfolgreich in der
IT-Branche.
www.businessfactory.ch


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