Interview mit SAP Schweiz Chef René Thommen: «Gewisse Partner werden sich neu orientieren müssen»

René Thommen (Bild), Chef von SAP Schweiz, redet im grossen IT Reseller-Interview Klartext: Partner, die nicht gross genug, klein genug oder spezialisiert genug sind, werden in der jetzigen Konsolidierungsphase unter die Räder kommen. Diese dürfte so lange weitergehen, bis am Markt keine Überkapazitäten im SAP-Umfeld mehr vorhanden sind.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2003/22

     

IT Reseller: Herr Thommen, Interviews mit Ihnen haben Seltenheitswert. Haben Sie ein verkrampftes Verhältnis zur Presse oder hat der Chef über die 500 Mann starke SAP Schweiz Gespräche mit Journalisten nicht nötig?
René Thommen: Nein, durchaus nicht, wir haben eine enge Beziehung zur Presse, was uns auch sehr wichtig ist.
2002 hatte der weltweite Lizenz-Umsatz von SAP noch 2,5 Milliarden Euro betragen, 2003 waren es dann nur noch 2,2 Milliarden Euro. Ist im Lizenzgeschäft kein Wachstum mehr drin?
Das Lizenzgeschäft ist für uns enorm wichtig. Im direkten Vergleich mit unseren Konkurrenten konnten wir die Marktanteile steigern, nämlich von 37 Prozent im Jahr 2000 auf 57 Prozent im letzten Quartal des Jahres 2003. Hingegen ist der Gesamtmarkt für Lizenzen klar unter Druck gewesen. Dies hat sich natürlich auf den Gesamtumsatz von SAP niedergeschlagen. Dieser Entwicklung konnten wir uns nicht entziehen.

Nochmals: Ist im Lizenzgeschäft kein Wachstum mehr drin?

Wir gehen derzeit davon aus, dass wir das Wachstum bereits im nächsten Jahr wieder werden steigern können. Im dritten Quartal dieses Jahres haben wir in den USA um 50 Prozent zugelegt. Verschiedene Anzeichen ermutigen uns darin, für das Jahr 2004 wieder weltweit ein Lizenzwachstum einzuplanen.
Der Umsatz von SAP Schweiz kletterte zwischen 2001 und 2002 von 421 auf 471 Millionen Franken. Während mit Lizenzen 11 Prozent mehr erwirtschaftet wurde, stiegen die Consulting-Einnahmen um ganze 16 Prozent – von 120 auf 140 Millionen Franken.
Es ist richtig, dass wir im Consulting-Bereich ein starkes Wachstum verzeichnen konnten. Dieses rührt aber mehrheitlich von einigen wenigen Grosskunden wie etwa der Firma Nestlé her. Der Zuwachs dürfte sich jetzt wieder verlangsamen, weil viele dieser Implementationsarbeiten ins Ausland wandern und wir hier nur die lokal getätigten Umsätze verbuchen. Die Consulting-Umsätze in der Schweiz werden gegenüber dem Höchststand, den wir zeitweise erreicht hatten, wieder sinken.

Also kein Beratungswachstum um die 16 Prozent mehr in der Schweiz?

Im Jahr 2002 hatten wir einen Höchststand in diesem Bereich. Bereits im Jahr 2003 wird der Consulting-Umsatz geringer ausfallen. Für das Jahr 2004 haben wir von der Strategie her in der Beratung kein Wachstum mehr vorgesehen, sondern eine Verbesserung der Qualität, damit wir in diesem Umfeld mit den Allerbesten mithalten können.
Die Beratermannschaft von SAP Schweiz ist in den vergangenen drei Jahren beinahe verdoppelt worden – von 120 auf 220 Consultants nämlich.
Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen sind es die Erwartungen, die die Kunden an SAP haben. Erwartet wird neben der Lieferung der Software immer öfter auch Mitverantwortung am Gelingen einer Einführung – und in diese Verantwortung lassen wir uns natürlich auch ziehen. Zum anderen wollen wir unsere Rolle als Hersteller wahrnehmen, wenn es darum geht, neue Produkte oder Technologien schnell im Markt einzuführen und Referenzkunden zu schaffen. Der Markt kann dann schneller reifen, wenn wir selber mit gutem Beispiel vorangehen.
Sie teilen die Unternehmen der Schweiz in die Top-60 und die 60-Plus-Gruppe ein, wobei die Top-60 die grössten Schweizer Unternehmen und die 60-Plus die 300 umsatzstärksten Mittelständler sind. Bislang habe es an Partnerveranstaltungen stets mündliche Zusagen von SAP gegeben, den 60-Plus keine Dienstleistungen zu verkaufen. Dies sei Sache der Partner, sagen diese.
Das stimmt so nicht. Wir haben immer betont, dass wir unsere Consulting-Umsätze dort erbringen wollen, wo wir die grösste Hebelwirkung für den Markt erzielen können. Und das ist nicht nur bei den Top-60 der Fall. Eine breite Zusage im Stil von «Top-60 machen wir, aus 60-Plus halten wir uns heraus» hat es nie gegeben – weder mündlich noch schriftlich. In einigen Fällen nehmen wir als SAP aber Abstand von einem Projekt, wenn wir im Vorfeld merken, dass der Kunde eine langjährige Beziehung zu einem Partner hat und auch weiterhin mit diesem arbeiten möchte.
Ihre Präsenz in der so genannten 60-Plus-Gruppe hat aber stark zugenommen. Es komme vor, dass in einzelnen Projekten bis zu zehn Partner und SAP selber offerieren, heisst es im Channel.
Ich glaube, dass man von Einzelfällen aufs Ganze schliesst. Aus unserer Sicht sind es wenige Fälle, in denen wegen mangelnder Absprache im Vorfeld mit den Partnern Konflikte entstehen. Wir pflegen die Diskussion mit den wichtigen Partnern und diskutieren solche Dinge aus. Der Partner soll wissen, wo wir tätig sind und wo nicht.
Unser Interesse richtet sich nach der potentiellen Hebelwirkung für einen ganzen Markt, und dazu gehört es bezeichnenderweise eben nicht, bei den 60-Plus mit einem Commodity-Angebot vertreten zu sein. Im innovativen, gehobenen Mittelstand lassen sich aber interessante Lösungen mit neuen Produkten oder Technologien realisieren. Mit dieser Praxis wollen wir sicherstellen, dass die ersten solchen Projekte in der Schweiz zu einem Erfolg werden.
Dadurch schaffen wir eine gute Basis dafür, dass Partner diesen Erfolg multiplizieren können. Aus dem reinen Commodity-Bereich bei den 60-Plus hingegen wollen wir uns zurückziehen, denn das entspricht nicht unserer Strategie.
Die Top-60 haben doch schon alle Software von SAP. Es ist demnach ja nur logisch, dass Sie sich den 60-Plus zuwenden. Gibt es im SAP-Umfeld jetzt plötzlich Überkapazitäten?
Vor einigen Jahren hatten wir im Markt zu wenig, jetzt zu viel SAP-Kapazität. Im Partner-Umfeld ist deshalb eine Konsolidierung im Gang. Wir begegnen dieser Entwicklung mit einer Fokussierung des gesamten Partner-Netzes, was heisst, dass wir mit weniger Partnern wesentlich enger zusammenarbeiten. Generell gesprochen kann man unsere Partner in drei Kategorien einteilen: Da gibt es grosse Integratoren, die als Generalunternehmer auftreten und daneben die Nischenanbieter mit speziellen Kompetenzen oder in bestimmten vertikalen Märkten.
Und zuletzt noch die traditionellen, mittelgrossen Partner, die Projekte implementieren und in allen Bereichen ein bisschen tätig sind. Wir arbeiten jetzt daran zu bestimmen, welche Partner das SAP-Geschäft am besten vorwärts bringen können – und mit diesen wollen wir noch enger zusammenarbeiten. Es ist richtig, dass es momentan sehr viele Partner gibt und deshalb nicht mehr alle gleich nah bei den Aufträgen sind. Ich gehe also davon aus, dass die Konsolidierung weitergehen wird. Gewisse Partner werden sich neu orientieren müssen.

Beispiele für eine solche «enge Zusammenarbeit» mit dem Partner?

Da könnte ich etwa die von CSC Schweiz im Banking-Umfeld realisierte Swiss-Banking-Platform erwähnen. Oder unsere Zusammenarbeit mit Accenture im Versicherungsbereich.
Mit «Business One» will SAP den Mittelstand aufrollen. Bis ins Jahr 2005 wollen Sie damit 460 Neukunden pro Jahr ansprechen. Rund 20 Sales and Service Providers (SSPs) sollen auf Partnerseite mit den Installationen betraut sein. Wie nah sind Sie diesen Zielen schon gekommen?
Im Moment haben wir 35 Installationen.
Wir hatten zwar mehr geplant, aber gewisse Spezifika haben den Schweizer Roll-out verzögert. Jetzt ist das alles gelöst und die Nachfrage steigt. Unser Ziel von 100 Abschlüssen im nächsten Jahr werden wir erreichen. Auch ein Partnernetz mit wichtigen Vertretern wie OBT, MTF und Red-IT ist aufgebaut worden. Momentan sind es sechs Partner, doch die ursprünglich anvisierte Zahl von 20 SSPs ist gemessen an der Grösse der drei genannten auch nicht mehr nötig.

Im mittleren KMU-Bereich müssen sie also auf die Partner setzen?

Es gibt ganz klar einen Bereich, den wir nur indirekt bedienen. Das sind namentlich die Firmen mit einem Umsatz von weniger als 200 Millionen Franken. Dort greift unser Partnermodell mit den zwei Produkten Mysap All-in-One und Business One.
In jüngster Zeit hört man vermehrt von SAP Systems Integration
(SAP SI), einer sich zu 70 Prozent im Besitz des Walldorfer Mutterhauses befindlichen Integrations-Tochter von SAP. Warum hat man SAP SI eigentlich gegründet? Man hat für Dienstleistungen ja eigentlich die Partner…
Das ist eine Frage, zu der ich sicher eine Meinung habe, aber keine Stellung nehmen will und kann – schliesslich habe ich SAP SI nicht selber gegründet.
SAP SI steigt mit der Übernahme von SLI Consulting auf einen Schlag sehr stark in den Schweizer Markt ein. Was bedeutet das für sie?
SLI war schon immer ein starker und mehrfach ausgezeichneter Partner für uns. Auch mit SAP SI haben wir in der Vergangenheit schon zusammengearbeitet. Durch diesen Kauf ist jetzt ein sehr starker Partner entstanden. Aus Schweizer Sicht behandeln wir ihn aber wie andere Partner auch.
SAP SI ist ein starker Partner mit einem direkten Draht nach Walldorf. Das beunruhigt den Schweizer Channel. Man glaubt, gegenüber diesem «Super-Partner» benachteiligt zu sein.
Es ist natürlich richtig, dass SAP SI einen guten Kontakt zur Entwicklung in Walldorf hat. Doch das haben andere Partner wie etwa Accenture auch. Aus unserer Sicht wollen wir wie erwähnt mit denjenigen Partnern enger zusammenarbeiten, die im Markt etwas bewirken können. Das ist bei SAP SI mit Sicherheit der Fall. Eine Vorzugsbehandlung ist das aber nicht, und schon gar nicht, weil SAP SI sich zu 70 Prozent im Besitz der Corporation befindet.
Welche Partner sind es dann, die «etwas bewirken» können? Oder anders gefragt: Welche kommen jetzt unter die Räder?
Ein aus unserer Sicht guter Partner zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass er beim Kunden einen Bedarf schaffen und neue Lösungen aufzeigen kann. Dadurch bekommt der Kunde Appetit und es entstehen Projekte. Also: Kann der Partner Software-Bedarf schaffen? Kann er Projekte erfolgreich durchführen und eine hohe Kundenzufriedenheit erreichen? Kann er einen Gesamtmarkt entwickeln mit einer vertikalen Lösung, etwa im Gesundheitsbereich?

Hängt das von der Grösse des Partners ab?

Nein, jeder Partner hat sich schliesslich selber ein Segment ausgesucht. Wir haben viele kleine, auf Nischen spezialisierte Partner. Andere kleine Partner wiederum sind im Bereich der Netweaver-Technologie sehr erfolgreich, was uns natürlich viel wert ist.

Was sind ihre Ziele mit der Infrastruktur-Technologie Netweaver in der Schweiz?

Ende 2005 sollen die Lösungen unserer installierten Basis mehrheitlich auf Netweaver basieren. Auch in den Firmen, wo wir nicht alleine vertreten sind und wo mit Websphere oder Dotnet gearbeitet wird, wollen wir mindestens einzelne Projekte auf Netweaver-Technologie realisieren. Dafür rechnen wir uns auch ganz gute Chancen aus.
Welche Schritte kann ein Partner unternehmen, wenn er merkt, dass es eng für ihn wird am Markt?
Der Partner muss zuerst ein klares Profil bekommen, das ihn abhebt und ihm so genannte USPs gibt (Unique Selling Propositions). Am meisten gefährdet sind diejenigen, die sich nicht spezialisieren und ein unklares Profil haben – oder anders gesagt Partner, die weder gross genug noch klein genug sind. Es ist aber enorm schwierig zu sagen, wer diese Konsolidierungsphase überleben wird und wer nicht. Zuletzt entscheidet der Kunde. Und natürlich der Partner selber – durch die Strategie, die er wählt oder eben nicht.
Herr Thommen, IT Reseller dankt für dieses Gespräch. Haben sie eine letzte Botschaft an den Schweizer Channel?
Die Strategie von SAP baut ganz klar auf Partner. Und SAP ist für einen Partner wohl immer noch die attraktivste Plattform, auf die er bauen kann. Diese Philosophie ist klar in unserer strategischen Stossrichtung verankert. Wir sind auf die Partner angewiesen, denn diese machen den grössten Teil der Implementationen. Unser eigenes Consulting wollen wir deshalb stärker fokussieren und zwar wie erwähnt in Richtungen, wo wir mit einer Hebelwirkung den Gesamtmarkt voranbringen können.
In einigen Fällen tun wir dies gemeinsam mit sehr guten Partnern. Die Qualität der Zusammenarbeit ist aus unserer Sicht ganz klar besser geworden, als sie es in der Vergangenheit war. Gleichzeitig ist die Konsolidierung im Partnernetz unumgänglich. Wir können nicht für das Glück jedes einzelnen Partners verantwortlich sein. Da ist jeder Partner selber gefordert. Und der Kunde wird entscheiden, wer sich letztlich durchsetzt.
(Interview: bor)


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