Das Actebis-Rätsel

Joe Hemani, Besitzer des britischen Distributoren Westcoast, will Actebis kaufen.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2003/17

     

Das Schicksal von Actebis ist in der Schwebe. Warum kauft der vergleichsweise winzige britische Distributor Westcoast den paneuropäischen Riesen? Mit wessen Geld? Was passiert mit der europäischen Disti-Allianz EWG (European Wholesale Group), zu der neben Westcoast eben auch die Schweizer Also ABC gehört? Doch beginnen wir die Geschichte von vorne:
Am 19. September flatterte ein seltsames Communiqué in die Redaktion. Michael Urban, CEO des in 14 europäischen Ländern vertretenen Distributors Actebis, trete von seinem Posten zurück. Sein Nachfolger werde Joe Hemani vom britischen Disti Westcoast. Zwischen Actebis (Umsatz 03: ca. 3,3 Mrd. Euro) und Westcoast (Umsatz 03: ca. 450 Mio. Euro) käme es zu einer «strategischen Allianz mit einer Option der Beteiligung», hiess es.
Die Konzernsprecherin von Actebis brach fast in Tränen aus, als wir sie fragten, ob denn nun Westcoast Actebis kaufe oder umgekehrt. Nein, sie wisse nichts, Michael Urban sei nicht erreichbar, und die Belegschaft in der Konzernzentrale sei genauso ratlos wie sie.
In der Schweiz reagierten die fusionsgestählten Actebis-Leute mit mehr Gelassenheit: «Wir fokussieren uns nun darauf, unsere Kunden gut zu bedienen.» Immerhin wäre der Verkauf von Actebis bereits die fünfte (!) Übernahme, durch die die langgedienten Actebis-Manager gehen.

Das grosse Rätselraten

Am 23. September erklärte Hemani gegenüber einer deutschen Channel-Zeitschrift, er wolle Actebis kaufen. Wie er das bewerkstelligen wolle, sagte er allerdings nicht. Actebis-Insider reagierten mit Kopfschütteln: «Der kann das gar nicht.»
Tatsächlich müsste Hemani nicht nur einen (unbekannten) Verkaufspreis aufbringen, sondern vor allem auch die Finanzierung des laufenden Geschäfts nach der Übernahme sicherstellen. Distributionsprofis rechnen mit einem Cash-Bedarf von etwa 300 Millionen Euro für Actebis – welche Bank gibt heute schon einem Disti Betriebskredite?
Also-Chef Thomas Weissmann nannte unsere Überlegung, dass Actebis für Hemani möglicherweise eine Schuhnummer zu gross sei, allerdings einen «Hafenkäse». Weissmann: «Es geht nicht um Grösse, sondern darum, ob man weiss, wie man in der Distribution Geld verdient oder nicht.»

EWG «begrüsst» Akquisition

Am 26.9. folgte ein weiteres Communiqué, diesmal von der Disti-Allianz EWG (Also, Esprinet, Copaco, Westcoast). Man «begrüsse» die Akquisition und habe «den Wunsch, dass Actebis der EWG beitritt». Der Beitritt hänge noch von der Zustimmung aus Brüssel und der Definition «eines neuen Geschäftsmodells» der Allianz ab.
Eine Integration von Actebis in die EWG würde allerdings eine ganze Reihe von Problemen schaffen. Immerhin hätte die «neue EWG» in nicht weniger als sechs Ländern Überschneidungen. Im wichtigsten Markt Deutschland hätte die EWG dann drei sich konkurrierende Distributoren (Peacock, Actebis, Also).
Wird Actebis Also zerschlagen und Stück für Stück verkauft oder geschlossen? Hemani verneinte diese Absicht gegenüber dem Newsletter IT Europa ganz klar, während Weissmann die Aufteilung des Paneuropäers «eine Variante» nennt.

Im Hintergrund steht HP

Es ist ein offenes Geheimnis, dass Hewlett Packard neben Ingram Micro und Tech Data einen dritten, starken paneuropäischen Distributor möchte. Sowohl Westcoast (80% des Umsatzes mit HP), wie auch Actebis (ca. 40%) und die EWG sind sehr HP-lastig. Es dürfte Also keine allzu vermessene Spekulation sein, dass HP als treibende Kraft hinter der Actebis-Übernahme steht.
Doch dies stellt die Zukunft der EWG, trotz gegenteiliger Versicherungen von Weissmann, in Frage. Actebis’ Alleingang – neu mit einer sehr starken Niederlassung in Grossbritannien und mit Unterstützung durch HP – ist eine Alternative zur äusserst problematischen Integration von Actebis in die Disti-Allianz. (hc)

Die Players

Westcoast: britischer Disti. Ca. 450 Mio. Euro Umsatz. Gegen 80% mit HP. Mitglied der EWG.

Joe Hemani: Besitzer von Westcoast, neuer CEO von Actebis, will Actebis kaufen.

Otto-Konzern: Deutscher Versandhändler. Umsatz: 20 Mrd. Euro, Gewinn: 233 Mio. Euro. Besitzer von Actebis. Will Actebis seit langem verkaufen. In Familienbesitz.
EWG: Allianz von vier unabhängigen Distributoren in Europa: Also ABC (CH, De, Au), Esprinet (It), Copaco (NL), Westcoast (GB).


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