«Rechnung nicht aufgegangen»

Die massenhafte Ausstellerabstinenz zeigt eines: Konjunktur hin oder her, auch bei der Orbit/Comdex selbst muss sich etwas ändern. IT Reseller unterhielt sich mit Alain Pittet (Bild) über mögliche Ansätze.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2003/15

     

Aus den Schlusscommuniqués der Messeleitungen: «Klasse statt Masse ist das Fazit der Cebit 2003.» Internet Expo: «Die iEX 2003 wurde ‹in guter Stimmung beendet› und hat ‹im Rahmen der Erwartungen› abgeschnitten.»
Systems 2002: «Wir von der Messe München haben alles getan, dass von der Systems positive Signale für den Markt ausgehen.» Und die Qualität der Besucher erhöht sich ja bekanntlich an allen Messen jedes Jahr...
Man kann wohl von keinem Messeveranstalter erwarten, dass er seine Messe im nachhinein schlicht als Misserfolg bezeichnet – oder sollte man vielleicht doch? Der Verdacht drängt sich auf, dass die Veranstalter manchmal zu sehr an ihre eigene PR glauben und dadurch den notwendigen Veränderungswillen missen lassen. Unter den Klagen von «Nicht-mehr-Ausstellern» taucht auf jeden Fall ein Punkt immer wieder auf: Mangelnde Beweglichkeit bei den Veranstaltern.

Ausstellerflucht

Nach der Orbit 2002 (950 Aussteller, 27% Rückgang gegenüber 2001) sagte die Messeleitung: «Für die Mehrzahl der Aussteller bleibt die Fachmesse Orbit/Comdex Europe die Leitveranstaltung der Schweizer IT-Branche.
In ersten Statements bestätigen sie, dass trotz einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld nach wie vor ein hoher Bedarf an einer professionellen Marktplattform besteht, wo sich Anbieter, Käufer und Anwender austauschen können.»
Trotzdem verzichtet nun eine grosse Mehrheit dieser Aussteller dieses Jahr auf einen Auftritt: Wie uns Alain Pittet, Leiter Business Unit Dienstleistungsfachmessen bei der Messe Basel, mitteilte, ist die Zahl der angemeldeten Aussteller an der Orbit/Comdex 2003 inzwischen zwar seit der letzten Ankündigung (367 Aussteller) auf etwas über 400 geklettert – der Ausstellerschwund wird aber trotzdem dieses Jahr weit über 50% betragen. Kann die Orbit ewig schrumpfen?
IT Reseller unterhielt sich mit Alain Pittet über die Situation der Orbit/ Comdex und die möglichen Konsequenzen für die Zukunft.
IT Reseller: Herr Pittet, welches Fazit ziehen Sie im Vorfeld der diesjährigen Orbit/Comdex angesichts des doch immensen Ausstellerrückgangs?
Alain Pittet: Man kann sicher nicht von einem Erfolg sprechen. Schon vor einiger Zeit haben wir versucht, das Konzept der Messe anzupassen. Aber die IT-Krise war grösser, die Flaute länger als wir erwartet hatten, und die Rechnung ist nicht aufgegangen. Wir glauben aber, dass der tiefste Punkt nun erreicht ist und dass unsere gegenwärtigen Aktivitäten eine Investition in die Zukunft sind.
Ein Vergleich der Ausstellerzahlen der Orbit/Comdex mit Cebit, Systems und iEx zeigt aber, dass der prozentuale Schwund bei der Orbit ungleich stärker ist, als bei den genannten, ähnlich gelagerten Messen (siehe Kasten). Wie erklären Sie sich das?
Für mich ist es schwierig, diese Zahlen zu interpretieren. Ich denke, dass es doch sehr stark mit der Konjunktur zu tun hat. Wir hatten bis zum Jahr 2000 auch einen extrem steilen Anstieg der Ausstellerzahlen. Die Orbit ist die Messe, die dem Konjunkturverlauf am stärksten gefolgt ist.

Konzept Konvergenz gescheitert

Aber muss es nicht, zusätzlich zur Konjunktur, auch Orbit-spezifische Gründe für den übermässig starken Ausstellerschwund geben?
Die Orbit ist eine reine B2B-Fachmesse. Sie hat stärker auf diese Karte gesetzt als die anderen genannten IT-Messen. Das hat bestimmte Ausstellergruppen unzufrieden gemacht.
So entstand dann das Konzept, in diesem Jahr wieder verstärkt auf den Consumerbereich zu setzen.
Ja, aber auch dieses «Konzept Konvergenz» ist in wiederum anderen Bereichen nicht angekommen. Heute muss man klar sagen: Das Konzept Konvergenz ist gescheitert. Die Messe, die alle Besucherbedürfnisse abdecken kann, gibt es nicht.
Meiner Meinung nach hat man sich damals viel zu schnell dafür entschieden, abgestellt auf die Aussagen einiger potentieller Aussteller, die es befürworteten. Genau diese Aussteller sind dann aber doch ferngeblieben. Ich ziehe daraus eine grosse Lehre: Konzepte darf man nicht aufgrund der Aussagen einiger weniger Gesprächspartner aufstellen. Wir können uns keine Schnellschüsse mehr leisten.

Die Orbit als IT-Messe für KMU

Von der Idee, den Consumer-Bereich wieder miteinzubeziehen, verabschieden Sie sich also wohl. Wie geht es jetzt weiter?
Es kann keine «Desktop-Konzepte» mehr geben, das heisst, Messekonzepte kann man heute nicht mehr wie früher im stillen Kämmerchen ausbrüten. Wir führen bereits seit zwei Monaten Gespräche mit Key Accounts aus allen Branchen.
Was wir festgestellt haben ist, dass die Aussteller ihre Marktbearbeitung sehr stark segmentieren, horizontal nach Kundengrösse und vertikal nach Themenkreisen. Für vertikale Themen gibt es bereits verschiedene Veranstaltungen, zum Beispiel das Finance Forum, um nur eine zu nennen.
Ich glaube, die Orbit könnte die IT-Messe für KMU werden. Das Ziel wäre also eine horizontale Abbildung von Themen, die Besucher aus dem Bereich KMU interessieren. Wir sind jetzt damit beschäftigt, zu planen, wie wir das genau verpacken könnten. Aber wir werden uns dieses Mal genügend Zeit lassen.
Nach der diesjährigen Orbit werden wir zuerst eine sorgfältige Auswertung vornehmen und viele weitere Gespräche führen. Wir werden somit unser nächstes Konzept nicht gleich nach der Orbit präsentieren. Auf jeden Fall kann ich sagen, dass die Idee in den bisherigen Gesprächen gut angekommen ist.
Aber auch eine horizontale Messe für KMU erfordert, dass die Messe eine gewisse Vollständigkeit aufweist, dass sie den Besuchern einen Überblick bieten kann. Wenn man sich die Aussteller dieses Jahres anschaut, so sind viele IT-Bereiche kaum vertreten. Eine weitere Abwanderung von Ausstellern würde dieses Konzept also auch über den Haufen werfen.
Wir sehen die kommende Orbit als die minimale Basis, auf die wir aufbauen können. Sie ist ein Grundstein für die Zukunft. Wir sind noch damit beschäftigt, zu überprüfen, welche Bedürfnisse das Segment KMU hat.
Aber es ist richtig, mit der diesjährigen Orbit haben wir die Abdeckung nicht erreicht. Gewisse
Segmente sind gar nicht, andere zuwenig vertreten. In dieser Beziehung müssten wir eine Verbesserung anstreben. Aber es ist auch möglich, dass wir vertikale Schwerpunkte setzen. Noch ist alles in der Planungsphase, und wir lassen uns Zeit.
Kommen wir zum Schluss noch zum Thema Besucher. Würden Sie eine Prognose wagen, wie sich die Besucherzahlen an der diesjährigen Orbit entwickeln, zum Beispiel gestützt auf den Internet-Vorverkauf der Tickets?
Wir sind eigentlich überrascht, wie viele Tickets schon bestellt wurden, bis jetzt sind es mehr als 1000. Aber das Online-Ticketing machen wir dieses Jahr zum ersten Mal. Wir können darum überhaupt noch nicht sagen, was das bedeuten könnte. Aber wir haben auf jeden Fall ein gutes Gefühl.
Von den Messebesuchern hört man oft die Klage, dass es an Messen keine Neuigkeiten mehr zu sehen gebe. Gibt es für sie eine Möglichkeit, diese Situation zu verbessern?
Ganz generell, nicht nur in der IT-Industrie, werden Neuheiten nicht mehr bis zu den Messen zurückgehalten. Da können wir als Veranstalter aber kaum darauf einwirken. Es gibt nur noch wenige Branchen, in denen die Hersteller es sich leisten, auf Messen zu warten, ein Beispiel ist vielleicht die Automobilindustrie.
Das Paradoxe ist, dass Aussteller, die Neuheiten zeigen könnten, eigentlich sehr viel mehr Erfolg mit ihren Messeauftritten hätten. Die Besucher suchen ja aktiv nach Neuheiten, und für diese Aussteller bedeutet das mehr Andrang und mehr Kontakte.

(Interview: hjm)


Les absents ont toujours...

Dem geläufigen Sinnspruch nach haben die Anwesenden ja immer unrecht. Denen, die trotz allem an der diesjährigen Orbit/Comdex einen Auftritt wagen, ist das jedenfalls zu wünschen. Das Problem: Prominente Abwesende schmälern oft auch die Erfolgschancen der verbliebenen Aussteller.
Über 500 «Nicht-mehr-Aussteller» verglichen mit dem letzten Jahr wären eine lange Liste. Hier nur eine Auswahl der Prominentesten, die dieses Jahr (gemäss aktueller Ausstellerliste) gar nicht mehr vertreten sind:
3Com, Accenture (Systor), Acer, Adobe, Alcatel, ARP, Bison Systems, Brother, Canon, Cisco, Dicom, Delec, EMC, Enterasys, Excom, Getronics, Hitachi Data Systems, Integralis, Itris Gruppe, Novell, OBT, Oki, Orange, Palm, Philips, Ruf Gruppe, Sage Sesam, SAP, Sharp, Sun, Sunrise,
T-Systems, Toshiba.


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