Think Digital: Die Carbon-Copy-Ideologie
Quelle: zVg

Think Digital: Die Carbon-Copy-Ideologie

von Joerg Schwenk, unabhängiger Fachhandelsspezialist mit Schwerpunkt Onlinemarketing und Digitalvertrieb

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2024/04

     

Natürlich ist es begeisternd, wenn man über alles Bescheid weiss. Natürlich ist es begeisternd, wenn man überall ein bisschen mitreden kann. Aber bitte nur so weit, wie es noch nicht konkret und verpflichtend ist, und auch nur so weit, wie man keine Verantwortung übernehmen und keine Leistung erbringen muss. Die ideale Grundlage, um Organisationen beschäftigt zu halten. Oh, Entschuldigung, ich meinte selbstverständlich «am Laufen» zu halten.

Und wie so oft gibt es in der Arbeitswelt kleine Helferlein, die sehr hilfreich erscheinen, damit ganze Organisationen immer schön unter Dampf stehen. Eine der perfekten und aussichtsreichsten Strategien dabei scheint wohl zu sein, alle zu involvieren. Und was dient dazu am besten, alle zu involvieren? Natürlich die CC-Funktion in E-Mails. Neben unnötigen und überfüllten Meetings ist dies heute der bevorzugte Klassiker, um eine ganze Organisation unnütz beschäftigt zu halten.


Lassen sie uns in Form eines ­kleinen Persönlichkeitsprofils nach möglichen und schlechten Treibern suchen:

CC-Nehmer: Ich sage allen, ich möchte ins CC genommen werden. Ich bin notorisch unsicher und muss alles unter steter Kontrolle halten, dass hier bloss nichts zu meinen Ungunsten läuft. Ich möchte jedermanns Darling sein. Die Aussage, dass ich ein Kontrollfreak und ein Micromanager bin, würde ich jedoch komplett ablehnen. Vielmehr sorge ich dafür, dass dank meiner Expertise die Projekte nicht mehr schief­laufen.

CC-Geber: Ich setze alle ungefragt in CC, denn meine Profilierung ist mir wichtig. Ich möchte auf der Karriereleiter vorankommen. Meine Tätigkeiten richte ich vorwiegend auf die Karrierestufen über mir aus. Sind meine Chefs glücklich, werde ich es auch sein, und alle auf einer Stufe unter mir sind mir egal. Es geht mir darum, dass alle sehen, was ich tue und leisten kann; jeder soll es wissen. Aber eigentlich will ich damit nur die Verantwortung abschieben beziehungsweise verteilen, falls etwas nicht läuft.
Andere sind schuld. Folgt jetzt die logische und diesbezügliche Abrechnung mit der Generation Z? Im Sinne von «Generation Unverbindlich» und sie sind der Haupttreiber hinter solchen Entwicklungen? Sich Kompetenzen zu erarbeiten und Entscheidungen zu treffen ist heute nicht mehr «in». Verantwortung tragen steht nicht mehr hoch im Kurs?

Ich glaube grundsätzlich eher, dass die Generation Z sich in einer Welt entwickeln muss, die wir geschaffen haben und die eben alles andere als perfekt ist. Und es ist wahrscheinlich logisch «so» zu sein in einer oft toxischen Arbeitswelt, die mit Überinformation, Überstunden, Micromanagement und Kontrollwahn nicht geizt. Nein, die Generation Z ist es wohl nicht, sie schlägt uns nur mit den eigenen unsinnigen Dingen, wie eben die Carbon-Copy-Ideologie, die wir unnötigerweise erfunden haben.


Teamgedanken für alle. Gleichmacherei. Personen mit Samthandschuhen anfassen und für alle die gleichen Rechte. Längst haben findige Chefs, notabene der alten Generation, den Teamgedanken und den Gedanken der «Gleichmacherei» so weit implementiert, dass kein Mitarbeiter mehr eine Entscheidung zu treffen braucht. Das Team übernimmt. Führungsqualitäten? Fehlanzeige, dank der Carbon-­Copy-Ideologie, die alle immer am Rennen und im «Loop» hält.

Es ist erstaunlich, wie es eine Technologie wie E-Mail und eine kleine CC-Funktion es schaffen, uns beschäftigt zu halten, ohne einen wirklichen Effizienzgewinn zu erzielen. Es ist bemerkenswert, wie das Vorhaben der Information dafür sorgt, dass man eben nicht mehr informiert ist, sondern im Informations-Dschungel zu versinken droht. Mein Tipp: Identifizieren Sie die wirklichen und «persönlichen» Treiber hinter der Carbon-Copy-Ideologie in Ihrem Unternehmen.

Joerg Schwenk

Joerg Schwenk verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung im Schweizer Fachhandel und ist spezialisiert auf Onlinemarketing sowie Digitalvertrieb. In seiner Kolumne vermittelt er seine Einschätzungen, Erfahrungen und Ansichten rund um den ICT-Channel und freut sich auf Ihre Kontaktnahme beziehungsweise die Vernetzung auf Linkedin
(www.linkedin.com/in/joerg-schwenk/).


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