Keine Quantensprünge zu erwarten

Die Anbieter haben die Technologie, die Kunden sind interessiert – warum geht es in der Schweiz mit E-Government nicht vorwärts? IT Reseller hat sich bei den Schweizer E-Government-Anbietern nach den Gründen umgehört.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2006/14

     

Bedarf und Aktualität sind ausgewiesen, die technologischen Möglichkeiten vorhanden, Bürger und Unternehmen sehen die Vorteile. Trotzdem dümpelt die Schweiz nur im hinteren Teil des europäischen E-Government-Feldes.
Die im letzten Trendbarometer E-Government befragten Schweizerinnen und Schweizer sind sich über die Vorteile von Behördenkontakten via Internet durchaus im Klaren: Im Vordergrund steht die «zeitliche Flexibilität». An zweiter Stelle wird «Bequemlichkeit» genannt, gefolgt von «Zeitersparnis».

Behörden hinken hintennach

Bei einem europäischen Vergleich, den Capgemini soeben veröffentlichte, rangiert die Schweiz in Sachen E-Government weit hinten. Der Schweiz reichen 11 Prozent vollständig online verfügbare Dienste gerade noch für den vorletzten Platz.
«Dennoch gibt es auch hierzulande innovative Entwicklungen wie etwa das KMU-Portal, das Informationen für Unternehmensgründungen und die Möglichkeit bietet, Unternehmen online zu registrieren», tröstet der Leiter Public Services Capgemini Schweiz, Tom Gensicke. Die Gründe für das langsame ­Vorankommen ortet er bei den föderalisti­schen Strukturen: «Die dezentralisierte Herangehensweise beim E-Government entspricht der politischen Struktur des Landes. Die ­Regierung hat aber erkannt, dass eine nationale E-Government-Strategie notwendig ist, und will diese in Zusammenarbeit mit den Kantonen und Gemeinden bis Ende 2006 entwickeln.» (Siehe Seite 38)
Yücel Toprak, Leiter Marketing und Kommunikation von Unisys, relativiert die E-Government-Rückständigkeit der Schweiz etwas: «Die Entwicklungen sind in verschiedenen Bereichen sehr unterschiedlich. Vieles, was in Kantonen und Gemeinden passiert, wird von aussen nicht so stark wahrgenommen wie in einem zentralistischeren Staat. Immerhin haben Experten aus Österreich, das ja laut dem Capgemini-Vergleich an erster Stelle steht, Schweizer Spezialisten nach Wien eingeladen, um das E-Voting-System des Kantons Zürich kennen zu lernen.»

Technisch wären wir bereit

Wichtigste Voraussetzung, um Behördengeschäfte über das Internet abzuwickeln, ist der Zugang zum Internet, und in dieser Beziehung steht die Schweiz sehr gut da. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie, welche die englische Zeitschrift «The Economist» zusammen mit IBM durchführte. In diesem «E-Readiness-Ranking» belegt die Schweiz Platz drei nach Dänemark und den USA. Beim Thema Konnektivität und technologische Infrastruktur erreicht sie sogar Rang zwei. Dies ist, wie in der Studie festgestellt wird, in erster Linie auf die Versorgung mit Breitbandanschlüssen und IP-Telefonie zurückzuführen. Das Trendbarometer belegt überdies, dass auch die Nutzungsintensität des Internets gestiegen ist: Der Anteil der praktisch täglichen Nutzer liegt in der Schweiz mittlerweile bei 63 Prozent.
Allerdings sagt diese Zahl nichts über die Angebote. Nicolas Vezin, CEO von Steria Schweiz: «E-Government bedeutet mehr, als ein paar Infos ins Web zu stellen. Es geht um Prozesse und Transaktionen wie die Online-Abwicklung eines Passantrags, An- und Abmeldungen oder das Online-Ausfüllen der Steuererklärung. Erst mit solchen interaktiven Anwendungen lässt sich die Effizienz der Verwaltung verbessern.»
Die Politik auf Bundesebene scheint jedoch den wirtschaftlichen Nutzen von E-Government noch nicht wirklich erkannt zu haben, wie Marcel Reich, Geschäftsführer von Ruf Informatik, meint. «Im Parlament sitzen immer noch mehr Leute, die landwirtschaftliche Interessen vertreten, als solche, die sich in der Informatik fundiert auskennen.» E-Government müsse vermehrt zur Chef-Sache gemacht werden, da die Verwaltung als erste Vor­aussetzung im eigenen Haus Ordnung schaffen müsse. Analog zur Privatwirtschaft würden ja auch von öffentlichen Verwaltungen immer öfter Leistungserfassung und Kostenrechnung gefordert. Das bedeute, dass die IT-Strukturen auf Vordermann gebracht und die Prozesse zwischen Ämtern, Gemeinden, Kantonen und dem Bund vereinheitlicht werden müssten.

Hemmnisse zuhauf

Dem könnte wohl auch Beat Gnägi zustimmen. Als Associate Partner Global Business Services ist Gnägi bei IBM für die öffentlichen Verwaltungen in der Schweiz zuständig. Er sagt: «Wir versprechen uns nicht zuletzt auch einiges von der Verwaltungsreform, bei der beispielsweise das EJPD alte Erlasse und Verordnungen überprüft. Viele davon stammen noch aus der Postkutschenzeit. Diese werden den neuen Techno­logien oft nicht mehr gerecht und stehen einem modernen ­E-­Government entgegen.»
Christian Weber von der Taskforce KMU des Seco weiss allerdings noch von anderen Hemmern, welche administrativen Entlastungen für Bürger und Unternehmen im Wege stehen. Auf einer E-Government-Tagung wurde er kürzlich deutlich und nannte die Politik, die, insbesondere wenn Wahlen anstehen, andere Prioritäten setze. Auch Interessenverbände von Spezialisten für die Kontakte mit Behörden – gemeint sind etwa Anwälte oder Treuhänder – hätten kaum Inter­esse, ihre Mittlerfunktion zu gefährden. Selbst grössere Unternehmen, die über eigene Abteilungen für die Abwicklung dieser Kontakte verfügen und darin einen Wettbewerbsvorteil gegenüber kleineren Konkurrenten sehen, seien nicht unbedingt daran interessiert, die administrativen Abläufe zu vereinfachen.

Beginn der Aufholjagd

Dennoch zeigt die Capgemini-Studie, dass in Europa bei den Online-Angeboten der öffentlichen Hand die Dienstleistungen für Unternehmen mit einem Umsetzungsgrad von durchschnittlich 85 Prozent weit besser ausgebaut sind als diejenigen für die Bürger, die laut der Studie nur einen Umsetzungsgrad von 68 Prozent erreichen. Vollständig online verfügbar sind für die Wirtschaft zwei Drittel der untersuchten Leistungen, jedoch nur ein Drittel der Serviceangebote für Bürger. Insbesondere in den alten EU-Mitgliedsstaaten gebe es aber Anzeichen, dass sich die Lücke langsam schliesse, stellt die Studie fest.
Manches deutet darauf hin, dass sich auch die Schweiz daran macht, aufzuholen. Zurzeit bemühten sich alle grossen Anbieter und Beratungsfirmen um das Geschäft mit der Verwaltung, meint Gnägi. IBM etwa habe neben klassischen Aufgaben, wie die Ablösung alter Systeme und die Einführung neuer IT-Architekturen auch in mehreren Kantonen E-Tax-Projekte sowie eine kantonsübergreifende Grundbuchverwaltung am Laufen.
Ernst-Jan Tolen, Mitglied der Geschäftsleitung von Abraxas, stellt fest, dass in letzter Zeit Bewegung aufgekommen ist: «In den Kantonen, wo wir vorwiegend tätig sind, ist E-Government ein Thema, und die damit zusammenhängenden Fragen wie Standardisierung und Datenaustausch kommen aufs Tapet. Der Regierungsrat von St. Gallen hat beispielsweise kürzlich eine Vereinbarung betreffend E-Government mit den Gemeinden abgeschlossen, und in verschiedenen Kantonen sind Fachstellen für E-Government gebildet worden.»
Die Behörden stehen, wie Reich ausführt, vor grossen Herausforderungen. Der Bürger möchte seine Anliegen schnell und kompetent abgewickelt haben. Doch die Vernetzung innerhalb der Verwaltungen funktioniert oft noch sehr beschränkt und ist mit Medienbrüchen verbunden. Dies veranschaulicht vor allem der Wohnortwechsel innerhalb eines Kantons oder von einem Kanton in einen anderen. Die Vorteile von E-Government für die Verwaltung, zum Beispiel durch den beschleunigten Informationsfluss an den Bürger, könnten so nicht wirklich umgesetzt werden. «Wir entwickeln mit einer grossen Crew Lösungen für unsere Kunden in der öffentlichen Verwaltung. Dabei legen wir Wert auf die Parametrierbarkeit, so dass die Lösungen schweizweit eingesetzt werden können.»
Tolen erklärt: «Voraussetzung für ein effizientes E-Government sind die Integration der Geschäftsprozesse auf der Basis einer serviceorientierten Architektur und das digitale Aktenmanagement.» Letzteres bilde derzeit einen Schwerpunkt bei Behördenaufträgen. Ähnlich sieht dies auch IBM, wo Business Partner Gopro, Global Business Services und die Software Group gemeinsam an einer länder­übergreifenden Lösung für die elektronische Vorgangsbearbeitung und Aktenverwaltung in Behörden arbeiten. Dabei sollen Bürger und Unternehmen über ein Citizen-Portal Einblick in den Status ihrer Anliegen bekommen.
Doch noch seien Verwaltung und Behörden von den Vorteilen von E-Government zu überzeugen, meint Vezin. Dazu brauche man zweierlei: gute Kontakte und Referenz-Installationen. Der Schweizer Markt sei jedoch zu klein, um ein Kompetenzzentrum aufzubauen: «Steria ist in der glücklichen Lage, durch unsere Verkehrsleitsysteme über viele Kontakte in den Kantonen zu verfügen und über die Steria Group internationale Referenzen vorweisen zu können, wobei die Schwerpunkte auf E-Voting, E-Tax, Biometrie und Polizeisystemen liegen.»

Was Bürger wünschen

Der Bekanntheitsgrad der Behördenwebsites hat in der Schweiz auf allen Ebenen zugenommen. Allerdings werden die Sites noch vorwiegend genutzt, um Informationen einzuholen. An künftige Behördendienstleistun­gen haben die Bürger höhere Erwartungen. Im Vordergrund stehen «An- und Abmeldungen beim Umzug» und «Wohnsitz bestätigen lassen», gefolgt von «Führerschein ändern lassen» und «Fahrzeuge an- und abmelden».
«Steuererklärung ausfüllen» wollen 68 Prozent, und 63 Prozent glauben, dass die Wahlbeteiligung höher wäre, wenn einfach und sicher über das Internet abgestimmt und gewählt werden könnte. Offensichtlich ist also ein Grossteil der Schweizer bereit, alte Gewohnheiten abzustreifen und Behördenkontakte in Zukunft elektronisch abzuwickeln. Prof. Heide Brücher, Leiterin des Kompetenzzentrums E-Government an der Berner Fachhochschule: «Es gibt zwar keine Quantensprünge in der Entwicklung und bei der Nutzung von E-Government, aber ein stetiger Fortschritt in der Wahrnehmung, bei Kenntnis und Nutzung ist zu beobachten.»
Jetzt kommt es nur noch darauf an, wie rasch die Behörden reagieren und wie ihre Angebote aussehen werden.


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