Wie die UC-Anbieter den Frühling spüren

14. April 2009 - Umfassende, revolutionäre UC-Vorzeigeprojekte wie sie die Hersteller propagieren bleiben aus. Oder zumindest sind sie selten anzutreffen. Von Stillstand zu reden wäre jedoch zu pessimistisch. Denn die Anbieter rüsten weiterhin wacker auf. Dafür bremsen jetzt die IT-Fachleute in den Unternehmen.

Die IT-Welt spricht von Netzkonvergenz. Und von Unified Communication (UC). Man spricht viel, doch noch ist das Geschäft klein, der Grossteil des Handels weiss noch nicht genau, welche Rolle er spielt. Auch die Hersteller reichen unter dem Schlagwort unterschiedlichste Philosophien, Konzepte, Händlermodelle herum. Letzten November titelte IT Reseller «UC ist für den Handel noch Zukunftsmusik» und erntete von vielen Seiten, auch von Anbietern, Zustimmung. In der Zwischenzeit, rund fünf Monate später, ist die Zukunft noch nicht angebrochen. Aber zahlreiche neue oder überarbeitete Soft- und Hardware ist veröffentlicht worden, und die Gerüch­te, wonach zumindest Teilbereiche von UC-Konzepten von den Unternehmen vermehrt nicht nur nachgefragt sondern auch wirklich realisiert werden, halten sich hartnäckig.

Konkret handelt es sich dabei um Videokonferenz-Lösungen, die angeblich wegen der Krise und den deshalb vielerorten gekürzten Reisebudgets mehr nachgefragt werden. Dies bestätigten in den letzten Monaten Vertreter von Cisco, Polycom, Orange Business Services und Swisscom in persönlichen Gesprächen mit IT Reseller. Allerdings ohne dabei konkrete Zahlen nennen zu können. Gemäss Daniel Furrer, Country Manager bei Polycom, amortisieren sich die meisten Systeme innerhalb von einem halben Jahr. Um diese Aussage zu unterlegen, hat das Unternehmen kürzlich einen Rechner zur Erhebung des individuellen Return on Investment eingerichtet. Keine schlechte Idee, das suggeriert Transparenz und könnte sowohl Händler als auch CIOs und schliesslich CFOs zum Einstieg ins Geschäft motivieren. ()


Schweizer Markt im Wandel

Alleine in den letzten Monaten hat sich bezüglich Unified Communication und Collaborations auf der Anwenderseite in der Schweiz einiges getan. So hat beispielsweise die Grosskunden-Sparte von Swisscom zwei neue Lösungen aus ihrem Portfolio vorgestellt. Neu vertreibt man das Highend-Konferenzsystem Telepresence von Cisco, bei dem sich Gesprächspartner auch über grosse Dis­tanzen in Lebensgrösse gegenüber- sitzen und diskutieren können. Die Systeme setzen stabile IP-Verbindungen mit garantierten Bandbreiten von bis zu 20 Mbit/s voraus. Swisscom hat schon heute eigene Telepresence-Räume in Bern, Zürich und Mailand.

Man denke auch über ein Modell nach, bei dem die Räume von Unternehmen gemietet werden können. Denn trotz dem Argument, dass Unternehmen mit Videokonferenzsystemen Reisekosten einsparen können, würden viele wegen des hohen Anschaffungspreises zögern, so Jean-Pierre Wollenschläger von Swisscom.

Eine Alternative mit deutlich geringeren Anschaffungskosten bietet Swisscom über ihr Tochterunternehmen Webcall mit Microsoft Live Meeting an. Dabei handelt es sich um ein Konferenz-System das auf jedem PC installiert werden kann. ()


Swisscom rüstet auf

Webcall hat als bisher einziges Schweizer Unternehmen von Microsoft den Gold-Status für den Bereich UC erhalten. Vor nicht einmal einem Jahr übernahm Swisscom die Webcall in Dübendorf von den Gründern Othmar Frey und Markus P. Keller. In der Zwischenzeit ist Webcall nach Zürich ins Gebäude des Microsoft-Entwicklungszentrums umgezogen. Durch die direkte Nachbarschaft sollen Prozesse weiter vereinfacht und beschleunigt werden. Die gemeinsamen UC-Kompetenzen von Swisscom und Webcall werden im neuen UC Center of Competence gebündelt und von Othmar Frey geführt.

Schon bis hierhin hat Swisscom mittlerweile ein breites um nicht zu sagen etwas verzetteltes Portfolio an UC-Lösungen im Angebot, auch die KMU-Sparte, Swisscom IT Services und Comit beschäftigen sich mit dem Thema.

Aber damit nicht genug. Der grösste Telekommunikationsanbieter des Landes hat Ende März zusätzlich eine Kooperation mit dem UC- und Contact-Center-Spezialisten Avaya bekanntgegeben. Sowohl der Grosskundenbereich als auch die auf die Finanzbranche spezialisierte Tochter Comit wollen mit der neuen Produktepalette Avaya Aura arbeiten. Wie Managing Director Martin Kull gegenüber IT Reseller sagt, will sein Unternehmen künftig vor allem indirekt, also über Partner, verkaufen. In der Zwischenzeit habe man die indirekten Verkäufe am Gesamtumsatz von 34 auf 88 Prozent gesteigert und will sich weiter in diese Richtung bewegen.

Auch IBM, HP und Arthus Technologies sind neu auf der Partnerliste anzutreffen. Laut Kull sei man damit in der Lage, einen qualifizierten Service anzubieten. Die neue Architektur Avaya Aura basiert auf SIP und entkoppelt die Anwendungen vom Netzwerk, womit eine grosse Anzahl unterschiedlicher Kommunikationsanwendungen und -systeme orches­triert werden kann. IT-Verantwortlichen soll damit Verwaltung, Wartung und Pflege vereinfacht werden. Detaillierte Informationen dazu finden sich in unserer Produkterubrik auf Seite 21. ()


Auch Crealogix bewegt sich

Während Swisscom den Schweizer Teil von Webcall übernommen hat, hat Crealogix im Januar die Übernahme von Webcall Deutschland bekanntgegeben. Das ehemalige Webcall-Geschäftsfeld in Deutschland wird mit den bisherigen Crealogix-UC-Aktivitäten aus der Schweiz zusammengeführt, ausgebaut und heisst neu Crealogix Unified Communication GmbH. Alle bisherigen sechs Mitarbeitenden bleiben aber in Köln im neuen Microsoft-Gebäude Rheinau Art Office stationiert. Offenbar wollen die Crealogen sich ebenfalls stärker Konvergenz-Themen widmen.
Mit Orange Business Services (OBS) hat ein weiterer grosser Anbieter sein Netz auf Konvergenz angepasst. Telepresence, Multicast-Fähigkeit, IPV6 sowie die Ausweitung von Carrier-Ethernet-Dienstleistungen mit Virtual-Private-Lan-Service (VPLS) werden miteinbezogen. Die neue Generation von Routern unterstützt zudem konvergente Lösungen, die Beschleunigung von Applikationen und Sicherheitsdienstleistungen sowie die Entwicklung von Ethernet- und Glasfaser-Zugängen. Das Netzwerk ist in 34 Ländern und 65 Städten telepresence-fähig und kann auf bis zu 104 Länder ausgedehnt werden. ()


Umfassende Projekte sind rar

Die angefügten Beispiele zeigen, dass das Thema UC sowohl bei Herstellern als auch bei grossen Dienstleistern und Telcos durchaus ein wachsendes Thema ist. Rar bleiben im Gegensatz dazu die Meldungen über konkrete Projekte, die über die Installation von Voip oder Videokonferenzen hinausgehen. Das grösste Vorzeigeprojekt in der Schweiz während den letzten Monaten war offenbar jenes von Ringier.
Der Medienkonzern hat eine UC-Lösung der Innovative Communications Alliance (ICA), einer Partnerschaft von Microsoft und Nortel, implementiert. Das Projekt wurde von Swisscom in Zusammenarbeit mit Nortel UC Consulting Services geleitet. Hansjörg Grolimund, Projektleiter und Head of Collaboration & Communication bei Ringier, sagt dazu: «Wir erwarten eine Produktivitätssteigerung um bis zu 20 Prozent, insbesondere für unsere Journalisten.» Trotz diesem Grossprojekt, in das die von der Finanzkrise besonders gebeutelte Medienindustrie offenbar grosse Hoffnungen setzt, sind keine weiteren Projekte in dieser Grössenordnung an die Redaktion von IT Reseller herangetragen worden. Stellt sich die Frage nach den Gründen. Wer bremst denn da? ()


Interne IT-Fachleute sind die Bremser

Eine Studie des Marktforschungsunternehmens Market Tools im Auftrag von Siemens Enterprise Communication in den USA stellte fest, dass insbesondere IT-Manager dem Konzept eher skeptisch gegenüberstehen, während sich die potentiellen Endanwender einen deutlichen Mehrnutzen versprechen. Rund ein Drittel der befragten geschäftlichen Anwender zeigten starkes Interesse an UC. Im Gegenzug dazu waren sich lediglich 21 Prozent der IT-Manager bewusst, dass UC in ihrem Betrieb diese Beliebtheit geniesst. Etwas relativiert wird das Ganze von den Umfrage-Ergebnissen der Mitarbeiter, die bereits UC-Projekte integriert haben. Zwei Drittel von ihnen empfinden die UC-Anstrengungen ihres Arbeitgebers als bestenfalls durchschnittlich.

Marcel Klebl, CEO beim Zürcher IT-Kompetenzzentrum i-Tec, kommt nach der Begleitung einer Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz zu einer ähnlichen Erkenntnis: «Vom CTO über den Administrator bis zum Mitarbeiter der Informatik spürt man, dass eine gewisse Skepsis betreffend der Umsetzbarkeit und Einfachheit exis­tiert.» Dies sei vermutlich so, da es noch keine allumfassende UC-Lösung gibt. Jeder Anbieter komme aus einem Gebiet und weite sich nun in anderen Bereichen aus. Komme dazu, dass sich die bestehenden heterogenen Systeme von E-Mail und Telefonie nicht einfach so von heute auf morgen auswechseln lassen. Klebl zusammenfassend: «Die gesamte Systemlandschaft, die Migration und die neuen technischen Probleme durch UC sind im Moment noch unklar und werden sich erst im täglichen Gebrauch zeigen.»

Trotzdem sind die Aussichten rosig: MSM Research sagt 2009 für UC- und IP-Telefonieprodukte ein Wachstum von 13 Prozent voraus. Bei der traditionellen Telekommunikations-Hardware und -Software prognostiziert das Marktforschungsunternehmen ein Umsatzminus von 18,4 Prozent. (Claudio De Boni) ()

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