KANAL TOTAL - Der Apéro

18. Februar 2002
Irgendwo an einem Messe-Apéro: Networking nennt sich das dann. Aber eigentlich geht es primär darum, sich gratis ein paar Bier hinter die Binde zu giessen und sich gegenseitig seine Visionen (Psych.: Wahnvorstellungen) um die Ohren zu hauen. Nein Gespräche, es geht um ernste Gespräche, um eine Art intellektuelles Zuhause.
Den Chinesen zum Beispiel, hilft es in Krisensituationen Hunde zu essen, aber das will hier ja keiner hören. Das Buffet ist Sinnbild für die Branche: Viele heisse Sachen, die im Nu wieder verschwunden sind, und wer den Mund zu voll nimmt, dem wird schlecht. Und die Miesmuscheln fühlen sich wie sie heissen.
Herr A. von der Firma B. hat mal wieder fusioniert, mit Herrn C. von der Firma D. (übrigens nicht nur auf geschäftlicher Ebene!) Und Herr Wiehiessergleichnochmal, egal, der Herr jedenfalls strahlt über beide Wangen. Er wird zwar entlassen, weiss das aber noch nicht. Dafür wissen es alle anderen. Frau E. ist schon entlassen, die hat gut Strahlen, die kauft sich jetzt erst mal eine Jacht an der Cote d'Azur.
Ein Herr im schwarzen Designeranzug schielt auf das Namensschild an meiner linken Brusthälfte. «Schöner Name, wie heisst denn die andere?» Nach dem dritten Bier kommt halt doch der Mann durch. Ich lächle zustimmend, das ist CRM in die Praxis umgesetzt. «Sind sie suizidal?» frage ich einen sinnentleert ins Glas starrenden Gast. «Nein ich bin Chef Executive Officer, so etwas delegiere ich.» Schnell schiesse ich noch ein Foto, man weiss ja nie, ob man sich im nächsten Jahr noch wiedertrifft.
Ich zwänge mich durch einen Wust von Firmenchefs, Chefredaktoren, Marketingchefs, Chefwebdesignern, Verlagschefs, Chefsekretärinnen, Chefkochs (eigentlich sind hier alle Chefs), mit der einen Hand mein Corona fest umklammert, in der andern Hand die Kamera, immer schussbereit um einen depressiven E-Businessman einzufangen. Wofür steht das E eigentlich? Ganz sicher nicht für Ekstase, das hätte ich bemerkt. Die Branche ist irgendwie von einer subtilen Schlaffheit gezeichnet, die jeden Moment auszubrechen droht – in einen Jahrhundertschlaf. Ich sässe jetzt gern unter Palmen, nur ich und mein gebratenes Schinkenröllchen. Warum werde ich eigentlich nicht Opiumhändlerin?
Ein paar Security-Spezialisten sichern sich die besten Happen des Buffets. Die nächste Flaute kommt bestimmt und sei es nur die Hungerflaute. Und essen muss der Mensch schliesslich. Ein zwingendes Indiz seiner Existenz. Wir schwenken zum Apéro der Konkurrenz, die übt sich gerade im Zen-Buddhismus und praktiziert die reine Leere. Nein, ganz so leer ist es nicht, so hätten wir’s nur gern. Ich sehe am Nachbarstand die Putzfrauen an, sie wenden sich ab um Monopoly zu spielen. «Na, befindest du dich in einer Sackgasse?» vernehme ich Wortfetzen. Na wenn das mal nicht bezeichnend für das ganze Internet-Business ist!
Irgendwann mische ich mich wieder unter das Heer der grauen Redaktionsmäuse. Das Bier ist alle, die Aktien im Keller, so hat alles seine Ordnung. Und was sollten wir auch anfangen mit Penthäusern, privaten Helikopter-Lande- und Golfplätzen und Gaultier-Klo- und Sonnenbrillen? Schwamm drüber.
Susann Klossek ()

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