Abschied von der Super-Marge

Für Vertrieb und Handel hat das Zusammenwachsen von Computer und Consumer Electronics Konsequenzen: Der CE-Channel bangt um seine traditionell hohen Margen.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2004/16

     

Seit einigen Jahren bewegen sich die Welt der IT und diejenige der Consumer Electronics unaufhaltsam aufeinander zu. Das Zusammenwachsen der Technologien im Wohnzimmer zeitigt auf der Produktseite eindrückliche Entwicklungen: Mit dem MP3-Player erobert etwa gegenwärtig ein klassisches IT-Produkt den Markt für Unterhaltungselektronik, während einzelne DVD-Recorder heute mit einer 400-Gigabyte-Festplatte und einem Ethernet-Anschluss ausgeliefert werden. Klassische IT-Hersteller wie Hewlett-Packard, Dell oder Benq produzieren Consumer-Electronics-Produkte. Und die traditionellen Hersteller von Stereoanlagen, Fernsehern und Aufzeichnungsgeräten machen ihre Produkte netzwerkfähig und statten sie mit einer Harddisk aus.

Unterschiedliche Vertriebsmodelle

Die zwei Welten bedienen sich völlig unterschiedlicher Vertriebsmodelle sowie Händlernetze, um ihre Produkte an den Endkunden zu bringen: Auf dem IT-Planet regiert der Broadline-Distributor, der mit seiner Logistik-Kompetenz zwischen dem Hersteller und dem Retail- sowie dem IT-Fachhandel positioniert ist. Auf dem CE-Planet trifft man in der Mehrzahl der Fälle – etwa bei Sony, Philips, Pioneer und Panasonic – auf das Modell der sogenannten «lokalen Herstellervertretung». Diese liefert Fernseher, Stereoanlagen und DVD-Player direkt an den Retail und an die tausenden von CE-Fachhändlern in jeder noch so kleinen Ecke des Landes. Eine Grossdistribution im klassischen Sinne à la Also, Tech Data oder Ingram Micro kennt die Sparte Consumer Electronics in aller Regel nicht.
Die zunehmende Konvergenz der Produkte und Märkte löst jetzt hektischen Aktionismus in beiden Vertriebs- und Handelswelten aus. Die Zeichen stehen auf Veränderung, um nicht zu sagen auf Sturm. IT- und CE-Channel rüsten sich für die Zukunft, in der allerdings aus heutiger Sicht noch vieles ziemlich unklar erscheint.

IT-Distis rüsten auf

Das Zusammenwachsen von IT und CE ist für die meisten IT-Distributoren ein Anlass, die bestehenden Produktepaletten zu erweitern: «Wir haben das Sortiment grundsätzlich in Richtung Consumer-orientierter Produkte umgebaut und ergänzt», sagt Rolf Forster, Business Unit Manager für Consumerprodukte bei Actebis. So würden etwa Digitalkameras, MP3-Player, DVD-Recorder für das Wohnzimmer, aber auch neue Anwendungen wie LAN über das Stromnetz heute zum Angebot gehören: «Wir planen dazu auch noch punktuelle Ergänzungen im Bereich von LCD- und Plasma-TV-Geräten sowie von Projektoren», so Forster weiter. Bei Actebis wird davon ausgegangen, dass die Umsätze in den Consumer-Bereichen weiter wachsen und einen «substantiellen Bestandteil» des Gesamtumsatzes darstellen werden.
Aufgestockt hat auch Also ABC: «Seit Juli dieses Jahres verkaufen wir LCD- und Plasma-Fernseher von Sony, wie auch deren Home-Server-Lösung», sagt Geschäftsführer Marc Schnyder zu IT Reseller. Heute sei man bereits in den drei Märkten IT, Telecom sowie CE/UE vertreten: «Man kann davon ausgehen, dass im Bereich Consumer Electronics eine weitere Ausdehnung passiert», so Schnyder.

CE-Kanal versucht Schritt zu halten

Auch die Herstellervertretungen der klassischen CE-Hersteller und die in diesem Bereich tätigen Distributoren reagieren auf die Konvergenz in den Produktwelten. So hat Telion, die in der Schweiz einige tausend Elektrofach- und Radio-TV-Händler mit Produkten verschiedener Hersteller wie Loewe, NEC oder Benq beliefert, ihre Strukturen an den Wandel angepasst. Die vormals getrennt geführten Organisationen für den professionellen und den CE-Markt wurden zu Consumer & Professional Electronics verschmolzen. Dadurch will der Distributor flexibler auf die Marktbedürfnisse reagieren und an Geschwindigkeit gewinnen, wie es auf der Web– seite heisst.
Auch bei John Lay Electronics, der Generalvertretung von Panasonic und Technics für die Schweiz, die auch immer mehr IT-Produkte im Sortiment führt, wurde die Organisation angepasst: So wurde schon im September 2001 die Tochterfirma Screenworks gegründet, die sich vorwiegend mit dem Vertrieb von IT-Produkten und Peripherie befasst. Diese Tochter wurde dann zum Anfang dieses Jahres in den Geschäftsbereich «Business Solutions» integriert und dadurch näher zur Brust genommen.
Vor rund zwei Jahren hat auch die Bieler Sacom, die hierzulande vor allem als Generalimporteur von Pioneer bekannt ist, ihre Tochter Sacom Data integriert. Diese stellt jetzt eine eigene Business Unit dar und positioniert sich als VAD (Value Added Distributor) im IT-Bereich, welche die 200 grössten Schweizer IT-Händler mit diversen Produkten wie DVD-Brennern oder ADSL-Modems beliefert.

Grosse Unterschiede bei den Fachhändlern

Egal, ob die jeweiligen Produkte vom IT-Disti oder der lokalen Niederlassung eines CE-Herstellers kommen: «Rund 40 Prozent der Consumer Electronics-Produkte dürften über den Retail abgesetzt werden, der Rest über den jeweiligen Fachhandel», schätzt Marc Schnyder von Also. Die grosse Frage sei deshalb, welcher Fachhändler dem Endkunden die neuen Lösungen für die Vernetzung von Büro und Wohnzimmer verkaufen werde, so Schnyder.
In der Tat könnten IT- und CE-Fachhandel kaum verschiedener sein (siehe auch Seite 24 – Die Sicht der Händler): «Der IT-Handel sieht in seinen Konzepten kaum oder keine Beratung vor, da bei den knappen Margen nur über Quantitäten und ohne grossen Overhead betriebswirtschaftlich erfolgreich operiert werden kann», sagt Christian Hermle, Leiter Corporate Communications bei John Lay Electronics. Der klassische UE-Handel hingegen setze sich heute noch nicht breit mit den neuen Themen auseinander. Deshalb müsse dort ein Know-how-Aufbau auf breiter Ebene stattfinden, so Hermle. Rund 70 Prozent der Endverbraucher hätten kaum Kenntnisse in der Vernetzung von Produkten und könnten ihre «integrierten Bedürfnisse» nicht oder nur unausreichend kommunizieren.
Auch Patrick Schenkel, Marketing Manager bei Excom, sieht Chancen für den Handel: «Händler, die mit der Zeit gehen, können sich durch spezifisches Wissen und klare Positionierung als Fachspezialist und Lösungsanbieter profilieren», sagt er. Das Risiko, die Entwicklung nicht mitzumachen und keine Zusatzleistungen anbieten zu können, sei aber ebenfalls sehr hoch.

Neue Partnerschaften im Handel?

Beratung für die Endkunden täte Also Not: Der IT-Fachhandel hat zwar die nötige PC-Kompetenz, berät seine Kunden aber kaum und verfügt in vielen Fällen nicht einmal über ein Ladengeschäft. Der UE-Fachhandel hingegen ist in jedem Dorf vertreten, nennt in der Regel sogar einen «Showroom» sein eigen, ist aber vom IT-Fachwissen her kaum in der Lage, dem Kunden eine Lösung zu verkaufen, mit der sich die verschiedenen Geräte zuhause erfolgreich vernetzen lassen.
Anbieter wie John Lay Electronics sehen sich deshalb gezwungen, ihre bestehenden Absatzpartner nach qualitativen Kriterien für vernetzte Produkte zu beurteilen und die potentiellen «Netzwerkpartner» zu informieren und zu sensibilisieren: «Vielleicht entstehen in Zukunft sogar neue Geschäftsfelder im Bereich von Beratungsdienstleistungen für IT, Consumer-Electronics und Networking im Heimbereich», mutmasst Hermle.
«Die Fachhändler im CE-Bereich müssen sich unbedingt weiterbilden», sagt auch ein weiterer Vertreter eines in der CE-Distribution tätigen Unternehmens, der nicht namentlich genannt werden möchte. Heute habe man halt «mehr als Fernseher und Stereoanlage» und deshalb sei der Fachhandel im Multimediabereich stärker denn je gefordert.
Aus der Sicht von Also-Chef Schnyder könnte es künftig durchaus auch zu entsprechenden Partnerschaften zwischen IT- und UE-Händlern kommen, bei denen die IT-Händler ihr Netzwerkwissen einbringen könnten.

Der drohende Abschied von der Luxusmarge

Der UE-Handel muss sich aber nicht nur weiterbilden, es droht ihm im Zuge der technischen Konvergenz noch weit grössere Ungemach: «Die CE-Branche kennt relativ hohe Margen und ist stark fragmentiert», sagt Jean-Philippe Heusser, zuständig für Finanzen und Services beim Elektro- und CE-Distributor Telion. Die Konvergenz von IT und CE bedeute so gesehen vor allem eines: «Sie drückt die Margen», so Heusser. Deswegen sei bei Telion vorderhand auch keine Produktausweitung Richtung IT geplant: «Wir wollen keine Produkte mit so niedrigen Margen in das Sortiment aufnehmen», so Heusser zu IT Reseller.
Gemäss Brancheninsidern soll die Marge im CE-Umfeld beim spezialisierten Fachhandel 30 bis sagenhafte 50 Prozent betragen, während man bei der IT im Schnitt von drei bis maximal 15 Prozent spricht.
In der Distribution von CE-Produkten dagegen arbeiten Firmen wie Telion, Sacom oder Egli Fischer gemäss einem Brancheninsider mit einer durchschnittlichen Marge in der Höhe von 25 Prozent. Diese streicht dann aber doch nicht vollumfänglich der Distributor ein, wie Heusser von Telion erläutert: «Im CE-Fachhandel trifft man oft auf das rechtliche Konstrukt der Einkaufsgenossenschaft, in dem sich viele kleine Fachhändler zusammenschliessen. Dank höheren Volumen können sie bessere Konditionen aushandeln und das Kreditrisiko auslagern», sagt er. Diese Genossenschaften wie zum Beispiel Expert oder Interfunk würden ebenfalls mindestens zehn Prozent verschlingen. Aus diesem Grund sei es etwa für Telion gar nicht möglich, IT-Produkte mit ihrer Marge von 10 Prozent an den Schweizer CE-Fachhandel zu distribuieren, ohne dafür auch noch draufzuzahlen.

Hersteller favorisieren Mehrwegdistribution

Während der Trend zu CE-Produkten bei den IT-Herstellern ungebrochen scheint, präsentiert sich die Situation bei den Herstellern von Consumer- und Unterhaltungselektronik nicht so homogen: «Die traditionellen Hersteller tun sich mit Ausnahme von Sony und Philips noch schwer mit konvergenten Produkten», sagt Heusser. Darin bestünde auch die Schwierigkeit von Telion mit der ganzen Entwicklung: «Wir sind auf unsere Lieferanten, die teilweise stark fernsehorientiert sind, sowie deren Strategien angewiesen».
Völlig unterschiedlich sind auch die Vertriebsmodelle, die einzelne Hersteller heute einsetzen: Als eine der ersten Firmen hat sich etwa Benq an die Mehrwegdistribution gewagt: Die Projektoren dieses Herstellers werden nicht nur durch die Firmen Sacom und Telion vertrieben, sondern auch durch die IT-Distributoren COS, Ingram Micro und Actebis. Ähnlich geht offenbar auch NEC im Beamerbereich vor. Viele Branchenkenner gehen darin einig, dass CE- und IT-Hersteller vermehrt verschiedene Kanäle beliefern werden (siehe Kasten).
Damit tut sich offenbar der CE-Handel noch schwer: «Im CE-Umfeld sind viele Distis und Händler verunsichert und brüskiert», sagt der anonym bleiben wollende Mitarbeiter eines CE-Distis zu IT Reseller. Viele dieser Firmen seien sich nämlich an Exklusivität im Vertrieb gewöhnt gewesen.
Dass die zunehmend praktizierte Mehrwegdistribution die Gemüter hochgehen lässt, ist durchaus verständlich: Dem CE-Channel könnte ein Prozess bevorstehen, den sein Pendant aus der IT schon vor Jahren durchlaufen hat. Während man sich dort inzwischen nämlich an einstellige Margen gewöhnt hat, sehen viele Marktteilnehmer im CE-Umfeld durch die zunehmende Konvergenz der Produkte langsam aber sicher ihre Felle davonschwimmen.

CE-Schwergewichte bedienen sich beider Kanäle |

Die Schwergewichte Philips und Sony setzen schon heute erfolgreich auf die Mehrwegdistribution: So vertreibt Philips seine Produkte zwar noch grösstenteils direkt an die CE-Fachhändler im ganzen Land, arbeitet aber für gewisse Produkte wie Monitore, PC-Laufwerke und Webcams auch immer enger mit der IT-Distribution zusammen. Im Rahmen der Lancierung erster Produkte des so genannten Connected-Planet-Konzeptes dürfte sich die Zusammenarbeit mit den IT-Distis noch weiter verstärken. Für Philips-Sprecher Claudio Magnobosco sind aber auch völlig neuartige Vertriebswege denkbar: «Weil unsere künftigen Geräte über eine Broadband-Verbindung auf von uns zur Verfügung gestellten Content zugreifen können, wäre es beispielsweise auch möglich, solche Geräte künftig über einen ISP im Bundling mit einem Broadband-
Anschluss zu verkaufen», sagt er.
Auch Sony Schweiz setzt auf verschiedene Kanäle: «Wir unternehmen im Vertrieb keine starre Trennung, da die Geräte ja in beiden Welten verkauft werden», sagt Matthias Graf, Leiter Corporate Communications bei Sony Schweiz. Dabei habe jeder Vertriebsbereich seine Kompetenzen: «Der IT-Disti hat in der Regel eine Zusatzkompetenz, etwa in der Vernetzungstechnik, um die wir froh sind.» Wenn ein solcher Distributor den Home-Server aus dem Hause Sony verkaufe, dann solle er auch die Möglichkeit haben, die entsprechenden Zusatzgeräte im Angebot
zu führen. Das heisst: DVD-Spieler, Fernseher, Stereoanlagen und Memory-Stick-Player aus dem Hause Sony, die durch den IT-Channel vertrieben werden, sind nicht länger
ein Tabu.
Im IT-Bereich bleibe Sony faktisch nichts anderes übrig, als über die etablierten Distis zu gehen: «Die Landschaft der IT-Fachhändler ist viel weniger uniform als jene der
UE-Händler», so Graf. Die Kompetenz des Distis werde dort dringend gebraucht. Bei den rund 3000 durch die Schweizer IT-Distis belieferten Händlern sieht Graf denn auch ein grosses Potential für das Home-Server-Konzept. Deshalb werde dieses Marktsegment von Sony direkt angesprochen und umworben. Aber auch auf der «Gegenseite» wird um die Gunst der Händler gebuhlt: So hat unlängst ein mit Intel realisierter «Vaio-Truck» in den entlegenen Winkeln des Schweizer Landes die sprichwörtliche Nähe zu den
UE-Händlern in den Dörfern gesucht.

Wer wird die CE-Produkte von HP verkaufen? |

Unlängst hat der Computerriese HP eine Grossoffensive im Bereich von Consumer Electronics angekündigt. Im Channel gibt es derzeit wohl kaum eine heissdiskutiertere Frage als «Wer in der Welt wird die HP-Fernseher verkaufen?».
IT Reseller hat bei Andrej Golob, Chef der Personal Systems Group von HP Schweiz, nachgefragt: «Was die Distribution der von uns angekündigten CE- und UE-Produkte angeht, gibt es noch keine pfannenfertigen Pläne und Strategien. In unseren Überlegungen fangen wir aber beim Endkunden und dessen Bedürfnissen an», so Golob zu IT Reseller.
Golob nimmt an, dass die grosse Masse dieser Produkte über den Retail verkauft werden wird, aber nicht alle: «Einige Produkte und Lösungen werden nicht Commodity sein», sagt er. Eine Mehrheit der heutigen IT-Händler sei zudem nicht für den Digital-Home-Bereich prädestiniert, da sie eher auf Geschäftskunden ausgerichtet seien. Im CE- und UE-Kanal wiederum werde heute noch mit Margen von zwischen 30 und 50 Prozent komfortabel gelebt, während sich der IT-Channel schon längst an viel weniger gewöhnt habe. Der CE-Kanal und Elektrofachhandel verfüge über die Kundenkontakte, doch hätten diese Händler ein klares Defizit in Sachen IT. Mehrwegdistribution sei ein absolut denkbares Szenario: «Schon heute arbeiten wir im Fotobereich mit Engelberger, einem Foto-Disti. Wir werden versuchen, den idealen Channel für unsere Produkte zu finden.»
Brancheninsider vermuten aber, dass dies nicht einfach werden könnte: Wenn HP mit Fernsehern und Co. zuerst massiv in den Retail gehe, würde sie den Preis zerreissen und eine spätere Distribution über den Fachhandel verunmöglichen, heisst es. Schwierig dürfte es für HP auch in den Verhandlungen mit den Einkaufsgenossenschaften werden, sollte die Firma sich den Fachhandelskanal trotzdem einmal erschliessen wollen: Diese Einkaufsgenossenschaften dürften für Produkte mit solch niedrigen Margen, wie sie aus der IT-Ecke kommen, kein Musikgehör entwickeln. (bor)


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