«Wir haben bislang zu wenig auf unsere Reseller gehört»
Quelle: Ingram Micro

«Wir haben bislang zu wenig auf unsere Reseller gehört»

Svetlana Sorokina steht seit diesem Sommer an der Spitze von Ingram Micro Schweiz. Im Interview erzählt sie, wie sie gestartet ist und wohin sie den Distributor führen will.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2020/10

     

«Swiss IT Reseller»: Im Schweizer IT-Channel hat man nicht selten das Gefühl, jeder kennt jeden. Sie jedoch dürften die meisten noch nicht kennen. Darum meine Frage: Wer ist Svetlana Sorokina?
Svetlana Sorokina: Ich bin ursprünglich aus Russland, habe die letzten 23 Jahre aber in den Vereinigten Arabischen Emiraten, genauer gesagt in Dubai, gelebt. Dadurch bringe ich einiges an internationaler Erfahrung mit, denn Dubai ist ein Schmelztiegel verschiedener Nationalitäten, was meine bisherige Karriere und mein Leben wesentlich geprägt hat. Mein beruflicher Hintergrund liegt weniger in der IT, sondern primär in der Unternehmensführung sowie im Marketing. Da ich aber schon viele Jahre im Technologiesektor tätig bin und Technologie mit Enthusiasmus verfolge, darf ich von mir behaupten, technologisch sehr versiert zu sein.


Was hat Sie am Job als Managing Director von Ingram Micro in der Schweiz gereizt?
Letztlich wohl die Möglichkeit, meine Geschäftsführungsfähigkeiten einzubringen. Ich bin im Herzen Unternehmerin, und diese Passion kann ich an der Spitze von Ingram Micro Schweiz ausleben. Kommt hinzu, dass die Schweiz als Land sehr attraktiv ist.

Wie gut haben Sie die Schweiz denn vor Ihrer Zusage bereits gekannt?
Das ist eine lustige Geschichte. Ich habe zwar schon viele Länder gesehen, in die Schweiz bin ich zum ersten Mal aber im Dezember 2019 gekommen – mit meiner Familie zum Skifahren. Wir waren vom Land so begeistert, dass wir beschlossen, es im Sommer nochmals zu besuchen und zu entdecken. Zu diesem Zeitpunkt war noch keine Rede davon, dass ich in der Schweiz tätig sein könnte, der Job wurde mir erst im Februar 2020 angeboten. Wer weiss, vielleicht hat die Anziehung, die die Schweiz auf mich und meine Familie ausübte, das Schicksal beeinflusst (lacht). Auf jeden Fall machte es die Entscheidung, den Job anzunehmen und sechs Monate später in die Schweiz überzusiedeln, eindeutig einfacher.

Sie haben Ihren neuen Job im Juni angetreten. Was haben Sie die ersten Monate getan?
Ich habe viel Zeit damit verbracht, das Team kennenzulernen – was leider mehrheitlich nur virtuell möglich war. Zudem habe ich versucht, so viel wie nur möglich über den Schweizer Markt zu lernen, der neu für mich ist. Es ist mir wichtig zu verstehen, wie der Schweizer Channel strukturiert ist und wie das Business hier funktioniert. Ausserdem habe ich begonnen, Deutsch zu lernen.


Hat das Coronavirus Ihren Start erschwert?
Nicht unbedingt, nein. Technologie sei Dank konnte ich mich trotz Corona mit dem lokalen Team austauschen und es kennenlernen. Ich denke sogar, dass gewisse Dinge einfacher von der Hand gingen, ich zum Beispiel schon recht viele Zulieferer und Hersteller kennenlernen konnte, ohne dass Reisetätigkeit nötig war. Das alles hat remote erstaunlich gut funktioniert.

Haben Sie bereits erste Schweizer Partner treffen können?
Wie gesagt habe ich die ersten Wochen und Monate dazu genutzt, den Schweizer Markt und das Team vor Ort kennenzulernen. Das lag mir sehr am Herzen. Auch mit Herstellern und Zulieferern konnte ich bereits spannende Diskussionen führen. Partner habe ich in dieser Startphase noch keine kennenlernen dürfen, diese Phase folgt nun. In den kommenden Wochen stehen Treffen mit unseren Kunden – den Resellern – im Mittelpunkt, sowohl virtuell wie auch in Person.
In den letzten Jahren waren Sie primär im Marketing-­Umfeld tätig. Inwieweit beeinflusst dies Ihre Position als Länderchefin?
Stark. Denn ich bin fest davon überzeugt, dass ich die besten Elemente aus meiner Marketing-Vergangenheit in meine neue Rolle miteinbringen kann. Marketing dreht sich in meinen Augen primär darum, die Bedürfnisse der Kunden zu verstehen und kreative Lösungen für diese Bedürfnisse zu finden. Für mich war es als Marketing-Verantwortliche immer enorm wichtig, zu verstehen, welche Bedürfnisse unsere Reseller haben und wie wir sie am besten unterstützen können – sowohl was unsere Marketing-Programme, aber auch unsere Produkte und Lösungen angeht. Ich bin fest davon überzeugt, dass ich dieses Verständnis auch hier in der Schweiz einbringen kann, um gemeinsam mit unseren Partnern Wachstum zu generieren. Marketing steht für Kreativität, und Kreativität ist elementar, wenn es darum geht, Chancen zu entdecken, neue Lösungen zu entwickeln und neue Absatzkanäle für Produkte zu finden.

Ich habe es eingangs erwähnt, der Schweizer Channel ist eine überschaubare Community. Ist es eher ein Vorteil oder ein Nachteil, quasi als externe Person zu dieser Community zu stossen?
Ich sehe mehr Vorteile als Nachteile, sonst hätte ich die Möglichkeit, die mir dieser Job bietet, auch nicht angenommen. Ich bin naturgemäss ein sehr positiver Mensch – ein optimistischer Realist, was mir hoffentlich hilft, akzeptiert zu werden. Was mir ebenfalls hilft, ist, dass ich Ingram Micro als Unternehmen sehr gut kenne und schon zahlreiche Teams und grosse Projekte innerhalb des Unternehmens erfolgreich geleitet habe. Ich kenne also alle Prozesse und Abläufe, was in meiner Rolle als Länderchefin sicher ein grosser Vorteil ist. Hinzu kommt, dass ich wie erwähnt Enthusiasmus und Verständnis für das Technologiethema mitbringe. Ich glaube ausserdem an Diversität als Erfolgsfaktor und daran, dass ein diversifiziertes Team viele Vorteile mit sich bringt. Und nicht zuletzt denke ich, dass ein wenig frischer Wind einem gesetzten Markt wie der Schweiz durchaus auch guttun kann. Ich will aber auch die Nachteile nicht von der Hand weisen. Die Sprache ist sicher ein Faktor, und ich bin erst daran, Deutsch zu lernen. Was mir hilft, ist, dass ich Sprachen sehr gerne habe und nebst anderen Sprachen wie arabisch auch einigermassen gut französisch spreche.


Wie läuft es dabei, Deutsch zu lernen?
(Antwortet in praktisch akzentfreiem Deutsch) Es macht mir Spass, und ich lerne jeden Tag etwas Neues, was fantastisch ist. Interne Calls haben wir bereits in Deutsch abgehalten, und in ein paar Monaten kann ich dann hoffentlich auch Interviews in Deutsch geben. (Wechselt wieder auf Englisch) Mir ist es wichtig, mich so schnell wie möglich mit unseren Kunden auf Deutsch unterhalten zu können, und es gibt auch intern bei Ingram Micro Mitarbeiter, die Deutsch als Kommunikationssprache vorziehen. Das motiviert mich, die Sprache schnellstmöglich zu lernen.
Bei Ihrer Vorstellung haben Sie erklärt, dass Sie enormes Wachstumspotenzial für Ingram Micro in der Schweiz sehen. Können Sie das ein wenig ausführen?
Ich sehe in der Tat grosse Chancen für Ingram Micro in der Schweiz. Wir sind in der Schweiz bekanntlich bereits ein grosser Distributions-Player mit einem breiten Hersteller-­Portfolio, der in verschiedenen Segmenten führend ist. Chancen sehe ich vor allem im Bereich Advanced Solutions – sprich dem Value-Geschäft. In diesem ist Ingram Micro Schweiz noch zu wenig stark. Meine Erfahrung, das Value Business voranzubringen, ist etwas, das ich in der Schweiz einbringen will – wohlwissend, dass der Ausbau des Value-Geschäfts keine einfache Aufgabe ist.

Haben Sie erste Schritte bereits in die Wege geleitet?
Ingram Micro hat einen strategischen Fahrplan für den Ausbau des Advanced-Solutions-Geschäfts über die kommenden drei Jahre implementiert, der europaweit gilt. Teil dieses Plans, den ich mit meinen Kollegen in der EMEA-Region ausgearbeitet habe, sind unter anderem Investitionen in personelle Ressourcen. Wir werden also in Solution Architects, technische Berater, technische Spezialisten im Presales-Bereich und Spezialisten aus dem Lösungsgeschäft investieren. Mit ihnen werden wir neue Dienstleistungen rund ums Value-Geschäft entwickeln – Professional Services beispielsweise, Marketing Services oder Financial Services. Den entsprechenden Investitionsplan fürs kommende Jahr habe ich bereits unterzeichnet, man wird also schon bald sehen, wie sich Ingram Micro in der Schweiz in diese Richtung bewegt.


Das bedeutet, Ingram Micro wird bezüglich Headcount wachsen in der Schweiz?
Absolut, wir sind bereits daran, die entsprechenden Leute zu suchen, auch wenn die Pandemie das Recruiting nicht unbedingt einfacher macht.

Sehen Sie abseits vom Value-Geschäft noch Wachstums­potenzial?
Im Bereich neuer Technologien liegt ebenfalls noch Potenzial brach. Im Mittleren Osten habe ich zusammen mit meinem Team in den letzten Jahren mehrere Centers of Excellence in den Bereich Cyber Security, physische Sicherheit oder IoT aufgebaut. Diese Konzepte möchte ich auch in die Schweiz bringen, und wir werden in diese neuen Technologien investieren. Auch hier bin ich mir bewusst, dass es nicht einfach wird, Fuss zu fassen. Das Lösungsgeschäft im Schweizer Markt ist bereits weit entwickelt und hart umkämpft. Trotzdem sehe ich Chancen, wenn wir nicht einfach versuchen, unsere Mitbewerber mit ähnlichen Lösungen zu konkurrenzieren, sondern neue Wege gehen, neue Lösungen und neue Absatzkanäle präsentieren – spezifisch für vertikale Branchen zum Beispiel. Wir wollen anders sein als andere Distributoren. Und hier wiederum wird mein Marketing-­Hintergrund helfen, denn um Mehrwert zu generieren, muss man den Kunden und seine Bedürfnisse verstehen, um diese dann mit kreativen Ideen und kreativen Technologien zu ­adressieren. Marketing spielt im Advanced-Solutions-­Geschäft eine wichtige Rolle, und wir werden auch ins Marketing investieren.


Sie haben ebenfalls angekündigt, verstärkt auf die Bedürfnisse der Partner zu hören. Wie planen Sie hier vorzugehen?
Es ist mir wirklich wichtig, die Anliegen der Partner zu hören, um zu verstehen, wie wir sie besser unterstützen können. Einer meiner Verantwortungsbereiche war der Bereich Kundenzufriedenheit. Wir haben jährlich eine Kundenzufriedenheits-Erhebung durchgeführt, wobei ich gelernt habe, dass es weniger um die erreichte Punktzahl beim Net Promoter Score geht, sondern darum, den Kunden zuzuhören und die Lücken zwischen dem, was die Kunden wünschen und dem, was man als Unternehmen leistet, zu erkennen. Ich war tief in dieses Projekt involviert, und ich bin heute der festen Überzeugung, dass wir unseren Erfolg als Unternehmen wesentlich verbessern können, wenn wir auf das ehrliche Feedback unserer Händler hören und ihnen die Hilfe und den Support bieten, den sie wirklich brauchen. Wir waren in der META-Region erfolgreich damit, und ich plane, dieselbe Umfrage auch in der Schweiz zu implementieren. Ich möchte aber nicht nur jährlich das Feedback unserer Reseller aufnehmen, sondern permanent Rückmeldungen sammeln. Dazu gibt es Tools, die wir anwenden werden, denn ich glaube daran, dass das laufende Sammeln von Feedback entscheidend dabei ist, uns zu verbessern und zu entscheiden, worauf wir unseren Fokus im Sinne unserer Kunden legen müssen.
Wo sehen Sie denn das grösste Verbesserungspotenzial für Ingram Micro in der Schweiz?
Genau in dem Punkt, über den wir eben gesprochen haben: Ich fürchte, wir haben bislang zu wenig auf unsere Reseller gehört. Wir müssen näher an unsere Partner rücken, um ihre wahren Bedürfnisse zu verstehen, anstatt nur Boxen zu verschieben und Business des Umsatzes willen zu machen. Wie gesagt, ich glaube fest daran, dass wir Mehrwert in den Channel bringen müssen. Und obwohl ich noch zu wenig über den Schweizer Channel und auch die Schweizer Mentalität weiss, bin ich überzeugt, die Fähigkeit zu besitzen, unsere Leute und unsere Händler näher zusammenzubringen.

Gibt es Dinge, die Sie grundlegend anders machen werden als Ihr Vorgänger Benno Schlumpf?
Darüber habe ich ehrlich gesagt nicht nachgedacht. Ich möchte auch gar keine Vergleiche ziehen. Entscheidend ist für mich, dass ich eine Strategie verfolge und bereit bin, diese Strategie Schritt für Schritt zu adaptieren. Einen Plan zu haben ist eine Sache, diesen Plan in der realen Welt zu implementieren, ist in der Regel aber eine andere Geschichte. Ich habe über meinen Plan hinsichtlich des Value-Geschäfts gesprochen, anfügen möchte ich noch, dass wir dabei vermehrt selbst Technologie verwenden werden: Business Intelligence und Analytics zum Beispiel. Wir werden hierbei verstärkt die globale Expertise und Stärke von Ingram Micro als Konzern nutzen. Das wurde in der Schweiz bislang kaum gemacht, und dass werden wir per sofort ändern. Dasselbe gilt auch für unsere Technologie-­Zentren, über die ich bereits gesprochen habe. Auch von diesen können wir in der Schweiz profitieren. Genauso gibt es globale Ingram-Micro-Programme, die wir 2021 in die Schweiz bringen werden. Eines davon ist das Programm Trust X Alliance, das wir auf die Schweiz adaptieren wollen, ein anderes SMB Alliance, das auf den KMU-Channel abzielt und mehr Services und Support für KMU-Partner bietet.


In welchen Bereichen werden Ihre Partner die neue Ausrichtung zuerst spüren?
Sie sollen spüren, dass Ingram Micro näher an sie heranrückt. Wir wollen sie besser unterstützen, insbesondere in den aktuell schwierigen Zeiten, etwa durch Support in den Bereichen Marketing oder bei der Finanzierung. Und dann wird es wie gesagt neue Programme geben, die wir kommendes Jahr einführen. Und mittelfristig werden sie unseren Weg Richtung Advanced Solutions sicher spüren und hoffentlich mit uns mitgehen. (mw)


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