«Es hat, was es hat»
Quelle: zVg

«Es hat, was es hat»

Adrian Müller, Managing Director von HP Schweiz, und Andre Carvalho, Country Category Manager, ­Personal Systems, sprechen im Interview über die Verfügbarkeitssituation rund um PCs in der Schweiz und darüber, wie Händler mit der Situation umgehen sollten.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2021/12

     

«Swiss IT Reseller»: Auf die Gefahr hin, die Antwort bereits zu kennen: Mit welchen Fragen seitens der Händler wird HP Schweiz derzeit am häufigsten konfrontiert?
Adrian Müller:
Mit Fragen zur Verfügbarkeit – ganz klar. Die Händler wollen wissen, ob bestimmte Produkte verfügbar sind respektive wann wir wieder Waren erhalten. Und sie wollen wissen, bis wann sich die Lage wieder beruhigt.

Und welche Antwort können Sie ­geben?
Adrian Müller:
Eine pauschale Antwort gibt es nicht, denn die Situation ändert sich laufend. Insbesondere im PC-Bereich ist die Situation komplex. Bereits früher konnte es bei einzelnen Komponenten wie bestimmten Harddisks mal zu Engpässen kommen. Doch heute gestaltet sich die Verfügbarkeit bei praktisch allen Bauteilen bei allen Herstellern dynamisch. Das bedeutet für den Händler beziehungsweise den Endkunden, dass er sehr flexibel sein muss.
Andre Carvalho: Wichtig ist mir zu erwähnen, dass HP Schweiz diese Probleme adressiert und die Verfügbarkeit von Geräten, die bei unseren Distributoren auf Lager sind, in der Schweiz recht gut ist. Kunden, die eine gewisse Flexibilität an den Tag legen können, kommen also durchaus zu Hardware. Schwieriger wird es dann, wenn der Kunde eine ganz bestimmte Konfiguration braucht und keine Kompromisse eingehen kann.

Wo in der Kette liegen denn die ­Probleme? Kriegt HP keine Komponenten? Oder können die Komponenten nicht schnell genug zu Rechnern verarbeitet werden?
Adrian Müller:
Die Verarbeitung ist nicht das Problem, die Herausforderungen liegen bei der Verfügbarkeit der Komponenten einerseits und in der Logistik andererseits. Ein Problem, das eine Vielzahl an unterschiedlichsten Branchen trifft. Dabei geht es weniger um den Transport der fertigen Geräte zu uns – das haben wir im Griff. Es geht primär um die Zuliefererlogistik, denn unsere Werke können nur produzieren, wenn sie mit Material beliefert werden. Wir alle kennen die Bilder der Container-Berge in den grossen Häfen weltweit. Es ist nicht so, dass diese Container voll sind mit HP-Notebooks, aber es reicht, wenn sich in diesen Containern eine bestimmte Komponente befindet, ohne die wir keine Notebooks produzieren können. Das macht die ganze Situation so unabwägbar.

Hat die Verknappung zu einem Umdenken in der Beschaffungspolitik geführt? Hat man die Abhängigkeiten von den Zulieferern etwa durch eine breiter abgestützte Beschaffung entschärft?
Andre Carvalho
: Das ist leider nicht immer ganz einfach, denn gewisse Bauteile kann man nur bei einem Hersteller beziehen. Intel-Prozessoren gibt es nun mal nur von Intel und AMD-Prozessoren von AMD. Dasselbe bei Grafikkarten. Ansonsten hat HP schon immer eine Dual-Sourcing-Strategie verfolgt – also mindestens zwei Zulieferer gehabt. Doch wenn einerseits die Nachfrage so hoch ist wie jetzt und andererseits das Angebot knapp, dann nützen auch mehrere Bezugsquellen nur noch wenig, denn die Verfügbarkeit ist überall beschränkt. HP arbeitet wie alle anderen Hersteller auch daran, die Supply Chain resilienter zu machen – doch das braucht Zeit. Chip-Fabriken ausserhalb Asiens lassen sich nicht von heute auf morgen aus dem Boden stampfen.


Wie steht HP im Vergleich mit den Mitbewerbern da – kommt man als Nummer eins oder zwei am Markt eher noch zu Komponenten?
Andre Carvalho: Auch diese Frage ist schwierig pauschal zu beantworten. Wenn wir uns die Marktanteile anschauen, dann bleiben diese in etwa stabil, was darauf schliessen lässt, dass die Spiesse bei allen grossen Herstellern in etwa gleich lang sind. Für einen kleineren Assemblierer aber ist es sicher schwieriger, an Komponenten zu kommen.

Werden bestimmte Länder, Märkte oder Marktsegmente von HP bevorzugt behandelt?
Andre Carvalho:
Wir versuchen, alle Kundenanfragen so gut es geht zu erfüllen. Wenn die Nachfrage in einem bestimmten Bereich sehr hoch ist, versuchen wir den Nachschub so zu optimieren, dass wir diese Nachfrage befriedigen können. Bestimmte Märkte werden dabei aber nicht bevorzugt behandelt. Wenn, dann wird versucht, auf die Nachfrage bestimmter Marktsegmente zu reagieren.
Adrian Müller: Auch die Zahlen von IDC zeigen, dass die Verteilung der Produkte weitgehend gleichmässig erfolgt. Zu Beginn der Pandemie war die Situation eine andere, wie Andre gesagt hat. Gewisse Marktsegmente wie Education oder Government hatten ­Priorität und wurden bevorzugt beliefert, auch in der Schweiz. Heute ist die Situation in erster Linie so, dass wir das bauen, was wir bauen können. Wir sprechen hierbei von einem Match Set – was bedeutet, dass unsere Werke, wenn sie genügend Komponenten für eine Konfiguration haben, diese Konfiguration dann bauen. Das Ziel lautet aktuell, die Komponenten, die reinkommen, möglichst schnell zu verarbeiten. Deshalb kann man auch nicht sagen, dass wir unseren Fokus aktuell auf High-end-Geräte legen, wo die Marge vielleicht besser wäre, und Low-end-Geräte vernachlässigen – dem ist überhaupt nicht so. Darum wiederhole ich nochmals: Es ist nicht so, dass die Distribution keine HP-Geräte an Lager hat, aber die Auswahlmöglichkeit für den Kunden ist ein­geschränkter, als sie es zu «normalen» Zeiten vielleicht war. Es hat, was es hat.

Also hat der Handel keine Möglichkeit mehr abzuschätzen, welche Geräte er in absehbarer Zukunft bekommt.
Andre Carvalho:
So weit würde ich nicht gehen. Wir von HP Schweiz sind sehr gut mit der Zulieferkette vernetzt und sehen, welche Komponenten und Konfigurationen in absehbarer Zeit verfügbar sind. Entsprechend bestellen wir auch die Geräte, wobei wir versuchen, eine Balance zu finden zwischen den Anforderungen unserer Schweizer Kunden und der Verfügbarkeit von Konfigurationen. Gleichzeitig sind wir in enger Abstimmung mit den Kunden und Partnern zu den Verfügbarkeiten.


Wie geschieht denn die Priorisierung hier in der Schweiz? Welcher Distributor bekommt zuerst Waren geliefert? Der, der die grössten Volumen bestellt?
Adrian Müller:
Auch hier ist entscheidend, was verfügbar ist. Die Bestellungen der Distributionen erfolgen rollend und in Absprache mit uns. Wenn Andre und sein Team den Distributoren sagen, dass das Displaypanel mit 400 Nits besser verfügbar ist, dann werden die Bestellungen entsprechend getätigt. Zwischen HP Schweiz und der Distribution findet ein enges Zusammenspiel statt – es liegt uns fern, gewisse Distributoren zu bevorzugen. Das wollen wir nicht und das können wir auch nicht.

Also kommen Sie nie in die Situation, in der Sie entscheiden müssen, wer zuerst beliefert wird?
Andre Carvalho:
Nein, denn wie ­Adrian gesagt hat, die Bestellungen sind in der Regel schon lange im ­System, und wenn eine Lieferung mit einer Bestellung übereinstimmt, dann bekommt der Distributor die Ware.

Dann ist der Distributor am besten aufgestellt, der möglichst breit bestellt in der Hoffnung, irgendwas davon zu kriegen.
Adrian Müller:
Das ist natürlich so. Gleichzeitig geht er auch das grösste Risiko ein, wenn plötzlich all seine Bestellungen erfüllt werden, sich sein Lager füllt und er Gefahr läuft, ­Abschreiber in Kauf nehmen zu ­müssen.


Welchen Einfluss hat HP Schweiz darauf, welche Händler priorisiert beliefert werden?
Adrian Müller:
Grundsätzlich sind das Entscheidungen des Distributors. Natürlich sucht der Händler den Kontakt mit uns, doch wir können ihm ­lediglich sagen, welcher Distributor seine Bedürfnisse am ehesten erfüllen kann respektive wo er Konfigurationen findet, die den Anforderungen seines Kunden am ehesten entsprechen. Dann ist es an ihm, einerseits mit dem ­Kunden zu schauen, ob diese Konfi­gurationen akzeptabel sind, und mit dem Distributor die Verfügbarkeit zu klären.

Kann es für einen Händler Sinn machen, sich im angrenzenden Ausland umzuschauen, wenn er dringend bestimmte Konfigurationen braucht?
Andre Carvalho:
Die Situation in den umliegenden Ländern ist nicht anders als hier in der Schweiz. Kommt hinzu, dass man sich gerade im PC-Geschäft damit nur Probleme aufhalst – man denke nur an Tastaturlayouts und ­Lokalisierungen.
Kann es für einen Händler dafür sinnvoll sein, sich abseits der offiziellen

Distributionskanäle umzuschauen – beispielsweise zu versuchen, bei einem Etailer wie Digitec oder Brack.ch einzukaufen?
Adrian Müller:
Natürlich, das passiert auch. Denn ein Händler, der Waren braucht, klappert sämtliche Kanäle ab. Und wenn ein Etailer Waren an Lager genommen hat, die ein Distributor nicht bestellt und abgerufen hat, dann kommt es durchaus vor, dass der Etailer die einzig mögliche Bezugsquelle für einen Händler darstellt.


Wie gross schätzen Sie die Gefahr ein, dass Distributoren und Händler auf andere Hersteller ausweichen, weil HP nicht liefern kann?
Adrian Müller:
Auch das passiert – allerdings in beide Richtungen. Die ganze Branche ist betroffen. In der Distribution ist die Gefahr geringer, denn in der Regel sprechen wir hier von langjährigen Beziehungen. Doch wenn der Händler respektive der Endkunde dringend bestimmte Produkte braucht, die der eine Hersteller liefern kann und der andere nicht, dann kauft er dort, wo die Verfügbarkeit gegeben ist.

Kann sich das kurzfristig auch in Marktanteilen widerspiegeln? Wenn HP beispielsweise keine Tintenstrahler liefern kann, gehen die Marktanteile dann runter?
Andre Carvalho:
Kurzfristig kann das sichtbar werden, doch sobald die Verfügbarkeit wieder gegeben ist, pendeln sich die Marktanteile wieder ein. Zudem hebt sich die Pendelbewegung gegenseitig wieder auf. Wichtig zu erwähnen ist mir, dass es uns ein Anliegen ist, dem Kunden und den Distributoren so weit wie möglich Planbarkeit zu liefern, indem wir basierend auf der aktuellen Liefersituation Prognosen machen, in welchem Monat oder in welcher Woche welche Produkte und Konfigurationen verfügbar sind, so dass die Bestellungen entsprechend gemacht werden können. Wir haben in den letzten 18 Monaten gelernt, mit der Situation zu leben und sie bestmöglich zu meistern. Und wir wissen, wie wichtig Planbarkeit für unsere Kunden ist.
Adrian Müller: Hier profitieren wir auch von den eingespielten Prozessen mit unseren langjährigen Partnern. Das Team von Andre ist eng mit der Distribution und eng mit unseren Channel-­Teams vernetzt, die wiederum die Händler betreuen. In diesem Netzwerk findet ein permanenter Austausch dazu statt, was verfügbar ist und was nicht.


Wagen Sie eine Prognose dazu, wie lange die Herausforderungen rund um die Verfügbarkeit anhalten ­werden?
Adrian Müller:
Ich kann hier lediglich die globale Sicht wiedergeben, und die sieht so aus, dass wir als HP damit rechnen, dass die Situation bis weit ins Jahr 2022 anhält. Darum lautet unsere Botschaft an unsere Kunden auch, auch für 2022 so frühzeitig wie möglich zu planen und zu bestellen – idealerweise jetzt.

Welche Auswirkungen hatten die Lieferengpässe bis anhin auf die Preise?
Adrian Müller:
Die Preise sind gestiegen, auch wir mussten Preisanpassungen vornehmen – einerseits aufgrund gestiegener Komponentenpreise, aber auch, weil die Logistik sich massiv verteuert hat. Ist ein Gut knapp, wird es teurer, so funktioniert nun mal der Markt.

Also hat man den Zeitpunkt auch ­genutzt, die Marge etwas zu opti­mieren?
Adrian Müller:
Letztlich versucht jedes Unternehmen, seine Marge zu optimieren. Gleichzeitig sind wir nach wie vor nicht allein auf dem Markt, müssen uns gegen Mitbewerber behaupten und können unsere Preise nicht nach Belieben erhöhen. Doch wenn sich der ganze Markt bewegt, bewegen wir uns mit.

Welche Preisentwicklung erwarten Sie für die kommenden Monate?
Andre Carvalho:
Eine ganz schwierige Frage angesichts der Dynamik der Situation. Wir setzen aber in Zusammenarbeit mit unseren Zulieferern alles daran, die Preise so stabil wie möglich zu halten.

Haben Sie das Gefühl, dass HP Schweiz angesichts der Lage eher reaktiv anstatt proaktiv unterwegs ist?
Adrian Müller:
Das würde ich so nicht sagen. Natürlich sind wir immer wieder daran, Brände zu löschen, und führen täglich Diskussionen dazu, warum wir nicht liefern können und wann Waren kommen sollen. Es ist nicht die Zeit für hochtrabende Pläne. Gleichzeitig versuchen wir, das eine zu tun und das andere nicht zu lassen. Wir treffen sehr viele Kunden und Partner zu zukunftsgerichteten Themen und stellen neue Konzepte vor, sofern die Ressourcen dies zulassen. Oberste Priorität hat aber, den Partnern bei den aktuellen Herausforderungen zu helfen.

Sie haben es eingangs gesagt: Die Engpässe rühren ja nicht einzig daher, dass zu wenig produziert oder transportiert wird, sondern auch, dass die Nachfrage so hoch ist. Wie erklären Sie sich das, und welche Erwartungen haben Sie bezüglich Nachfrage in den kommenden Monaten?
Adrian Müller:
Die Nachfrage wird sehr hoch bleiben. Unser Aktienkurs ist nach Bekanntgabe der Quartalszahlen Ende November ja nicht allein deshalb gestiegen, weil wir deutlich mehr verkauft haben, sondern aufgrund des Ausblicks. Die installierte Basis nimmt weiter zu.

Andre Carvalho: Man hat in den letzten 18 Monaten mehrere Phasen gesehen. In einer ersten Phase gab es für kurze Zeit allgemein einen Stopp. Darauf folgte die Phase, in der die Consumer-Nachfrage nach oben schnellte, weil die ganze Welt plötzlich von zuhause arbeitete und lernte. Darauf folgte eine Phase der Stabilisierung, und jetzt kommt die Phase, in der Unternehmen die Hybrid-Work-Konzepte adaptieren, wo auch neue Lösungen und Konzepte verlangt sind. Und diese Phase wird uns noch einige Zeit begleiten.


Welche Auswirkungen hat das auf die Innovationen im PC-Geschäft?
Andre Carvalho:
Wir als Hersteller reagieren auf die neuen Gegebenheiten. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In Vergangenheit war bezüglich Notebooks die Akku-Laufzeit das entscheidende ­Kriterium. Jetzt, da die Mitarbeitenden deutlich weniger unterwegs und die Geräte permanent angesteckt sind, rückt dieses Kriterium in den Hintergrund. Darauf haben wir mit neuen Technologien rund um die Akkus und das Akku-Management reagiert, um deren Leistungsfähigkeit sicherzustellen. Auch den Boom rund um Collaboration haben wir in der Produktentwicklung aufgegriffen und bessere Lautsprecher, Mikrophone und Kameras verbaut. Die Innovation in den letzten zwölf Monaten war gross und wird im Zuge der ­Hybrid-Workplace-Entwicklung auch weiterhin gross sein. (mw)


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