Channel Insight: Wo die guten Partys sind oder, wie wir in Zukunft Geld verdienen

von Roland Brack

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2011/12

     

Zu jeder guten Party gehört ein feiner Kuchen, nicht wahr? So dass alle Teilnehmer versuchen, sich ein möglichst grosses Stück abzuschneiden. Und alle sind zufrieden – solange der Kuchen genug gross ist. Das gilt auch für Märkte. Doch die wachsen nicht unendlich. Die Protestaktionen der «Occupy»-Bewegung und Staatshaushalte, über denen der Pleitegeier kreist, deute ich als Zeichen einer Wirtschaftsordnung, die manche als «Turbokapitalismus» bezeichnen. Am Schluss profitieren nur Wenige. Mittlerweile erkennt auch der Schweizer IT-/CE-Handel: Die Party geht langsam zu Ende. Die Erosion der Margen durch höhere Absatzzahlen zu kompensieren, funktioniert meiner Ansicht nach nicht mehr. Ganze Produktsegmente brechen ein, es geht ans Existenzielle. Die globale Partygemeinde zieht weiter: Die wirtschaftlichen Machtverhältnisse verlagern sich in Richtung Osten. Die asiatischen Märkte sind für Lieferanten viel wichtiger als die Märkte in Europa – von der Schweiz reden wir gar nicht erst.

Produktion kommt nur langsam in Gang

Und wenn der Nachschub knapp wird? Dann ver-fliegt die Partystimmung sofort. Die verheerende Flutkatastrophe in Thailand, die hunderte Tote gefordert und Hunderttausende obdachlos gemacht hat, hat auch die Festplattenindustrie hart getroffen. Hersteller wie Western Digital und Zulieferer wichtiger Bauteile wie Nidec haben in den örtlichen Werken einen grossen Teil der weltweit nachgefragten Festplattenmengen produziert. Nur langsam kommt die Produktion wieder in Gang. Die Preise auf dem internationalen Beschaffungsmarkt sind infolge des Festplattenmangels massiv gestiegen. Sämtliche Geräte mit eingebauten Festplatten, also externe Laufwerke, NAS und Netzwerk-Medienplayer, aber auch PCs und Notebooks werden teurer. In Europa dauert es bis Mitte nächsten Jahres, bis sich die Situation normalisiert – wir rechnen mit einem beträchtlichen Umsatzverlust. Die Musik spielt woanders: Der aufstrebende Markt China wird zuerst mit Ware bedient. Lange anstehen muss, wer zum erlauchten Kreis der Partygänger gehören will.

Geschäftsmodell überdenken

Doch genug davon. Gejammer und Wehklagen hören wir genug – einen Channel-Anlass zu besuchen reicht. Es gibt auch gute Neuigkeiten: Preisunterschiede zwischen der Schweiz und dem Ausland fallen in unserer globalisierten Branche weniger ins Gewicht als in anderen Branchen. Manches ist bei uns zu denselben Preisen oder günstiger zu haben als ennet der Grenze. Trotzdem ist jetzt ein guter Moment, um unsere Geschäftsmodelle zu überdenken. Und zu fragen: Womit verdienen wir eigentlich in Zukunft Geld? Seien es Installationen, Reparaturen oder Beratung: Unser Dienstleistungsangebot sollten wir nicht mit der Marge subventionieren. Momentan sehe ich zwei Wege, wie wir uns engagieren können, damit die Party zum Knaller wird. Der erste Weg: Den Front-of-Line-Pass ergattern. Ohne anzustehen am Türsteher vorbei. Will heissen: Neue Entwicklungen frühzeitig aufgreifen. Das klingt einfacher, als es ist: Wer vorne mitmischen möchte, muss einen Riecher für aufkeimende Trends entwickeln, Chancen erkennen und ergreifen. Und nicht zuletzt den Mut aufbringen, sich zu verändern. Ein Beispiel: Anstatt zu versuchen, möglichst viele WLAN-Router, Fernseher, Alarmanlagen oder Nachttischlampen zu verkaufen, könnte ein Händler sich zum Lösungsanbieter weiterentwickeln. Ein solcher würde seinen Kunden schmackhaft machen, wie man Geräte herstellerübergreifend vernetzt, um beispielsweise per SMS das Licht anzuschalten, die Heizung aufzudrehen und dezente Musik abzuspielen, bevor man nach Hause kommt.
Der zweite Weg: Eine eigene, exklusive Partyecke einrichten. Sprich: sich sein eigenes Spezialgebiet schaffen, eine Nische finden und Sonderthemen besetzen. Man muss keinen Online-Shop mit zehntausenden Produkten haben. Man könnte sich etwa auf «Videokonferenzen via Mobilfunk» spezialisieren. Das bedeutet, um den Bogen zum Anfang dieses Textes zu schlagen, «occupy your area of expertise». Kaum jemand wird von sich behaupten, Fragen zu IP-Telefonanlagen, Mac-Software, PC-Lüfterreglern und Staubsauger-Robotern im selben Umfang beantworten zu können. Wohl aber gibt es Produkte, die den Händler besonders interessieren, mit denen er sich vielleicht auch privat vertieft befasst oder Produkte, deren Benutzung einer Schulung bedarf. Aber wie werden aus Fachleuten Experten? Kommt Zeit, kommt Rat: Experten sind die, die man fragt. Und zwar immer wieder. Medienarbeit ist nicht zu vernachlässigen. Journalisten sichern ihre Berichte gerne mithilfe eines Experten-Statements ab. Mit viel Know-how und etwas Glück können sich Fachleute auf diese Weise einen Reputationsschub verschaffen. Mit derartiger Gratiswerbung geht die Party dann richtig los. Es gibt nichts, das schneller schwindet als der Vorsprung. Es genügt schon, ein bisschen abzuwarten. Wir von der Competec-Gruppe bauen in Willisau eine eigentliche Paketfabrik, weil wir uns für die Zukunft rüsten müssen. Egal deshalb, welchen Weg wir – und das gilt für Menschen, Unternehmen und Staaten gleichermassen – einschlagen: Packen wir's jetzt an!

Roland Brack

Roland Brack, Geschäftsführer, Inhaber und VR-Präsident der Competec-Gruppe, hat während seiner Berufslehre begonnen, PC-Komponenten sowie Elektronik aus Taiwan zu importieren und an Bekannte zu verkaufen. Im Elektrotechnik-Studium hat er 1994 seine erste Firma Brack Consulting gegründet. Aus dem ehemaligen Start-up-Unternehmen hat sich die rund 400 Mitarbeitende umfassende Competec-Gruppe entwickelt, zu der der Distributor Alltron und der Händler Brack Electronics gehören.


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