Andreas Knöpfli 100 Tage bei Sun Schweiz

Seitdem Andreas Knöpfli an der Spitze von Sun Schweiz wirkt, blieb nicht viel beim Alten. Ein Gespräch über Reorganisation, Stellenabbau und den Sun-Channel.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2003/01

     

IT Reseller: Seit Ihrem Antritt bei Sun haben Sie praktisch das gesamte mittlere Kader ausgewechselt, so scheint es uns zumindest. Haben Sie eine dermassen chaotische Situation angetroffen oder war das Kader so schlecht?
Andreas Knöpfli: Wir haben natürlich nicht das ganze mittlere Kader ausgewechselt. (Zeigt ein Organigramm, in dem die Wechsel eingezeichnet sind). Es ist von vielleicht 20% des Kaders die Rede. Aber es stimmt, diejenigen, die gewechselt haben, waren alles sehr visible, sprich bekannte Personen.
Warum war das so? Sun Schweiz war in den letzten Monaten eher in einem «Caretaker-Modus», das heisst es gab kein eigentliches operatives Management mehr. Man versuchte, die Firma am Laufen zu halten und einen guten Job für die Kunden zu machen. Sicher wurde dabei aber strategisch zu wenig gemacht. Das führte dazu, dass es Überlappungen und unklare Rollenmodelle gab. Unsere Organisation war stark um Personen herum strukturiert und berücksichtigte zu wenig die Optik der Kunden.

Wie sind Sie vorgegangen und wie sieht die Organisation nun konkret aus?

Zuerst habe ich unsere Kunden analysiert: Wer sind unsere Kunden, aus welchem Industriesegment stammen sie? Was wollen die Kunden von uns, warum arbeiten sie mit uns und warum arbeiten gewisse Kunden nicht mit uns? Aus dieser Analyse heraus habe ich ein Organisationsmodell entwickelt.
Die Nähe zum Kunden ist beim Verkauf von komplexen IT-Lösungen zentral. Eine Aufteilung rein nach Kundengrösse macht keinen Sinn – ich will die Nähe zum Kunden. Deshalb haben wir die regionale Struktur aufgestellt. Wir hatten schon immer eine regionale Struktur für die Romandie. Nun haben wir diese verstärkt. Es gibt die Region Bern mit Fokus auf E-Government und Telekommunikation und «East», also Zürich und Basel, mit Fokus auf Financial Services und weitere Key-Accounts beispielsweise im Bereich Life Sciences und Chemie.
Ein weiterer Punkt ist, dass Sun Schweiz in der Vergangenenheit von den bestehenden Kunden gelebt hat. Man hat nicht sehr fokussiert neue Kunden akquiriert, vor allem nicht im Bereich von mittelgrossen Firmen. Diese Kunden sollen nun in enger Zusammenarbeit mit dem Channel von diesem Team angegangen werden.

Das scheinen mir noch nicht sehr revolutionäre Veränderungen zu sein.

Es ergaben sich dann logischerweise Veränderungen in der Organisation. Dazu kamen Doppelspurigkeiten im Marketing und in anderen Bereichen. Dort haben wir die Organisation vereinfacht. Wann immer ich Aufgaben zusammenlegen und eine Person für sie verantwortlich machen kann, führe ich es so durch.
Mit mehr Verantwortlichen hat man nur mehr Meetings und mehr Meinungen aber am Schluss setzen sich dann nicht die guten Ideen, sondern die Schnittmenge aller Ideen durch. Das kommt nicht gut.
Wir sind jetzt, vier Monate nach der Reorganisation, stärker aufgestellt. Unsere Leute wissen, wo wir hin wollen und wohin nicht. Zuständigkeiten sind klar definiert und wir wissen genau, wie wir mit dem Channel zusammenarbeiten wollen. Auch die interne Zusammenarbeit ist verbessert. Wir haben heute einen höheren Wirkungsgrad als noch vor vier Monaten.
Die Mitarbeiterzufriedenheit und auch die Wirkung auf den Markt sind heute deutlich besser als noch vor ein paar Monaten. Ich will aber niemandem einen Vorwurf machen. Wenn man über Monate hinweg kein Management hat, ergeben sich immer Eigendynamiken.

Warum sind Sie so rasch vorgegangen? Sehen Sie keine Gefahr von «Hüftschüssen»?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, strukturelle Probleme anzupacken. Wenn man eine «Baustelle» antrifft, wie IT Reseller schrieb, kann man entweder langsam renovieren oder versuchen, schnell ein neues Fundament zu bauen, worauf man nicht nur kleine Häuser, sondern Wolkenkratzer hinstellen kann.
Ein weiterer Punkt ist die Voraussagbarkeit. Ich will, dass wir für unsere Partner – natürlich nicht für die Konkurrenz – berechenbar sind. Bei einer Firma mit 300 Leuten und etwa 100 freien Mitarbeitenden sowie einem Netzwerk von Partnern mit vielleicht 800 Leuten muss man einfach berechenbar sein. Ich glaube, in diesem Bereich haben wir grosse Fortschritte gemacht.

Wieviel Stellen gingen unter dem Strich verloren?

Weltweit hat Sun etwa 11% der Stellen abgebaut – auch in der Schweiz. Als ich bei Sun begann, hatte ich schon Signale, dass wir ein bisschen abbauen müssen. Das haben wir durchgezogen. Die Schweiz war das erste Land in Europa, das den Abbau realisiert hat.
Für mich ist sehr klar, dass Stellenabbau eine emotionale Grenzerfahrung für alle Beteiligten ist. Oft machen sich die besten Leute am meisten Gedanken. Wir haben unsere Organisation angeschaut und wollten, sobald klar war, wen es betrifft, sehr schnell reagieren und die Kündigungen in einer fairen Art durchziehen. Wir haben die Leute mit Outplacement unterstützt und konnten einen relativ grossen Teil der Betroffenen bei Partnern und Kunden unterbringen. So haben wir das Know-how der Leute im Sun-Ökosystem halten können.
Sie haben die Presseberichte vor Ihrem Beginn bei Sun sicher studiert. Die Geschichten waren relativ happig, man tönte einen Bestechungsskandal an... Was haben Sie unternommen?
Natürlich habe ich diese Berichte gekannt. Ich kann heute mit Sicherheit sagen, dass es keine rechtlich relevanten Fehlhandlungen von Sun-Mitarbeitern gab. Gerade im Partnerbereich muss man immer im weissen Bereich bleiben. Ich habe klare Regeln im Umgang mit Partnern erlassen. Zum Beispiel dürfen sich Sun-Salesleute nicht zum Essen einladen lassen. Wenn ein Partner immer wieder Sun-Leute einlädt, können andere Sun-Partner dies schnell als Bevorzugung interpretieren. Solche Regeln hatten wir übrigens bereits bei Compaq. Freundschaften dürfen sich nicht zu einem «Filz» entwickeln.
Welche Zielvorgaben haben Sie für 2003? Wie stark stehen Sie unter Druck durch die US-Zentrale?
Der IT-Markt in der Schweiz ist in einer schwierigen Phase. 2002 war das schlechteste Jahr, seit es den ICT-Markt gibt. Ich glaube nicht an eine schnelle Verbesserung. Die Irak-Krise wirkt auch nicht gerade investitionsfördernd. Trotzdem gibt es positive Signale und grössere Projekte tauchen wieder auf.
Rein quantitativ wollen wir das Marktwachstum um den Faktor zwei bis drei übertreffen. Wir wollen Marktanteile gewinnen. Wichtiger sind für mich aber die qualitativen Ziele. Wir wollen die beste Kundenzufriedenheit. Ein Hersteller in unserem Umfeld sollte immer etwa 60% der Umsätze mit der installierten Basis erreichen. Dafür sind die Kundenzufriedenheit und vorher noch die Mitarbeiterzufriedenheit extrem wichtig.
Ausserdem wollen wir zusammen mit dem Channel, zum Beispiel Software-Herstellern, im Midmarket expandieren. Ein weiteres Ziel für dieses Jahr ist, ein optimiertes Channel-Modell aufzubauen.
Stichwort Channel: Sind nun die angekündigte Reduktion des Sun-Channels sowie die Rezertifizierungen abgeschlossen?
Die Rezertifizierungen sind abgeschlossen, aber der Prozess als Ganzes nicht. Einige Partner sind nicht mehr direkte Sun-Partner, vor allem Firmen, die eine eigene Lösung vertreiben. Da macht es mehr Sinn, sie mit einem guten Partner zusammenzubringen.
Wir werden nun den Channel sehr genau anschauen. Wir haben wenige, grosse Partner und viele kleine, die nur wenige Deals pro Jahr abschliessen. Meine Kernaussage ist: Als Sun sind wir im komplexen High-end- und Midrange-Computing zuhause. Entsprechend muss ein Partner auf komplexe Fragen der Kunden antworten können. Dafür braucht es die Leute, braucht es Investitionen. Das generiert Kosten, die durch entsprechende Umsätze gedeckt werden.
Mein Ziel ist nicht, möglichst viele Partner, die sich gegenseitig auf den Füssen herumstehen, zu haben. Ich habe lieber weniger Partner, die sich aber sehr engagieren und deren Rollen klar definiert sind. Dies kann eine geografische Abdeckung sein, wie zum Beispiel MTF im Tessin, wo wir selbst nicht vertreten sind. Oder es kann ein Partner wie A&F sein, der einen Lösungsbereich abdeckt, auf den er spezialisiert ist.
Im Schweizer Markt machen Genf, Basel, Bern und Zürich etwa 85% der Umsätze im Schweizer IT-Business aus. In diesen vier dichten Regionen will ich mindestens je zwei kompetente Partner. Das sind dann etwa acht Partner. Dazu kommen fokussierte Partner, beispielsweise im CRM-Markt oder im Printbereich wie eben A&F. Ich gehe also davon aus, dass wir in Zukunft etwa 20 bis 25 Partner in der Schweiz haben werden.

Das heisst, Sie werden einigen Partnern «die Freundschaft» aufkündigen müssen?

Wir wollen niemandem sagen, ‘mit dir wollen wir nichts mehr zu tun haben’, sondern wir wollen sie mit anderen Partnern zusammenbringen und eine Win-win-Situation schaffen.
Wir haben sehr viele Freunde im Schweizer Markt, beispielsweise in der Software-Gemeinde. Es liegt an uns als Hersteller, diese Leute an uns zu binden, ob sie jetzt Umsatz mit uns machen oder nicht. Darum werden wir uns mit grosser Intensität kümmern.
Das scheint mir ein Sun-typischer Spagat zu sein. Gemessen werden Sie ja daran, wieviel «Blech» Sie verkaufen und nicht wieviele «Fans» Sie unter den Software-Entwicklern haben?
Wir sagen: es braucht ein Ökosystem. Nur mit einem Server mit Solaris und Sun ONE, hat der Kunde noch nichts. Es braucht die Lösungen dazu. Java-Entwickler sind heute die weltweit grösste Entwicklergemeinde überhaupt. Wir sind kein Assemblierer, sondern wir entwickeln «intellectual property» auf der Ebene der Prozessoren, der Systeme aber auch der Software. Als Firma müssen wir unsere Fähigkeiten am Markt kapitalisieren. Wir müssen weg vom Boxmover-Image hin zum Player, der das Ökosystem managed. In der Schweiz sind eine Adnovum oder eine Ergon absolute Keyplayer für uns.
Wir haben den Eindruck, dass sich einige Sun-Partner nach Alternativen umschauen, siehe LC Systems, Tradeware und Distrelec, aber auch andere...
LC Systems hat die LC openX gegründet, die sich auf Lösungen im Unix-Bereich fokussiert. Da spielen wir auch in Zukunft eine Rolle. Im Kerngeschäft haben wir eine sehr loyale Beziehung zu LC Systems. Tradeware ist weiterhin ein Sun-Only-Partner und Distrelec ist seit letztem Frühling kein Partner mehr von Sun.
Sun aber auch andere Hersteller haben 1998 bis 2000 für die Partner riesiges Wachstum generiert. Seit etwa 18 Monaten ist der Markt in einer schwierigen Lage, was wiederum Einfluss auf die Partner hat. Klar, dass die Partner nach den richtigen Wegen im Markt suchen. Ich habe nun schon mehrere, ähnliche Zyklen erlebt. In den letzten 15 Jahren hatten die fokussierten Partner Erfolg. Schauen Sie Delec an, die immer sehr auf Compaq und Abacus fokussiert war.
Ebenfalls MTF mit einem limitierten Set von Plattformen. Es gibt viele Firmen, die ihre Zukunft in der Unterstützung einer Vielzahl von Herstellern sahen. Diese gibt es heute alle nicht mehr. Viele verschiedene Produkte sind ein schlechtes Rezept für Reseller.
Ich glaube, dass fokussierte Systemintegratoren eine Zukunft haben, die eine virtuelle Ergänzung zum Hersteller bilden. Sobald ein Händler mit verschiedenen Herstellern arbeitetet, wird er – bewusst oder unbewusst, weniger ins Ökosystem des Herstellers eingebunden. Ein Account-Manager sieht bei einem Multi-Vendor-Reseller immer ein gewisses Risiko und setzt sich dann eben ein bisschen weniger ein.
Single-Vendor-Reseller fragen sich allerdings oft, ob sie sich nicht einem Hersteller und seinen oft wechselnden Strategien ausliefern.
Bei Sun wird der Channel auf höchster Ebene als sehr wichtig eingeschätzt. Scott McNealy sagte in einem Interview mit Computer Reseller News USA, er würde, könnte er in der Zeit zurückgehen, eher dem Channel noch mehr Gewicht einräumen.
Ein indirektes Modell ist immer besser als ein direktes. Das indirekte Modell wird ein Problem, wenn man zuviel Ware im Channel hat oder wenn man überdistribuiert ist, so dass sich mehrere Partner um den gleichen Deal streiten und die Kunden verunsichert werden. Aber ein gut segmentierter indirekter Kanal als virtuelle Ergänzung zum Hersteller ist besser, als eine rein direkte Verkaufsorganisation. (Interview: hc)


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