Day und Obtree mit Heimvorteil

Wie sehen Webarchitekten den Markt für Content Management Systeme? Andreas Göldi (Bild), Partner bei Namics, zu Day und Obtree, Open-Source-Software, Microsoft und der Problematik der CMS-Integration in die Unternehmens-IT.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2002/08

     

IT Reseller: Ist der Service und Support von ausländischen CMS-Anbietern in der Schweiz genügend?
Andreas Göldi: Nein, in vielen Fällen haben die ausländischen Anbieter nicht einmal eine Verkaufsniederlassung in der Schweiz, ganz zu schweigen von technischem Supportpersonal oder gar Entwicklern. Typischerweise müssen Supportleute eigens eingeflogen werden, was in vielen Projektsituationen weder zeit- noch budgetmässig sinnvoll ist.
Wegen der geringen Bedeutung des Schweizer Marktes im internationalen Vergleich werden dann auch noch eher mittelmässige Berater auf den Plan gebracht. Daraus ergibt sich ein grosser Vorteil für die zwei grossen nationalen Anbieter.
ITR: Werden sehr teure Lösungen wie etwa Broadvision in der Zukunft noch dieselben Chancen haben wie in der Vergangenheit?
AG: Nein, die Erwartungen der Kunden werden von diesen Systemen in den meisten Fällen enttäuscht. Umfassende Suiten à la Broadvision waren ausgerichtet auf die hektische Zeit der ersten grossen E-Business-Projekte, wo die Unternehmen in sehr kurzer Zeit alle möglichen Funktionalitäten ausrollen. Saubere Architekturen, Pflegbarkeit und Usability der Produkte waren den engen Zeitplänen untergeordnet. Auch Schlagworte wie One-to-One-Marketing, die von diesen Herstellern mitgeprägt wurden, hatten da noch ihre Wirkung.
Heute aber, wo die meisten E-Business-Initiativen sehr viel pragmatischer sind und der Zeitdruck nicht mehr so hoch ist, schaut man sich in Ruhe auch preiswertere Lösungen an und stellt fest, dass diese sogar oft den teuren technisch überlegen sind.
ITR: Welche Bedeutung haben kleinere, billigere CMS-Systeme heute und in der Zukunft?
AG: In der heutigen Zeit der knappen IT-Budgets und realistischer gewordenen Internet-Pläne gewinnen diese Systeme an Bedeutung. Viele Kunden haben inzwischen erkannt, dass auch billigere Produkte mit einem geringeren Leistungsumfang oft gut genug sind.
Der Markt segmentiert sich inzwischen in einfache CMS-Lösungen im Preisbereich um 20 bis 30’000 Franken, in einen Mid-Range-Bereich zwischen etwa 70’000 und 150’000 und einen High-end-Bereich über 250’000 Franken Lizenzkosten. Diese Abstufungen haben auch in Zukunft ihre Berechtigung, denn die Bedürfnisse der Kunden unterscheiden sich nach wie vor sehr stark.
ITR: Werden sich Open Source CMS durchsetzen können? Welchen geben Sie die besten Chancen?
AG: Im universitären und technischen Bereich, z.B. auch bei ISPs, spielen diese Produkte zunehmend eine wichtige Rolle. Firmenkunden legen hingegen meistens Wert auf eine «klassische» Supportinfrastruktur und auf klare Haftungsverhältnisse, weshalb für die meisten Anwendungen ins Unternehmen weiterhin die kommerziellen Produkte dominieren werden.
Klare Favoriten bei den Open-Source-Produkten sind im Moment noch schwer absehbar, da die Ausrichtungen sich zum Teil sehr stark unterscheiden. Zope und Open CMS sind sicher international am bekanntesten. In der Schweiz ist Wyona der Platzhirsch.
ITR: Welche Konsequenzen hat der Eintritt von Microsoft in den CMS-Markt bis anhin, welche in der Zukunft? Welche Anbieter werden dadurch am ehesten verdrängt?
AG: Bisher hatte der Microsoft Content Management Server am Markt noch wenig Wirkung. Man merkt dem Produkt stark an, dass es von einer erst kürzlich integrierten Drittfirma stammt und noch nicht konsequent genug mit dem Rest der Microsoft-Palette zusammenspielt. Wie immer bei Microsoft, dürfte sich das in der nächsten Version aber schon sehr stark verbessern. Aber dafür wird Microsoft noch viel Arbeit investieren müssen.
Im Moment ist das Produkt klar im mittleren Preissegment positioniert. In diesem Bereich dürfte es auch einigen Herstellern das Leben in der Zukunft schwerer machen. Dass Day und Obtree versuchen, aus diesem Segment herauszukommen, hat sicher auch mit der drohenden Konkurrenz von Microsoft zu tun. Im High-End-Bereich dürfte das Microsoft-Produkt hingegen weiterhin wenig Auswirkung haben, da dort Plattformunabhänigkeit wichtig ist, und für den Low-End-Sektor ist es im Moment klar zu komplex und teuer.
ITR: Worin besteht die grösste Herausforderung bei CMS-Projekten, bei der Integration von CMS in bestehende Systeme in der Praxis?
AG: Oft werden die organisatorischen Auswirkungen einer CMS-Einführung völlig unterschätzt. Nur weil ein Produkt einfach bedienbar ist und komplexe Workflows abbilden kann, füllt sich die Website nicht von alleine. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen geschult und motiviert werden, mit dem Tool auch wirklich hochwertigen Inhalt zu erstellen.
Ebenso wichtig ist es, die zugrundeliegende Informationsarchitektur und die Navigationslogik aufgrund des Zielpublikums sauber aufzubauen und technisch robust zu implementieren. Gerade weil moderne CMS so einfach bedienbar sind, neigt man am Anfang zum Experimentieren und Improvisieren, und das rächt sich, sobald die Website oder das Intranet wächst.
Die Integration in bestehende Systeme ist immer noch eine sehr komplexe Angelegenheit, auch wenn die Software-Produkte hier viele Möglichkeiten hinzugewonnen haben. Herausforderungen wie durchgehende Prozesse, Datenqualität, Fehlerbehandlung, Performance und Transaktionalität bestehen nach wie vor. Die rein technische Ankopplung an andere Systeme ist meistens das kleinste Problem. (Interview: mh)


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