Von KMU, Konkurrenz und Konsolidierung

Gegenüber IT Reseller erörtern Daniel Rüthemann, Thomas Meyer und Eros Fregonas die Herausforderungen im nationalen Geschäftmit IT-Dienstleistungen. Lösungen für kleine Kunden sind gefragt und Konkurrenten aus Übersee drängen auf die internationalen Märkte.Die Chefs von IBM Schweiz, Accenture Schweiz und Swisscom IT Services glauben, dass die Marktkonsolidierung weitergeht.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2008/16

     

IT Reseller: In diesem Jahr wird IT Reseller 10 Jahre alt, eine lange Zeit in der IT-Branche. Wie haben sich ­Ihre Firmen in der Vergangenheit entwickelt und wie präsentieren sie sich heute?
Thomas Meyer (Accenture): Accenture gibt es schon seit 25 Jahren und hat, wie Sie vielleicht wissen, eine bewegte Historie. Ich selber bin seit 21 Jahren dabei. Das Unternehmen ist am ersten Januar 2001 aus der 1998 gegründeten Unternehmensberatung Andersen Consulting hervorgegangen. Andersen Consulting wiederum war ein Schwesterunternehmen der damaligen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Arthur Andersen. Damals waren wir hauptsächlich im Beratungsgeschäft tätig. Heute kommt unser Umsatz, der im letzten Geschäftsjahr knapp 20 Milliarden Dollar betrug, zu 10 Prozent aus dem Management Consulting, 50 Prozent aus der Systemintegrations-Sparte und zu 40 Prozent aus dem Outsourcing-Geschäft.
Heute beschäftigt Accenture weltweit rund 190'000 Mitarbeitende, in der Schweiz haben wir 550 Festangestellte. Je nach Bedarf und Auftragslage arbeiten bis zu 1500 Personen für den Schweizer Markt.

Daniel Rüthemann (IBM): IBM ist noch ein wenig älter. Angefangen hat alles vor 100 Jahren und seit 80 Jahren sind wir auch in der Schweiz vertreten. Ins eigentliche Computer-Geschäft eingestiegen sind wir aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg, im Jahr 1955. Das hat unser Geschäft bis Ende der 80er Jahre geprägt. Bis dahin war IBM sehr erfolgreich, eine Technologiefirma, die sehr stolz war auf ihre Forschungsabteilung – was wir auch heute noch sind, immerhin haben wir mehrere Nobelpreise gewonnen, zwei davon durch unser Forschungslabor in der Schweiz. Aber wir haben die Kunden aus den Augen verloren, waren zu technologieverliebt. Das hat uns, wie bekannt ist, fast die Existenz gekostet.
IBM hat sich dann stark gewandelt. Wir haben im Hardwarebereich Geschäftsteile abgestossen und in höherwertige Lösungen wie Software und Dienstleistungen investiert. Allein in den letzen fünf Jahren kaufte IBM weltweit 60 Softwarefirmen im Wert von rund 20 Milliarden Dollar. Heute stehen wir wieder sehr gut da. Anfang der 90er Jahre setzte unser Dienstleis­tungsbereich gerade mal 1 Milliarde Dollar um, heute sind es mit gut 55 Milliarden mehr als die Hälfte unseres Umsatzes, während der Hardware-Anteil rund 22 Milliarden beträgt und die Software 20 Milliarden Dollar zum Umsatz beiträgt.


Eros Fregonas (Swisscom IT Services): Wie man weiss, ist Swisscom so etwas wie ein lokaler Held in der Schweiz und setzt mit 18’000 Angestellten rund 15 Milliarden Franken um. Die Dienstleistungstochter Swisscom IT Services (SCIS) beschäftigt heute rund 2000 Mitarbeitende und entstand 2002 aus der Fusion der IT-Abteilung von Swisscom und AGI IT Services. Dazu kommen weitere 700, die für unsere, in der Finanzindustrie aktiven Tochtergesellschaft Comit.
Die wichtigste Entwicklung unserer Firma sehe ich darin, dass wir den Anteil des Umsatzes, welchen wir innerhalb des Konzerns generieren, von fast 100 Prozent vor fünf Jahren auf weniger als 50 Prozent im laufenden Jahr senken konnten. Das ist ein wichtiger Schritt, um die Marktfähigkeit dieses noch sehr jungen IT-Dienstleisters sicherzustellen. Wir mussten in den vergangenen Jahren viel lernen, manchmal auch aus begangenen Fehlern. Ich denke aber, dass wir jetzt gut aufgestellt sind. Unseren wichtigsten Vorteil gegenüber anderen Dienstleis­tern sehe ich darin, dass wir von Telekom bis zu den IT-Dienstleistungen die gesamte Wertschöpfungskette beherrschen. Das wird bei der zunehmenden Konvergenz der beiden Technologiebereiche immer wichtiger. In ein paar Jahren wird man einem Endgerät nicht mehr ansehen, ob es aus dem IT- oder Telco-Umfeld stammt.

Seite 2

Wie man Ihren Ausführungen entnehmen kann, haben sich alle drei Unternehmen mehr oder weniger stark verändert. Was sind die Themen, welche Sie und Ihre Kunden derzeit am meisten beschäftigen - grade mit Blick in die Zukunft?
Rüthemann: Zuerst muss man festhalten, dass man die Unternehmenslandschaft in der Schweiz als Spezialfall bezeichnen kann. Es gibt hier enorm viele international tätige Firmen und dabei meine ich nicht nur die Grossen, die jeder kennt. Es gibt auch weit über 1000 KMU-Betriebe, die weltweit Geschäfte abwickeln. Darunter viele Nischenmarktführer, von Getreidemühlen über Set-Top-Boxen bis hin zu Kunststoffschweissmaschinen.

Meyer: Oder Velospeichen. Der Weltmarktführer für Hochpräzisions-Velospeichen kommt auch aus der Schweiz.


Rüthemann: Genau! Das ist die Spezialität dieses Landes. Diese KMU haben die Herausforderung, kosteneffizient zu produzieren, ohne dazu über die gleiche Infrastruktur wie internationale Konzerne zu verfügen. Sie beziehen ihre Dienstleistungen genauso global wie die Grossen. Hier sind wir gefragt. Unser Hauptgeschäft besteht darin, den Unternehmen zu helfen, sich global zu integrieren.

Meyer: Auch wenn sich Accenture im Gegensatz zu IBM und SCSI nur auf die weltweit grössten 2000 Firmen konzentriert, kann ich dem nur zustimmen. Auch hier ist die Schweiz ein Spezialfall, weil der Anteil solcher Unternehmen sehr hoch ist. Künftig wird es für die Schweiz schwieriger sein, diesen Anteil zu halten, weil sich die Zentren der globalen Wirtschaft zunehmend von Norden nach Süden und von Westen nach Osten verlagern. Global tätige Firmen sind gefordert, globale Geschäftsmodelle zu entwickeln. Die erste Revolution diesbezüglich hat in der produzierenden Industrie stattgefunden, in Form einer Aufsplittung der Wertschöpfungskette in eine Zuliefererindustrie sowie eine Vermarktungs- und Entwicklungsindustrie. Das derzeit heisseste Thema ist die Industrialisierung: Wie kann ich international Prozesse vereinheitlichen und über Länder- und Spartengrenzen hinweg zusammenführen? Diese Entwicklung hat nun auch die Banken- und Dienstleistungsindustrie erfasst.

Folglich stossen Sie auf Probleme, die Sie selber mit Ihren Kunden teilen?
Meyer: Klar teilen wir diese Probleme. Gleichzeitig sind sie aber auch der Haupttreiber unseres Geschäfts.

Fregonas: Dieser Trend führt dazu, dass Unternehmen Probleme bekommen, wenn es darum geht, die Kontrolle zu behalten und die nötige Transparenz zur Führung der Firmen zu schaffen. Im Gegensatz zu früher, wo man Dienste sehr global ausgelagert hat, werden deshalb heute wieder vermehrt Teilprojekte ausgeschrieben. Dazu haben sich spezialisierte Firmen etabliert, welche sich zwischen uns und den Kunden schalten, die Rahmenbedingungen abstecken und die Lose separat an verschiedene Dienstleister vergeben. Da wir lokal sehr stark sind, arbeiten wir in solchen Fällen auch mit internationalen Dienstleistern wie beispielsweise IBM oder Unisys zusammen und übernehmen den lokalen Part.

Also kommt diese Aufsplitterung einem Anbieter wie SCIS entgegen?
Fregonas: Für gewisse selektive Outsourcing-Tätigkeiten haben wir sicher einen Vorteil. Zwar werden viele Dienstleistungen nicht in der Schweiz produziert. Aber die Ansprechpartner müssen vor Ort sein, das kann man nicht mit jemandem machen, der in Bangalore sitzt.
Wie Sie gerade erwähnt haben, treffen sich IBM, Accenture und SCSI nicht nur als Konkurrenten, sondern auch als Partner auf dem Markt.
Fregonas: Oder als Kunden. Wir sind beispielsweise einer der grössten Kunden von IBM in der Schweiz - und umgekehrt. Es ist für mich daher nicht immer leicht zu sagen, ob Daniel Rüthemann nun als Partner, Kunde oder Konkurrent auftritt, wenn ich ihn treffe. Das ist der Punkt, an dem man merken muss, dass das starke Konkurrenzdenken unter IT-Dienstleis­tern in der Vergangenheit heute nicht mehr gefragt ist. Tatsache ist, dass wir beide einander brauchen und daher den Kunden ins Zentrum setzen müssen.

Wie oft kommt es denn vor, dass Sie gegeneinander offerieren?
Fregonas: Täglich. Aber es kommt auch täglich vor, dass wir Technologien oder Leistungen voneinander beziehen.

Meyer: Erst im letzten Jahr gab es zwei Banken-Migrationsprojekte, in die wir alle drei involviert waren.

Ist das nicht etwas verwirrend?
Rüthemann: Es sind vier, fünf verschiedene Rollenmodelle, die es auch mit Accenture gibt. Wenn man mit derart unterschiedlichen Geschäftsbeziehungen arbeitet, muss man sich vertrauen können. Man muss erkennen, welchen Hut der andere gerade trägt. Ist man der Verbündete, der Kunde, der Lieferant oder der Konkurrent? Das ist auch eine Stärke dieses Landes.

Fregonas: Man kennt sich ja lange genug. Der Markt ist klein.

Meyer: Die Strukturen sind überblickbar. Es ist anders als in Deutschland, mit 80 bis 90 Millionen Einwohnern.

Rüthemann: Man kann sich einschätzen. Ich weiss was es heisst, wenn Eros Fregonas etwas sagt.

Fregonas: Es ist anders als früher, als jemand 20 Jahre lang für die gleiche Firma arbeitete. Heute hat man einen Horizont von drei bis fünf Jahren. Das führt dazu, dass manch einer schon bei der Konkurrenz gearbeitet hat. Ich selber war lange für Accenture tätig. Deshalb sehe ich die Firma nicht als Gegner, sondern in gewissen Bereichen sogar als Generator für unser Geschäft. So ist man auch beim Kunden glaubwürdiger. Ich kann nicht punkten, indem ich die Konkurrenz schlecht mache, sondern muss meine Stärken an den Markt tragen. Outsourcing ist ein Vertrauensgeschäft. Wer das Vertrauen verspielt, hat verloren.

Die Wichtigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen in der Schweiz wurde bereits angesprochen. Für Accenture sind sie kein Thema, bei Swisscom und IBM ist das anders. Weshalb?
Rüthemann: Zunächst unterscheidet sich das KMU-Geschäft deutlich von demjenigen mit Grosskunden. Die Bedürfnisse hängen mit der oft lokalen Tätigkeit zusammen. Ein KMU will seine Lieferanten persönlich kennen und legt Wert darauf, dass der Leistungserbringer in der Nähe ist und nicht in Abu Dhabi. Dabei erreicht Swisscom in der Schweiz einen Grad der Marktabdeckung, wie wir ihn niemals haben werden. Genau deshalb ist uns die Partnerschaft so wichtig. Swisscom hat diesen lokalen Bezug, das sieht man ja am Schweizerkreuz im neuen, sich drehenden Logo.

Fregonas: Da sieht man auch noch ganz andere Sachen darin.

Meyer: Ich sehe immer eine Fahne im Wind! (Gelächter)

Fregonas: Solange es Wind hat, ist alles in Ordnung!

Zurück zu den KMU.
Rüthemann: Genau. Das Geschäft mit den KMU ist für uns sehr wichtig und zwar aus dem einfachen Grund, dass diese Firmen für rund 50 Prozent der geschätzten 8,6 Milliarden Dollar an IT-Ausgaben in der Schweiz verantwortlich sind. Sie haben, was die Komplexität angeht, ähnliche Problemstellungen wie die Grossen, skalieren aber weit weniger. Die Grösse des Marktes macht ihn interessant, aber wir können unser bisheriges Geschäftsmodell nicht eins zu eins auf diesen Markt übertragen. IBM kann unmöglich alle 300'000 KMU-Betriebe in der Schweiz direkt bedienen. Deshalb müssen wir auf Partner zurückgreifen. Nähe, Vertrauen und Massarbeit sind gefragt.

Fregonas: Vom Telekommunikations-Geschäft her ist Swisscom natürlich sehr bekannt und da ist es logisch, dass sie mit der Zeit nicht mehr nur die Telco-Produkte sondern, auch IT-Lösungen von uns haben wollen. Darum orientieren wir uns seit Anfang des Jahres stärker auf diesen Markt. Es versteht sich von selbst, dass sich die ganz kleinen Firmen mit bis zu 30 Angestellten nicht besonders viel leis­ten können. Das Problem liegt nun darin, dass sich der Betreuungsaufwand dieser Kunden nicht wesentlich von dem der grösseren unterscheidet. Wir werden ein Liefermodell erarbeiten müssen, bei dem sich die Arbeit auch für uns noch lohnt und der Kunde eine optimale Betreuung erhält.

Seite 3

Also möglichst automatisierte und einfache Lösungen?
Fregonas: Jawohl. Wir müssen herausfinden, welche Produkte sich dafür eignen. Auf dem Papier sieht es einfach aus: Man baut grosse Hosting- und Housing-Zentren und vertreibt standardisierte Arbeitsplätze. Dass dieses Modell kostendeckend funktionieren kann, muss aber erst noch bewiesen werden.

Rüthemann: Knifflig ist es auch deshalb, weil dieser Markt sehr stark atomisiert daherkommt. Es sind hunderttausende Firmen, die alle in verschiedenen Branchen, Märkten und Regionen tätig sind. Die Produkte - ob Hardware, Software oder Services - sind da. Wir müssen die Welt nicht neu erfinden. Wir müssen ein Geschäftsmodell finden, das gleichzeitig Nähe, Intimität und Skalierbarkeit bringt. Auf den ersten Blick schliesst sich das gegenseitig aus. Ich denke, diese Probleme kann keiner von uns alleine lösen. Da müssen wir uns zusammensetzen und gemeinsame Wege erarbeiten. Um es kurz zu machen: Das Schwert, mit dem sich dieser gordische Knoten zerschlagen lässt, hat noch keiner von uns gefunden.


Welche Ansätze verfolgen Sie?
Fregonas: Wir gehen sehr selektiv vor. Unser KMU-Team besteht momentan aus 1000 Angestellten. Wir haben mit «banalen» Dienstleistungen wie beispielsweise der E-Mail-Archivierung angefangen. Man muss klein starten und das Geschäft nach und nach aufbauen. Ich kann mir aber auch gut vorstellen, dass künftig jemand liefern wird, der gar nicht an diesem Tisch sitzt. Google zum Beispiel. Stellt sich nur die Frage, inwiefern die Leute bereit sind, Geschäftsdaten irgendwo in der «Wolke» des Internets zu speichern. Nicht nur bei KMU, sondern ganz allgemein ist der Outsourcing-Grad in der Schweiz im internationalen Vergleich noch sehr bescheiden. Mitverantwortlich sind dafür meiner Meinung nach nicht zuletzt auch die zum Teil nur sehr schwer nachvollziehbaren Ausschreibungsverfahren der öffentlichen Hand, welche immer wieder dafür sorgen, das Projekte spektakulär scheitern.

Meyer: Die Probleme, die Eros Fregonas da anspricht, kennen wir nur zu gut. Gerade das öffentliche Beschaffungswesen wird durch das Gatt-Abkommen gezwungen, die Vergabe von Projekten nach einem bestimmten Prozess anzugehen. Viele Unternehmen kommen so in eine Wettbewerbssituation, bei der manche weitergehende preisliche Konzessionen eingehen, als sie sollten. Dass führt dazu, dass die öffentliche Hand zwar das günstigste, bei weitem aber nicht das beste Angebot auswählt und viele Projekte im Sand verlaufen. Mehr Sinn als ein strikt geregeltes Verfahren würde ein wettbewerblich orientierter Dialog machen, welcher den Kontakt zwischen dem Beschaffer und den potentiellen Lieferanten ermöglicht und es so erlaubt, die genauen Spezifikationen eines Projektes zu erläutern. Eine dementsprechende Änderung des Beschaffungswesens ist momentan glücklicherweise in der Vernehmlassung.

Ist es denn möglich, dass KMU auch für Accenture irgendwann mal interessant werden?
Meyer: Wir diskutieren das regelmässig. Wir haben aber wie alle anderen die passende Lösung noch nicht gefunden. Unsere teuerste Ressource ist der Mensch und diese Ressource ist knapp. Unter diesen Voraussetzungen ein Modell zu finden, das skalierbar ist und es trotzdem erlaubt auf die Bedürfnisse des Kunden einzugehen, ist schwierig. Jeder Kunde hat das Recht, der wichtigste Kunde zu sein, und das kann man nicht glaubhaft umsetzen ohne das nötige Personal.

Accenture könnte Gefahr laufen, den Anschluss an einen wichtigen Markt zu verpassen.
Meyer: Natürlich ist dieser Entscheid mit Risiken behaftet. Wir sehen aber, dass der Trend im Moment eher in Richtung Fokussierung läuft. Wir konzentrieren uns auf die Grossen. Transformations-Projekte von internationalen Konzernen binden Massen von Menschen und zwar langfristig. Wir sprechen dabei von Projekten, die schnell mal 1 Milliarde Dollar kosten. Der Sinn von Technologie liegt darin, einen bestimmten Geschäftserfolg zu ermöglichen. Wenn das nicht hinhaut, bringt eine Lösung nichts. Unsere Aufgabe als Berater besteht darin, den Unternehmen zu erklären, welche Technologien ihre Probleme lösen können. Hard- und Software kann ich miniaturisieren, um so die Kostenstruktur zu ändern. Beim Berater geht das nicht. Eine Beratungsstunde kostet für KMU genau gleich viel wie für einen Weltkonzern.

Seite 4

Können Ihre kleineren, regional tätigen Konkurrenten diese Probleme lösen, wenn selbst eine IBM zugeben muss, dazu im Moment nicht in der Lage zu sein?
Rüthemann: Die Distributoren, Dienstleister und unabhängigen Software-Entwickler haben die gleichen Probleme wie wir: Die Margen im Hard- und Software-Geschäft sind unter Druck. Das zwingt sie, in höherwertige Segmente vorzustossen, also mehr Dienstleistungen anzubieten. Wenn sie das machen, kommen sie zwangsläufig uns ins Gehege. Auch ihnen gegenüber gibt es diese wechselnden Freund-Feind-Beziehungen.

Fregonas: Konflikte gibt es auch bei der Konsolidierung von Outsourcing-Aufträgen. Nach und nach haben die Firmen immer mehr ihre Infrastruktur ausgelagert. Wenn die Lose neu vergeben werden, fasst man sie meist zu einem grösseren Paket zusammen. So werden sie auch für die grösseren Dienstleister attraktiv und auf einen Schlag verlieren die kleineren ihre Verträge. Das ist natürlich ein Spannungsfeld, weil diese gleichzeitig auch unsere Partner sind und unsere Lösungen vertreiben.


Meyer: Ich kenne das Problem der kleineren Firmen. Ich leite auch noch ein KMU, eine Bergbahn mit 17 Angestellten. Oft stelle ich fest, dass in diesen Unternehmen ein sehr fundiertes Fachwissen vorhanden ist, was das Kerngeschäft betrifft. Nicht selten fehlen ihnen aber betriebswirtschaftliche Fähigkeiten. Das ist auch bei kleinen IT-Dienstleistern nicht anders. Um gute Beratungsdienstleistungen zu erbringen, muss man diese beiden Gebiete zusammenbringen können.

Sie sind aber darauf angewiesen, dass Ihre Partner das können. Immerhin vertreiben sie Ihre Produkte.
Rüthemann: Deshalb überlegen wir uns, die Beratungskompetenz unserer Partner mittels Schulung und Zertifizierung zu erhöhen. So können die Kunden auch einschätzen, wie weit die Kompetenz des Partners reicht. Hardware kann man anhand von Kennzahlen vergleichen, bei Dienstleistungen geht das bestenfalls über Referenzen. Um Transparenz zu schaffen, müssen die Anforderungen standardisiert werden.

Fregonas: Da stimme ich Daniel Rüthemann zu. Mir stellt sich die Frage nach der Verantwortung. Liegt es bei den IT-Firmen oder beim Bildungswesen, die Beratungskompetenzen von Ingenieuren zu verbessern? Viele Ingenieure haben kommunikative Defizite. Sie kommen zwar in technischer Hinsicht exzellent ausgebildet von den Hochschulen, doch dann müssen wir ihnen helfen, den Horizont zu erweitern und mit Leuten zu interagieren. Das sind grosse Aufwände. Wir müssen uns bewusst sein, dass der Standardinformatiker, welcher irgendwo im stillen Kämmerchen sitzt und Software entwickelt, nicht mehr gebraucht wird. Diese Arbeiten werden schon lange nicht mehr in der Schweiz gemacht.
Es liegt doch in der menschlichen Natur, dass Allround-Talente eher selten sind. Man könnte diese Aufgaben ja auch teilen.

Fregonas: Nein, es geht hier um eine bestimmte Art zu denken. Wenn ein Ingenieur sehr technologieverliebt ist, aber die ökonomischen Bedürfnisse des Kunden nicht erkennen kann, wenn er nicht erklären kann, was eine Technologie bringt und wozu man sie braucht, dann bringt er es in diesem Geschäft nicht weit.

Seite 5

In der IT-Branche wird viel gejammert. Es habe zu wenige gut ausgebildete Leute und wenn es sie doch hat, dann sind sie nicht genau so ausgebildet, wie man sie gerne hätte. Es liegt doch an Ihnen allen, diese Bedürfnisse an die Politik und die Hochschulen heranzutragen oder selber gewisse Ausbildungsmassnahmen zu ergreifen.
Rüthemann: Das macht IBM auch. Wir haben ca. 250 Werkstudenten sowie 70 Lehrlinge in der Schweiz. Das entspricht knapp 10 Prozent unserer Belegschaft. Wir sollten die Situation aber auch nicht dramatisieren. Noch ist die Schweiz nicht kollabiert. Was passiert, wenn der Markt austrocknet, aber attraktiv ist? Die Leute kommen aus dem Ausland. Allein im letzten Jahr sind mehr Akademiker zugezogen als die Schweiz ausgebildet hat. Damit ist das Problem natürlich nicht gelöst. Diese Situation ist nicht gottgegeben, deshalb müssen wir jetzt inves­tieren. Das kann IBM aber nicht alleine, das muss von der gesamten Branche kommen.

Meyer: Heute harmonieren die Wirtschaft, das Bildungswesen, die Politik und das Militär nicht mehr so gut wie früher. Was im negativen Sinn als «Filz» bekannt war, hatte auch Vorteile, weil Bedürfnisse schneller über die Grenzen hinaus bekannt wurden. Wir müssen versuchen, diese Gräben zu überbrücken, sei es beispielsweise über Economiesuisse oder die Branchenverbände. Wir müssen die Politik über unsere Bedürnisse aufklären. Schwierig ist hierzulande allerdings auch, dass die Schweiz im Gegensatz zu anderen Ländern keine explizite Entwicklungsstrategie hat. Sie entwickelt sich einfach. Der zweite Punkt, bei dem wir ansetzen müssen, ist das enorme Potential der Frauen. Bei Accenture sind rund 25 Prozent der Belegschaft weiblich. Nur ein Viertel also, und dennoch liegen wir schon weit über Durchschnitt. Die Schweiz ist da gegenüber Ländern wie Skandinavien oder Indien arg im Hintertreffen.


Fregonas: Auch wir kommen auf eine Auszubildendenquote von fast
10 Prozent. Was die Einflussnahme angeht, haben Sie aber recht: Unsere Branche beschäftigt in der Schweiz gleich viele Personen wie die Finanzbranche. Wenn ich sehe, wie die organisiert ist im Vergleich zu uns, dann haben wir noch viel Arbeit vor uns.

Jetzt mal ehrlich: Seit der Lancierung des Jahres der Informatik reden alle von Frauenförderung. Im letzten Jahr hat man davon, mal abgesehen von IBM, nicht viel gehört.
Rüthemann: Ich schliesse mich Thomas Meyer an. Die Frauen für unsere Branche zu begeistern, ist fundamental wichtig. Das Problem liegt aber nicht nur beim Image der IT, sondern auch bei unserer Gesellschaft. Darf eine gute Mutter überhaupt arbeiten? Wenn ja, wie viel?
Ich denke nicht, entgegen vieler Theorien, dass Frauen im zwischenmenschlichen Bereich kompetenter sind als Männer. Aber Frauen mit IT-Ausbildung suchen fast immer Stellen im Beratungsbereich. Daraus schliesse ich, dass sie das gerne machen. Und da sie es gerne machen, machen sie es auch gut. Gerade im Beratungsbereich sehe ich deshalb grosses Potential für Frauen in der IT.

Fregonas: Unser Verwaltungsrat hat die Vorgabe gemacht, dass wir die Frauenquote erhöhen müssen. Wir haben in dieser Beziehung mehrere Programme aktiviert, so trainieren alle Vorstandsmitglieder mehrere Frauen, um sie bei der Entwicklung ihrer Karriere zu unterstützen. Wir müssen aber auch unsere heutigen sozialen Modelle verändern. Es ist nun mal so, dass Frauen oft kürzertreten, wenn sie Kinder bekommen. Wir müssen verhindern, dass in dieser Zeit der Kontakt zum Unternehmen abbricht und ihnen auch den schrittweisen Wiedereinstieg ins Berufsleben ermöglichen.
Um die Frauen zu motivieren, in eine von Männern dominierte Branche wie die unsere einzusteigen, müssen die Männer zudem im zwischenmenschlichen Bereich sensibler werden. Es ist meines Erachtens eine Tatsache, dass Frauen gerade auch verbal anders miteinander umgehen als Männer. Im Übrigen muss aber auch das Image der IT-nahen Berufe entstaubt werden, sonst werden die Frauen nicht kommen.

Rüthemann: Eigentlich müssen wir den gesamten IT-Begriff entstauben. Im Grunde machen wir doch das Gleiche wie Ärzte. Während diese sich um biologische Organismen kümmern, kümmern wir uns um digitale. Wir müssen vom Berufsbild des «pickligen Nerds» wegkommen. Eigentlich sind wir digitale Chirurgen.

Vor rund zehn Jahren war das doch der Fall, da war es richtig cool in dieser Branche zu arbeiten.
Meyer: Das war aber von kurzer Dauer. Ich glaube, dass die Hauptmotivation damals eher das vermeintlich schnelle Geld war. Deshalb kam ja auch der Crash. Eros Fregonas hat Recht, es gibt noch viel zu tun. Man kann nicht behaupten, dass es seitens der Branche ein koordiniertes Programm geben würde, mit dem sich die Probleme lösen lassen. Wir befinden uns derzeit in der Formierungsphase und versuchen, einen gemeinsamen Nenner zu definieren.

Rüthemann: Die Branche ist eben alles andere als homogen. Wir sollten uns aber auf die Gemeinsamkeiten konzentrieren, für die wir uns in Bern einsetzen können. Im Moment finden Diskussionen über die Strukturen im Verbandswesen statt. Da haben wir den optimalen Punkt sicher noch nicht erreicht.

Seite 6

Ihren Aussagen ist zu entnehmen, dass die Branche sich formiert, um in Zukunft etwas zu verändern. Welche Mittel werden Sie brauchen, um die IT künftig effizienter zu betreiben? Wie sieht die Branche in zehn Jahren aus?
Meyer: Wie bereits erwähnt: Für mich heisst das Hauptthema Industrialisierung. Heute ist oft noch die horizontale Ausrichtung vorherrschend. Wir haben Geschäftsprozesse, IT-Infrastruktur und Anwendungen. Dabei gibt es zwei Tendenzen: Die eine geht in die Richtung der Aufsplittung in immer kleinere Segmente. Wir bei Accenture glauben jedoch, dass die Zukunft in Richtung Vertikalisierung geht, dass also das Gesamtpaket für einen bestimmten Geschäftsprozess angeboten wird, nicht in die Breite, sondern in die Tiefe. Dort ist die Skalierbarkeit hoch.
Ein gutes Beispiel kommt aus der Autoindustrie. Der Hersteller vom Smart hat noch gerade einmal 13 Prozent der Wertschöpfungskette in seinen Händen. Die grössten sieben Zulieferer wie Bosch, Mercedes und ­Magna, haben ihre eigenen Fabriken direkt in diejenige von Smart hineingebaut und Montieren ihre Komponenten direkt in der Fertigungsstrasse. Von aussen sieht das aus wie eine einzige Fabrik, obwohl mehrere Firmen mit eigenem Personal vor Ort sind. Eine engere Verzahnung und fliessende Grenzen zwischen Dienstleister und Kunde sind die Zukunft.

Rüthemann: Damit bin ich völlig einverstanden. Service Oriented Architecture, kurz SOA, war lange ein Hype-Thema. Dabei handelt es nicht um eine von der IT-Branche geborene Idee, sondern um eine geschäftsorientierte Entwicklung. Es geht darum, dass man seine Geschäftsprozesse definiert und sich dann überlegt, welche man selber macht und was man von Dritten einkaufen will. Dazu benötigt man aber eine IT, die es ermöglicht, Services in unterschiedliche Stücke zu schneiden und so die Wertschöpfungskette aufzubrechen.
Einfach gesagt macht eine Bank nichts anderes als Finanzinformationen zu produzieren, zu veredeln und zu verkaufen. Fast ihre ganze Wertschöpfungskette ist also digitalisiert und deshalb besonders geeignet. Auch wenn es paradox klingt: Um Services effizient auszulagern, müssen sie sich zunächst in das globale System integrieren. Erst wenn man den ganzen Globus als ein System betrachtet, ist es möglich, Teile aus einzelnen Firmen herauszunehmen und weitergeben zu können. Natürlich ist das eine hochkomplexe Angelegenheit, weshalb das Bedürfnis nach Beratungsdienstleistungen noch zunehmen wird.


Was bedeutet das für die Firmenstruktur der Dienstleister?
Rüthemann: Das sehen Sie ja bei HP und EDS. Es ist enorm wichtig, nicht nur Produkte und Lösungen herzustellen, sondern auch Beratungskompetenz aufzubauen. HP macht das nicht zum Spass, das ist eine klare Aussage.

Weil HP sonst dort landet, wo IBM mal war?
Rüthemann: HP ist dort, wo IBM mal war. Aus Sicht von HP ist die Übernahme sicher ein wichtiger und richtiger Entscheid. Ob nun EDS der richtige Partner ist, kann ich nicht sagen, das wird die Zukunft zeigen. Zweifelsfrei wird HP dadurch ein ernstzunehmender Konkurrent sein. Wenn für sie alles gut läuft, werden wir einem potenten Unternehmen gegenüberstehen, welches das gleiche Geschäftsmodell verfolgt wie wir. Unser Vorteil liegt darin, dass wir schon vor 20 Jahren in diese Richtung aufgebrochen sind.

Fregonas: Am Ende wird es entscheidend sein, ob sich Unternehmen in das globale Netz einfügen können. Manche Branchen sind weiter als andere. Der Finanzbereich ist in der Schweiz sicher am weitesten. Aber auch hier gibt es noch Firmen, die nicht einsehen, dass sie sich durch eine Inlandzahlung nicht von ihrer Konkurrenz unterscheiden können. Das können sie nur im Umgang mit den Kunden und den angebotenen Produkten. Für uns heisst das, dass wir
in die Wertschöpfungskette unserer Kunden hineinwachsen müssen. Auch die Fähigkeit, mit Partnern in vernetzten Systemen zusammenzuarbeiten, wird überlebenswichtig.

Grössere Dienstleister wie Sie können das ja noch steuern. Was passiert mit den vielen kleinen Anbietern?
Meyer: In der Branche findet eine Konsolidierung statt. Dafür gibt es neben EDS auch noch andere Beispiele. Der Markt bewegt sich in die Richtung «alles aus einer Hand». Da müssen sich die Unternehmen zwangsläufig vergrössern.

Rüthemann: Es ist schwierig, den Strukturwandel der Schweizer IT-Szene vorauszusehen. Aber IT-Provider, die sich nur auf Infrastruktur beschränken, werden unter Druck kommen. Ich stimme Thomas Meyer zu, wenn er sagt, dass die Konsolidierungswelle bald auch im Binnenmarkt losgetreten wird. Die durchschnittliche Unternehmensgrösse wird sicher zunehmen.
Die internationale Vernetzung hat dazu geführt, dass alle grossen westlichen Dienstleister Arbeiten in Drittländer wie beispielsweise Indien ausgelagert haben oder dort selber Kapazitäten aufbauten. Jetzt haben diese Firmen dazugelernt und wollen sich in Europa und den USA selber ein Stück vom Kuchen abschneiden. Gartner sagt, dass die drei grössten indischen Dienstleister bis 2011 auf Augenhöhe mit IBM oder Accenture mitspielen werden.

Meyer: Für mich ist das keine Zukunftsmusik sondern Gegenwart. Die drei Grossen sind schon da und haben Beratungskompetenz aufgebaut, das ist Fakt. Wir sind aber aus verschiedenen Gründen im Vorteil gegenüber den «reinen» indischen Anbietern. Wir sind beispielsweise viel breiter vernetzt. Wir sind nicht nur in Indien, sondern haben Kapazitäten überall auf der Welt. So können wir die Arbeit auf dem ganzen Globus herumschieben und dort produzieren, wo es am effizientesten möglich ist. Da sind wir den indischen Firmen noch weit voraus.

Seite 7

Dieses Netz können die Inder aber auch aufbauen.
Meyer: Natürlich können sie das. Aber sie werden dabei die gleichen Phasen durchlaufen wie wir. Sie werden viele Rückschläge hinnehmen müssen, das dauert seine Zeit. Unsere Firmenkultur ist langsam gewachsen, deshalb haben wir auch weniger Mühe, die Leute bei uns zu halten als die indischen Anbieter.

Rüthemann: Die Inder sind da, das ist so. Sie haben gemerkt, dass es nicht reicht, in Indien zu sitzen und auf Arbeit zu warten, sondern dass sie zu den Kunden gehen müssen, um deren Bedürfnisse verstehen zu können. Jetzt sind sie vor Ort aktiv, um Kunden zu akquirieren, das macht Sinn. Im Dienstleistungsbereich werden sie uns das Leben gehörig schwer machen, und das ist für mich völlig in Ordnung. Wir sind genauso nach Indien gegangen, wie sie jetzt nach Vietnam, Europa und Amerika.


Was heisst das für Swisscom, die im Gegensatz zu IBM und Accenture keine Kapazitäten in Indien hat? Was, wenn sich ihre indischen Partner ­fragen, wozu sie die Swisscom noch brauchen? Schliesslich können sie ja hierzulande eine eigene Verkaufsorganisation aufbauen.
Fregonas: Das können sie zweifelsohne. Wir haben eine sehr lokale Verankerung und beziehen Dienstleistungen von offshore Partnern, wie beispielsweise Unisys. Wir müssen uns die Frage stellen, worum es uns bei der Zusammenarbeit mit diesen Dienstleis­tern geht. Nur um tiefe Kosten? Oder um die rasch zur Verfügung stehenden Kapazitäten? Die Zusammenarbeit mit Indern ist sehr komplex. Keiner wird ihnen je sagen, dass etwas nicht geht. Wenn sie dann merken, dass etwas schiefläuft, ist der Betreffende nicht mehr beim Provider X, sondern bei Provider Y. Da eine kontinuierliche Geschäftsbeziehung aufzubauen, ist schon heute schwer. Sicher wird der Druck auf uns zunehmen und gewisse Dienstleistung werden wir nicht mehr kostendeckend erbringen können. Für uns heisst das, tiefer in die Wertschöpfungskette der Kunden hineinzuwachsen und selber Services auszulagern. (Interview Markus Gross)


Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Welchen Beruf übte das tapfere Schneiderlein aus?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER